Montag, 29. April 2024

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Zum 7-Punkte-Programm von Bundesaußenminister Fischer für Nahost

Lange: Im Nahen Osten pendelt der amerikanische Außenminister Colin Powell weiterhin zwischen Jerusalem und Ramallah, um das Gemetzel zwischen Israel und den Palästinensern zu stoppen. Von einer Regionalkonferenz ist inzwischen die Rede, die beide Seiten im Prinzip wollen, aber mit so vielen Vorbedingungen verknüpfen, dass sie schon wieder in weite Ferne gerückt ist. Und während Powell sich in der Krisenregion abmüht, feilen die Koalitionsparteien in Berlin an Ihrer Nahostpolitik, die von Außenminister Joschka Fischer in seinem 7-Punkte-Programm zu Papier gebracht worden ist. In der nächsten Woche, nach der Powell-Mission, soll darüber im Bundestag beraten werden. Wie vertragen sich die Berliner Ideen mit der Powell-Mission? Darüber sprechen wir nun mit Kerstin Müller, der Fraktionsvorsitzenden der Bündnis-Grünen im Bundestag. Guten Morgen Frau Müller!

17.04.2002
    Müller: Guten Morgen Herr Lange.

    Lange: Dieses 7-Punkte-Papier von Joschka Fischer, als was ist das zu betrachten: ein richtiger Friedensplan oder weiterhin nur ein Ideenpapier?

    Müller: Es ist zunächst mal ein Ideenpapier, das zur Bildung einer EU-Position führen soll. Daran wird auch gearbeitet. In Luxemburg wurde jetzt noch nichts beschlossen, weil man natürlich auch zur Zeit nicht den Ergebnissen der Powell-Reise vorgreifen will. Ich bin aber ganz sicher, dass es in der Zukunft eine wichtige Rolle spielen wird.

    Lange: Aber Fischer hatte ja schon erwartet, dass die EU-Kollegen auf der Basis seines Papiers eine Eigeninitiative starten. Hat es nach Luxemburg nicht damit schon an Wert verloren?

    Müller: Nein, weil zur Zeit wird intensiv daran gearbeitet. Ich höre, dass schon Veränderungen vorgenommen werden. Man diskutiert das intensiv innerhalb der EU. Es ist ja eine politische Initiative, die insofern auch in Ergänzung zu den Bemühungen der Amerikaner zu verstehen ist. Im Grunde macht Powell schon den ersten Schritt, denn ein Kerngedanke ist ja, dass die internationalen Akteure zusammengeführt werden müssen. UN, Russland, die EU und die USA müssen, sollen mit einer Stimme sprechen, um hier auch die Konfliktparteien an den Verhandlungstisch zurückzubringen.

    Lange: Wie vertragen sich denn die Ideen Fischers mit dem, was Colin Powell will: erst ein Waffenstillstand, dann der Rückzug der Israelis - so weit ist alles klar - und danach?

    Müller: Ein weiterer entscheidender Punkt ist in dem Fischer-Papier, dass ganz zu Beginn die Anerkennung auch des gegenseitigen Existenzrechts stehen soll, also auch die Gründung eines unabhängigen Staates, und dass man dann in zweijährigen Verhandlungen über die strittigen Fragen reden soll. Insofern zieht das Papier Lehren aus dem Tenet-Plan, aus dem Mitchell-Bericht und steht insofern in Übereinstimmung mit dem, was auch jetzt an Bemühungen durch Powell erfolgt.

    Lange: Powell kann sich eine Nahostkonferenz auch ohne Arafat vorstellen. Sie auch?

    Müller: Das halte ich nicht für so klug. Arafat ist nun mal der gewählte Präsident des palästinensischen Volkes und man kann sich dort die Regierenden nicht aussuchen. Ein entscheidender Inhalt auch des Fischer-Ideenpapiers ist natürlich, dass beide Seiten mit ihrem politischen Vertreter an den Verhandlungstisch geholt werden sollen.

    Lange: Aber alle Ideenpapiere, Frau Müller, auch das Fischer-Papier kranken doch daran, dass sie zwar langfristige Perspektiven zeigen, aber im Grunde keine Antwort haben auf die Frage, wie kriegen wir den ersten Schritt hin: den Waffenstillstand?

    Müller: Wichtig ist letztlich: den ersten Schritt müssen die Konfliktparteien vor Ort machen. Die Forderung an die israelische Seite bleibt bestehen, sofortiger Rückzug aus Gaza und dem Westjordanland. Dann muss ein Waffenstillstand folgen. Politisch muss es zu einem schnellen und sofortigen Ende der Besatzung kommen, also zum Räumen auch von Siedlungen. Das ist der Inhalt der UN-Sicherheitsratsresolution, war auch der Inhalt der sogenannten Vierer-Erklärung an die Adresse der Palästinenser, dass eben der palästinensische Staat nicht mit Gewalt erreicht werden kann, sondern durch Verhandlungen erreicht werden muss. Ich glaube das entscheidende am Papier ist, dass es von der Erkenntnis ausgeht, dass nur wenn eine politische Perspektive eröffnet wird, die Gewalt auch letztlich eingestellt werden wird. Es ist einfach zu viel Frustration, zu großer Vertrauensverlust auf beiden Seiten zur Zeit. Das ist das Drama, vor dem wir dort stehen.

    Lange: Aber ohne Waffenstillstand wird es keine weiteren Schritte geben. Würden die Europäer, sollten die Europäer zusammen mit den Amerikanern das notfalls auch mit Sanktionen durchsetzen?

    Müller: Ich halte gar nichts von Sanktionen. Ich halte das sogar für völlig kontraproduktiv. Wenn die Europäer sich auf so etwas verständigen würden, dann sind sie glaube ich überhaupt kein Gesprächspartner mehr, jedenfalls nicht für die israelische Seite. Sie spielen jetzt schon eine relativ geringe Rolle. Vor allen Dingen auf der Seite Israels schaut man doch hauptsächlich auf die Amerikaner. Wenn man eine Rolle spielen will, dann geht das glaube ich nur so, wie es im Ideenpapier skizziert wird.

    Lange: In der nächsten Woche soll es diese Regierungserklärung zur Nahostpolitik geben. Was kommt danach? Wird die Regierung die Fischer-Initiative dann mit mehr Nachdruck vertreten?

    Müller: Wir wollen natürlich und ich meine auch wir müssen als Koalitionsfraktion uns ganz klar hinter das Ideenpapier stellen. Es zeigt Wege aus der Krise. Es bietet die Chance, dass es möglicherweise einfließt in eine gemeinsame EU-Position. Ich bin wirklich fest davon überzeugt, nur wenn die EU, die USA, Russland und die UN an einem Strang ziehen, wird man beide Seiten dazu bringen können, wieder die Verhandlungen aufzunehmen. Ende der Gewalt, unter der ja letztlich auf beiden Seiten ganz enorm die Zivilbevölkerung leidet, sowohl in Israel, aber natürlich auch in den besetzten Gebieten, wo offensichtlich viel Unrecht geschieht gegenüber der Bevölkerung.

    Lange: Stichwort "an einem Strang ziehen". Da wäre es doch auch hilfreich, wenn im Bundestag eine einheitliche Position zu Stande käme. Ist die in Sicht?

    Müller: Möglicherweise wird es auch eine gemeinsame Entschließung geben, zumindest von den Koalitionsfraktionen. Inhaltlich gibt es jedenfalls was das Fischer-Papier betrifft keine Differenzen.

    Lange: Auch nicht zur Opposition?

    Müller: Das wird die Debatte zeigen. Die Vorstöße von Möllemann und Blüm, da sehe ich natürlich große Differenzen. Möllemann hat sich ja auch für Sanktionen ausgesprochen. Ich finde die Äußerungen des Kollegen wirklich skandalös. Vor dem Hintergrund, dass für die israelische Gesellschaft es im Moment subjektiv wieder mal um das Existenzrecht Israels geht, dass dies in Frage steht, sind die Äußerungen, die Möllemann gemacht hat nach dem Motto, die seien ja selbst Schuld, wirklich ohne jegliche historische Verantwortung. Die Nach-Genscher-Generation zeigt in besonders infamer Weise Verantwortungslosigkeit und auch Geschichtslosigkeit. Da sehe ich durchaus große Differenzen.

    Lange: In den "Informationen am Morgen" war das Kerstin Müller, die Fraktionsvorsitzende der Bündnis-Grünen im Bundestag. - Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Link: Interview als RealAudio