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Zum Abschied von der Kohle
Erinnern an Werte und Gefahren des Bergbaus

Jetzt ist endgültig Schicht im Schacht. In Bottrop schließt mit Prosper-Haniel die letzte deutsche Zeche. Damit endet die Ära der Steinkohle. Den letzten Segen erhielten die Kumpel bei einem ökumenischen Gottesdienst im Essener Dom. Im Blickpunkt standen auch die vielen Opfer des Bergbaus.

Von Moritz Küpper | 21.12.2018
    Franz-Josef Overbeck, der Bischof des Bistums Essen, schaut die Barbara-Figur beim Ökumenischen Gottesdienst an.
    Franz-Josef Overbeck, der Bischof des Bistums Essen, schaut die Barbara-Figur beim Ökumenischen Gottesdienst an. (Moritz Küpper / Deutschlandradio)
    Da steht sie nun, klein, zierlich. Auf einem Ehrenplatz, direkt vor dem Altar des gefüllten Essener Doms. Eine Holzfigur der Heiligen Barbara, die Schutzheilige der Bergleute.
    Aus gut 1200 Meter Tiefe, von der siebten Sohle auf Prosper Haniel ist sie in den Essener Dom gebracht worden, zum Abschiedsgottesdienst für die Steinkohle.
    "Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes."
    "Amen."
    Franz-Josef Overbeck, der Bischof des Bistums Essen, schaut an jener Barbara-Figur vorbei in das Kirchenschiff. Dort sitzen Politikerinnen und Politiker, Wirtschaftsbosse, Gewerkschaftsfunktionär - und eben Kumpel von unter Tage.
    "Der Steinkohle-Bergbau hat unsere Region, ja, unser ganzes Land geprägt. Das wissen wir. Dafür stehen Kohle, Kumpel, Zecheförderturm, unter Tage, Lore und ganz vieles mehr."
    "Es ist Schicht im Schacht"
    Doch nun, so Overbeck, "sagen wir heute, sprichwörtlich, in der Sprache der Bergleute: Es ist Schicht im Schacht."
    Innehalten, Gedenken, aber auch Erinnern an die Werte des Bergbaus, so Präses Manfred Rekowski von der evangelischen Kirche im Rheinland:
    "Unter Tage war das so: Ohne Deinen Kumpel schaffst Du es nicht. Ohne Deinen Kumpel schaffst Du die Arbeit nicht. Ohne Deinen Kumpel egal, wo er herkommt, egal welche Religion er hat, egal, wie er lebt, ohne Deinen Kumpel kommst Du nicht heil raus."
    Franz-Josef Overbeck, der Bischof des Bistums Essen, mit Bergleuten beim Gottesdienst im Essener Dom.
    Franz-Josef Overbeck, der Bischof des Bistums Essen, mit Bergleuten beim Gottesdienst im Essener Dom. (Moritz Küpper / Deutschlandradio)
    In diesen Tagen und Wochen, ist viel vom Ende einer 200-jährige Industrie-Geschichte die Rede, von zwei Weltkriege, dem Wirtschaftswunder, den sogenannten Ewigkeitskosten, also das steigende, verseuchte Grubenwasser, aber auch von der Kumpel-Romantik, von Werten wie Verlässlichkeit, Zusammenhalt und Vertrauen, die auch Rekowski im Essener Dom betont:
    "Und wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann dass diese Haltung auch nach dem Ende des Bergbaus über Tage prägend bleibt und prägend wird. In dem Ruhrgebiet, in unserem Land. Das täte uns gut. Wir sind verschieden, aber doch gleichwertig."
    "Und das wird ja auch viel gelebt, liebe Schwestern, liebe Brüder. Ich nenne diese Haltung einfach Vertrauen", ergänzt Bischof Overbeck in der Dialog-Predigt im Essener Dom. Ob dies gelingen kann, muss die Zukunft zeigen. Grundlage dieser Werte aber war, gerade im Bergbau, die Gefahr.
    Unzählige Grubenunglücke verdeutlichen die Gefahr
    Wer noch in diesem Jahr mit einer Besuchergruppe unter Tage war, dem zeigte sich, wie gefährlich, wie aufreibend, wie zermürbend die Arbeit einst war.
    "Helm auflassen bitte. Nicht den Helm absetzen."
    "Helm drauflassen."
    "Immer gegenseitig helfen."
    Zweistellig ist die Liste der schwersten Grubenunglücke in Deutschland: 405 Tote im Februar 1946 in der Zeche Monopol Schacht Grimberg in Bergkamen, 350 Tote auf Zeche Radbod in Bockum-Hövel, 299 in der Grube Luisenthal im Saarland und so weiter. Opfer, an die auch Präses Rekowski im Essener Dom erinnert:
    "Menschen haben auch einen hohen, manchmal einen sehr hohen Preis dafür bezahlt. Es gab Grubenunglücke, es gab Unfälle, zuletzt vor wenigen Tagen in Ibbenbüren."
    Armin Laschet (CDU,r), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, geht mit Bernd Tönjes (l), Vorsitzender des Aufsichtsrates de RAG in 1200 Metern Tiefe im Bergwerk durch einen Gang. Auf der Steinkohlenzeche Prosper Haniel in Bottrop besuchte er am Montag den letzten Abbaubetrieb in 1200 Metern Tiefe.
    Armin Laschet (CDU,r), Ministerpräsident von NRW im September 2018 im Bergwerk der Zeche Prosper Haniel in Bottrop (dpa/picture-alliance/Federico Gambarini/)
    Am Montag kam dort ein 29-jähriger Kumpel ums Leben, eingeklemmt in einer sogenannten Wetter-Tür, mit der Explosionen verhindert werden sollen. Und das alles bei den letzten Aufräumarbeiten.
    "Das hat, fast tragisch, nochmal ganz am Ende der Steinkohle-Ära gezeigt, wie viele Menschen Gesundheit und Leben riskiert haben für unsere Energiesicherheit, für unseren Wohlstand sind Menschen da in lebensgefährliche Situationen gegangen."
    Sagt auch NRWs Ministerpräsident Armin Laschet, selbst Sohn eines Bergmanns aus dem Aachener Revier, zum ersten Todesfall im deutschen Bergbau seit fünf Jahren, "und auch daran muss man in diesen Tagen erinnern."
    Die Langzeitschäden zeigen sich noch heute
    Tausende ließen unter Tage ihr Leben. Abertausende starben an den Spätfolgen ihrer schweren Arbeit:
    "Dass die alten Kumpel, die da in der Nachkriegszeit unter Bedingungen geschuftet haben, damit wir unsere Kohle, unsere Energie kriegen zum Heizen und wie auch immer. Ich glaub, das ist in der Öffentlichkeit leider nicht so das Gesprächsthema. Das geht für mich, würde ich sogar ganz klar sagen, hundertprozentig im Moment unter."
    Uwe Jürgens steht in einem Besprechungsraum der "Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie", in die im Jahr 2010 die Bergbau-Berufsgenossenschaft aufgegangen ist. Jürgens, ein zugewandter, 58-jähriger Mann, graue Jahre, Dreitage-Bart, arbeitet als Reha-Manager in der Abteilung Hilfsmittel. Mit anderen Worten: Er kümmert sich um die Kumpel mit der sogenannten Kohlelunge:
    "Sauerstoff-Therapie ist jetzt bedingt insbesondere für durch die, ja, ich sag mal wirklich Bergbau-Erkrankung, die Quarz-Staub-Lungen-Erkrankung, die Silikose."
    Es ist die Krankheit der Bergmänner. Nicht der Dreck, sondern der feine, unsichtbare Staub, der sich in den Lungen ablagert. Bis heute kümmert sich Jürgens Berufsgenossenschaft um tausende Fälle. Er zeigt auf ein weißes, koffer-ähnliches Gerät, was vor ihm steht. Er drückt einen Knopf:
    "Es braucht einen Moment zum Hochfahren."
    Er selbst betreut aktuell rund 350 Fälle - vor allem aus dem Aachener Revier und dem Ruhrgebiet. Etwa 20 Neue kommen Jahr für Jahr hinzu, doch die Anzahl bleibt konstant, weil eben auch Kumpel sterben.
    Uwe Jürgens, Reha-Manager bei der Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie, kümmert sich um die vielen Kumpel mit der sogenannten Kohlelunge.
    Uwe Jürgens, Reha-Manager bei der Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie (Moritz Küpper / Deutschlandradio)
    "Das ist jetzt eine Grundeinstellung von zwei Liter, wenn wir das jetzt hochfahren, wird das Gerät auch lauter."
    Er greift nach dem anhängenden Plastikschlauch:
    "Die Nasenbrille, ja."
    Dadurch kommt der Sauerstoff. Bis zu 16 Stunden am Tag muss das Gerät angebracht sein - doch eine Kur, ist die Therapie nicht:
    "Nehme ich immer mein Standard-Beispiel, die Treppe, die ich runtergehe und mit jeder weiteren Stufe geht es mir ein bisschen schlechter, aber viele haben auch mal Glück und bleiben auf einer Stufe über viele Jahre stehen. Dann wird es nicht besser, aber auch nicht schlechter und man kämpft sich weiter so durch."
    "Jetzt ist er weg vom Fenster"
    Über die Jahre und Jahrzehnte, gab es dafür sogar eine Redewendung im Pott, denn jene Kumpel, die wegen ihrer Atemnot nicht mehr einfahren konnten, saßen meist als Frührentner am Fenster, um besser atmen zu können. Verstarb dieser Bergmann, sagten die Kumpels in der Zeche oft: "Jetzt ist er weg vom Fenster". Direkt - und traurig. Dennoch: Auch Reha-Manager Jürgens, der Mann mit dem Sauerstoff, verspürt keine Bitterkeit bei seinen Patienten:
    "Also, Verbitterung nicht, eher immer noch so einen Stolz: Ich bin einer von der alten Garde, ich habe was geschafft und ich würde es auch wieder machen."
    Beim Gottesdienst im Essener Dom erhalten auch diese Kumpel von Bischof Overbeck dann die finalen Worte:
    "Und segne Euch der barmherzige und gütige Gott. Der Vater und der Sohn und der Heilige Geist."
    "Amen."
    Dann ziehen sie in die Nacht. Mit ihren Grubenlampen. Und auch die hölzerne Barbara-Figur kehrt zurück auf die siebte Sohle in 1.200 Meter Tiefe Prosper Haniel. Aufpassen, bis die letzte Zeche endgültig versiegelt wird.