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Zum Ausgang der Wahlen in Österreich

Müller: Die konservative ÖVP ist die strahlende Gewinnerin in Österreich. Die Partei von Kanzler Schüssel ist deutlich stärkste Kraft geworden. Jörg Haiders FPÖ hat kräftig Federn lassen müssen und kommt lediglich auf 10 Prozent. Die Sozialdemokraten, die SPÖ, gewinnen zwar hinzu, rangieren jetzt aber lediglich im Parlament nur noch auf Platz 2. Am Telefon sind wir nun mit dem früheren Wiener Bürgermeister, Helmut Zilk, Mitglied der SPÖ verbunden. Guten Morgen.

    Zilk: Guten Morgen.

    Müller: Herr Zilk, gestern gegen 17:15 Uhr kamen die ersten Hochrechnungen im Fernsehen. Haben Sie da Ihren Augen und Ohren getraut?

    Zilk: Na ja, ich habe meinen Augen und Ohren getraut, weil ich nicht mit einem guten Ergebnis für meine Partei gerechnet habe. Allerdings war ich überrascht über das Ausmaß, das sich abgespielt hat. Das ist ja mehr als ein Erdrutsch gewesen.

    Müller: Haben Sie eine Erklärung für diesen Erdrutsch?

    Zilk: Ja. Ich glaube, es gibt viele Erklärungen. Ich kann nur aus dem Stehgreif sagen, was ich mir vorher schon gedacht habe: Die SPÖ hat keinen attraktiven Wahlkampf geführt. Der Wahlkampf war lau. Für diesen Wahlkampf hätte man sich nicht einen Experten aus Amerika holen müssen. Zweitens stand natürlich ein Kandidat zur Verfügung, der ein sehr kluger, guter und gescheiter Mann, vielsprachig, gebildet ist. Aber natürlich kein Strahlemann. Ich habe einmal gesagt, dass ihm das Charisma fehlt und er vor allen Dingen heftig darunter leiden musste, dass die Strategen den Wahlkampf auf die Persönlichkeiten polarisiert haben, und bin dafür heftig, auch von meinen Freunden, kritisiert worden. Nun gibt es den Kanzler-Bonus. Schüssel hat sich in den letzten Jahren entwickelt - das kann man ihm auch nicht absprechen - und hat immerhin vier Jahre hinter sich. Der andere hatte nichts hinter sich, außer dass er ein bisschen Opposition gemacht hat. Also, auch das war sicherlich falsch und daher war auch das Programm nicht attraktiv genug. Dann kommt noch das Beispiel natürlich hinzu: Für den Schüssel war natürlich die Bundesrepublik - ich hoffe, die deutschen Hörer und meine deutschen Freunde sind mir nicht allzu böse -, das deutsche Beispiel tragfähig für die ÖVP, denn Sie müssen eines ganz klar erkennen. Die SPÖ hat ununterbrochen erzählt, wie schlecht die Lage in Österreich ist und gleichzeitig sind sie überflutet worden mit Zahlen, an die niemand zu denken gewagt hätte, ob es die Arbeitslosenquote, das Wirtschaftswachstum oder auch das Budgetdefizit ist. Das hat eigentlich dem Schüssel geholfen und klugerweise hat er darauf verzichtet - das wäre ja noch schrecklicher gewesen -, dass man Ihren Bundeskanzler eingeladen hat. Der hat nämlich dann selbst aus weiser Voraussicht darauf verzichtet. Ich meine, es spielen viele Moment eine Rolle, aber es war sicherlich vor allen Dingen ein schlechter Wahlkampf.

    Müller: Herr Zilk, reden wir noch einmal über den Kanzler. In der deutschen Presse war in den vergangenen Jahren, aber auch noch in diesen Monaten und Wochen häufig zu lesen: Der wird unterschätzt. Stimmt das?

    Zilk: Ja, das ist richtig. Er ist immer unterschätzt worden. Er ist ein hochintelligenter, sehr gebildeter Mann, der vor allen Dingen eines hat: Er ist zwar auch schon Ende 50, aber eines hat er sich bewahrt, nämlich ein großes Maß an Lernfähigkeit. In Österreich gab es immer ein altes Wort unserer Großmütter - ich weiß nicht, ob es das vielleicht auch in Deutschland gibt. Die Großmütter haben immer gesagt: Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand. Das heißt, er hat im Laufe der Zeit wahnsinnig zugelegt und hat natürlich unendlich viel gelernt. Man hat ihn die ganze Zeit sehr unterschätzt und hat ihm nichts zugetraut. Man hatte ihn ja bereits zum Abfall geworfen, und in Wahrheit hat er Österreich wirklich mehr erbringen können als der Kandidat meiner eigenen Partei.

    Müller: Reden wir über den Shooting-Star der vergangenen Jahre, beziehungsweise bei den Wahlen vor drei Jahren: Jörg Haider, die FPÖ. Sie ist eingebrochen von 27 Prozent auf jetzt nur noch 10 Prozent. Ist das das Ende der politischen Karriere von Jörg Haider?

    Zilk: Ja, meiner Meinung nach ist es das schon längst gewesen. Ich meine, Jörg Haider hat einen phänomenalen Aufstieg gemacht. Er hat eine Partei aus dem nichts geholt, zur zweitstärksten Partei mit 27 Prozent bei der letzten Wahl gemacht. Ich habe immer davor gewarnt. Ich habe auch meine Kollegen im Ausland und in Deutschland immer vor dieser Dämonisierung gewarnt. Der ist zu groß geworden, indem er so dämonisiert wurde. Er hat sich so in eine Rolle, die ihm überhaupt nie zugekommen ist, hineingespielt und er hat ja bei der ersten Niederlage sofort die Federn gelassen. Dazu kommt noch, dass er auch ein hochintelligenter und hochgebildeter Mann ist, aber seelisch sicherlich in einem sehr schwierigen Zustand ist. Ich selber habe gehört, dass er sehr böse war. Er ist wie ein Kind, das in einem gewissen Alter die Bauklötze aufbaut und sie dann immer aus Jux und Tollerei niederstößt. Und er ist auch wie ein Kind, das bettnässt. Bettnässer suchen sich immer Zuwendung. Er erzwingt sich die Zuwendung der Leute durch Eskapaden, die auch über die Leiber der eigenen Partei hinwegschreiten, und das geht auf die Dauer nicht. Ich meine, ich halte seine Karriere für erledigt. In dieser Partei gibt es ganz ernst zu nehmende Demokraten im Sinne der liberalen, demokratischen Tradition, die es auch gibt. Vielleicht haben die jetzt mehr Chancen, zum Beispiel der Finanzminister, den sich der Herr Schüssel für den Wahlkampf noch geholt hat und der immer gesagt hat: Wenn ich eine Regierung mache, dann wird der wieder Finanzminister. Der hat mit dem Herrn Haider gar nichts zu tun.

    Müller: Sie reden von Herrn Grasser...

    Zilk: Ich rede von Herrn Grasser, ja.

    Müller: Hat der einige Punkte für die ÖVP durch seine Bereitschaft in einer möglichen Koalition mitzuarbeiten, auf dem Ticket der ÖVP denn gutgemacht?

    Zilk: Na ja, auf der Liste der ÖVP ist er nicht drauf, aber er hat ihn als seinen Minister angekündigt. Ich will es so sagen - das müssen die Meinungsforscher dann feststellen: Ich bin der festen Überzeugung: In dem Mosaik der Gründe für den Erfolg des Herrn Schüssel spielt sicher die Einstellung zum Herrn Grasser eine große Rolle. Es war ja wie eine Schockwelle, als Herr Schüssel das gesagt hat. Er hatte auch einen ganz guten Ruf. Herr Grasser hat sich auch international - denken Sie doch an die Zeit der Verfolgung Österreichs vor drei Jahren, wie schwer da der Einstieg dieser Fachminister in den Euro-Gremien war -, in sehr schneller Weise Respekt verschafft. Das ist an sich ein guter Mann.

    Müller: Herr Zilk, Sie sind ja Sozialdemokrat, aber wir haben Sie dennoch versucht, aus einer neutralen Position als Interviewpartner zu gewinnen. Sie bemühen sich ja auch darum. Lassen Sie uns doch noch einmal über die FPÖ sprechen. Wenn wir die drei Jahre Regierungsarbeit Revue passieren lassen. Waren die Freiheitlichen denn tatsächlich so schlecht?

    Zilk: Ich würde es so sagen: Bei den Freiheitlichen hat es einige ganz gute Leute gegeben, die sich entwickelt haben. Dazu gehört der Herr Grasser. Dazu gehört zum Beispiel auch die Vizekanzlerin Riess-Passer. Aber sie waren immer überschattet über den direkten oder indirekten Einfluss aus Kärnten des Herrn Haider, der es nicht ertragen hat, dass er letztlich auch aufgrund der internationalen Lage überhaupt keine Chance hatte, in die Regierung zu kommen und im Grunde genommen der erste Zerstörer gewesen ist. Es geht gar nicht so sehr um die Arbeit als um die demokratische Fiktion, die er immer zerstört hat. Ich glaube, der Haider hat sie groß gemacht und der Haider hat sie klein gemacht.

    Müller: Herr Zilk, welche Koalition gibt es jetzt? Herr Schüssel lässt sich alle Optionen offen. Ich kann auch nur meine Wünsche sagen. Ich wünsche mir eine große Koalition. Ich sage das ganz ehrlich. Wir sehen ja hier in dem Land, wie schlecht das ist, wenn so kleine, so knappe Mehrheiten regieren. Bei uns in Österreich spielen die Verfassungsgesetze eine große Rolle. Da braucht man Zweidrittelmehrheiten im Parlament, die wir dann nicht haben. Also, ich bin für eine große Koalition. Noch dazu in einer Welt, die nicht leichter wird. Das brauche ich Ihnen ja nicht erzählen. Das erzählen ja Ihre eigenen und unsere Nachrichten stündlich und täglich, und die europäische Entwicklung wird auch nicht leichter, auch wenn die Europa-Schönredner uns das immer glauben machen wollen, aber so leicht wird es nicht werden. Wir brauchen eine gute Regierung, also eine große Koalition. Da hat die ÖVP einen durchaus beachtlichen und sicheren Vorsprung. In Deutschland ist der Vorsprung ja gering. Also, er hat ja, wenn man die Blauen, also den Restbestand der Freiheitlichen dazu nimmt, dann hat er immerhin auch noch mehrere Abgeordnete darüber. Das ist doch eine satte Mehrheit, und das steht ihm sicher offen. Die anderen kommen nicht in Frage. Aber ich bin dafür, dass sich die Sozialdemokratie jetzt nicht ins Schmolleck stellt und sagen, was der Kanzlerkandidat in unvorsichtiger Weise vor einigen Wochen gesagt hat: Wenn ich nicht Stimmenstärkster werde, dann sind wir Opposition. Wissen Sie, da gibt es ja das Märchen von den Rumpelstilzchen, das immer aufstampft - dass nicht ist, was nicht sein darf. Also, ich halte das für nicht sehr gut. In der Politik muss man Vernunft bewahren und eine SPÖ gehört natürlich in die Regierung.

    Müller: Das war der frühere Wiener Bürgermeister Helmut Zilk. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.