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25. Todestag
José Donoso - Analytiker der chilenischen Opposition

José Donoso war einer der großen Schriftsteller Lateinamerikas der Boom-Generation der 1960er und 70er-Jahre. Doch stand der engagierte chilenische Romancier bis zu seinem Tod am 7. Dezember 1996 stets im Schatten von Zeitgenossen wie Gabriel García Márquez oder Carlos Fuentes.

Von Peter B. Schumann | 07.12.2021
Der chilenische Schriftsteller José Donoso 1981
Der chilenische Schriftsteller José Donoso 1981 (imago/Leemage)
„Das ist die Geschichte eines Autors, der den Realismus verabscheute und nur an die großen literarischen Erfindungen glaubte. In seinem bekanntesten Roman "Das Landhaus" hat José Donoso eine einzigartige Metapher der radikalen sozialen Veränderungen in Chile zwischen 1960 und dem Militärputsch 1973 geschaffen.“
So begann Antonio Skármeta eine seiner populären Bücher-Shows 1997 im chilenischen Fernsehen. Der berühmte Schriftsteller hatte sie seinem großen Kollegen José Donoso gewidmet. Dieser war 1924 in einer wohlhabenden Familie in Santiago geboren und dachte zunächst an alles andere als an eine literarische Karriere. Er war schon früh ein unsteter Geist und ist es ein Leben lang geblieben. In einem Interview der Gesprächsreihe A Fondo des spanischen Fernsehens RTVE erzählte er 1976 von seiner Jugend.
„Ich war ein sehr schlechter Schüler. Die letzten zehn Schuljahre verbrachte ich in ungefähr zehn Schulen, weil ich überall rausgeflogen bin. Also entschied ich mich, so weit wie möglich von zu Hause fortzugehen, und zwar nach Magallanes, in den äußersten Süden Chiles und verdingte mich dort als Schafhirte auf einer Hacienda.“

Finanziell unabhängig

In dieser unwirtlichen Gegend hielt er es immerhin ein Jahr aus. Später entdeckte er seine Leidenschaft für die englischsprachige und europäische Literatur, reiste viel in den beiden Amerikas und Europa umher – die finanzielle Unabhängigkeit durch seine Familie ermöglichte es ihm – und schrieb 1957 seinen ersten Roman "Coronación". Donoso sagte über seinen Erstling:

„Der Roman spielt in zwei klar getrennten Schichten: der Bourgeoisie und, sagen wir, dem Lumpenproletariat, die von einem Dienstmädchen völlig durcheinandergebracht werden. Es ist nicht autobiografisch, aber ich beschreibe das Haus, in dem ich aufgewachsen bin mit meiner Großmutter, und da sind gewisse Kuriositäten meiner Familie eingeflossen.“

Die Verkommenheit der Oberschicht als Lieblings-Thema

In seinem gesamten Werk zeigt José Donoso eine Vorliebe für Familiengeschichten und für das Auseinanderbrechen der bürgerlichen Ordnung, dieser Welt aus Sein und Schein, der er sich so oft entzogen hat. Eines seiner zentralen Themen ist die Dekadenz der Oberschicht, die zu Chaos und Schrecken führt. Sie dekuvriert er auch in den Romanen "Ort ohne Grenzen" von 1966 und "Der obszöne Vogel der Nacht" von 1970 mit satirischen Elementen, grotesken Überzeichnungen oder karnevalesken Maskeraden. Da hatte er Chile bereits verlassen und sich in Spanien angesiedelt, wo er 1973 den Militärputsch Pinochets erlebte – wie sich der Romancier Arturo Fontaine in Skármetas Bücher-Show erinnerte:

„Er war zwar informiert, aber nicht im Detail. Der Putsch – so erzählte er mir – versetzte ihn in einen Schockzustand, denn er konnte nicht glauben, was da passiert war.“In

"Das Landhaus" - der nahende Faschismus in Metaphern entlarvt

Fünf Jahre benötigte der Autor, um seine Fassungslosigkeit in "Das Landhaus", seinem Hauptwerk, literarisch zu verarbeiten. Dabei folgte er seinem Talent als Gestalter großer gesellschaftlicher Metaphern, hinter denen sich in diesem Buch die Allende-Zeit und der aufkommende Faschismus verbargen.

Später Zeitroman "Die Toteninsel"

1981 kehrte José Donoso endgültig nach Chile zurück. Unter dem Eindruck der Militärdiktatur änderte er seinen Stil und publizierte 1986 den realistischen Zeitroman "Die Toteninsel". Darin analysierte er hellsichtig die verschiedenen Bewusstseinszustände der in Santiago verbliebenen und der aus dem Exil heimgekehrten Oppositionellen.
Ein Jahrzehnt später, am 7. Dezember 1996, erlag Chiles bedeutendster Romancier mit 72 Jahren einem Krebsleiden. Für seinen Freund, den Schriftsteller Jorge Edwards, ist Donoso, "ein großer Gestalter der chilenischen Geschichte von universalem Format, das auf seiner Authentizität als chilenischer Autor beruhte." Zwar habe Donoso lange im Ausland gelebt, "doch Chile hat stets in seiner Vorstellungswelt weiterexistiert."