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Zum Fall der irakischen Hauptstadt Bagdad

Müller: Nach dem militärischen Fall der irakischen Hauptstadt Bagdad haben sich die westlichen Verbündeten zurückhaltend über eine möglichen baldigen Sieg geäußert. 'Wir hatten einen guten Tag. Es ist jedoch noch nicht vorbei', sagte US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld gestern Abend in Washington. Vereinzelte Kämpfe und Gefechte gibt es immer noch. In London sind wir nun mit Angus Robertson verbunden. Er ist Mitglied im britischen Unterhaus für die Scottish National Party. Guten Morgen!

    Robertson: Guten Morgen!

    Müller: Haben Sie gestern auch im Fernsehen die Entwicklung in Bagdad verfolgt?

    Robertson: Ja, natürlich habe ich das, wie wohl jeder andere auch. Obwohl ich als Parlamentarier gegen den Krieg gestimmt habe, begrüße ich das Ende des Hussein-Regimes. Es ist ganz einfach zu verstehen, warum die Einwohner Bagdads den Sturz Saddam Husseins begrüßt haben. Es stellt sich für mich jetzt die Frage, wie wir ein demokratisches Irak aufbauen können und wir wie die Wiederherstellung der UNO und des internationalen Rechts wieder erreichen können.

    Müller: Bevor wir über die Zukunft reden - hat Tony Blair recht behalten?

    Robertson: Meiner Meinung nach hat er nicht recht behalten. Das Ende rechtfertigt nicht jede Mittel. Ich war ein starker Unterstützer der Rolle der UNO und der Waffeninspektoren. Wir werden abwarten, denn bis jetzt haben wir nichts von entdeckten Massenvernichtungswaffen gehört. Ich habe wie alle anderen, insbesondere in Deutschland, Frankreich und anderswo, gehofft, dass wir eine friedliche Lösung finden. Das ist alles vorbei. Die USA und die britische Regierung haben einen Krieg geführt. Ich war gegen solch einen Krieg. So wie es jetzt aussieht, ist das irakische Militär größtenteils geschlagen. Da gibt es jetzt nur noch vereinzelten Wiederstand. Die Frage ist jetzt, wie lange es dauern wird, bis es einen totalen Zusammenbruch des irakischen Regimes geben wird und bis wir zu einer Übergangssituation kommen werden, wo wir humanitäre Hilfe leisten können. Dann müssen ein Sicherheitssystem aufgebaut und eine Übergangsregierung gebildet werden.

    Müller: Sie sind Kriegsgegner. Das haben Sie ja mehrfach, auch vor wenigen Wochen im Deutschlandfunk, betont. Hat sich die politische Stimmung in Großbritannien in den vergangenen Tagen verändert?

    Robertson: Wenn man von den Meinungsumfragen spricht, dann muss man zugeben, dass die Unterstützung für den Krieg rasant gestiegen ist, und zwar zu mehr als 50 Prozent. Aber für viele Leute ist es schwierig zu sagen, dass sie für unsere Truppen sind. Das bin ich auch. Sie sind aber gegen den Krieg, wie er geführt worden ist. Ich bin gegen den Krieg, aber ich unterstütze unsere Truppen, die im Irak kämpfen. Die können selber nicht entscheiden, wohin die geschickt werden. Die sind in einer sehr schwierigen Situation. Es ist klar, dass es eine sehr große Mehrheit in Großbritannien und anderswo auch gibt, die eine sehr wichtige Rolle der UNO begrüßen würden. Diese Mehrheit will eine führende Rolle der UNO im Irak sehen. Das ist nicht ganz, so wie man es versteht, die Position der amerikanischen Regierung. Es mag sein, dass die britische Regierung in Sachen UNO-Rolle eigentlich der deutschen und französischen Haltung näher stehen, als der der USA. In den nächsten Tagen werden wir sehen, wie wir die UNO-Rolle auf vorderste Front stellen können.

    Müller: Ich will noch mal nachfragen. Für Sie ist es klar, dass Tony Blair auf UNO-Kurs ist.

    Robertson: Ja, er ist näher auf UNO-Kurs als Bush. Das ist keine Frage. Aber wie wir in der Vergangenheit gesehen haben, ist Blair letzten Endes Bush gefolgt. Ich wünsche, dass Herr Bush versteht, dass es sehr wichtig ist, dass wir eine führende Rolle der UNO erreichen können, bis wir in der Situation sind, wo die Iraker selbst ihre eigene Zukunft entscheiden können. Ich glaube, dass die Position der UNO und des internationalen Rechts eigentlich untergraben worden ist, weil es keine zweite Resolution des Sicherheitsrates gegeben hat. Ich glaube, dass das falsch war. Es ist sehr wichtig für die Zukunft und für die internationale Sicherheit, dass die UNO die wichtigste Rolle behalten kann. Das müssen wir anstreben.

    Müller: Ist dieser vermeintliche UNO-Kurs von Tony Blair auch eine Art Wiedergutmachung in Richtung Europa.

    Robertson: Wir haben schon gestern gesehen, als der britische Außenminister Straw seinen französische Amtskollegen, Herrn de Villepin, getroffen hat. Man hat große Mühe gezeigt, in der Mehrheit der Sachen eine Einstimmung zu erzielen. Ich würde mir sehr wünschen, dass die Beziehungen zwischen Großbritannien und anderen EU-Mitgliedsländern, insbesondere Deutschland und Frankreich, wieder hergestellt wird. Ich hätte es begrüßt, wenn wir zur Zeit, wo wir versucht haben, eine zweite Resolution der UNO zu schaffen, enger zusammen gearbeitet hätten. Das ist nicht gelungen. Meiner Meinung nach müssen wir weniger Richtung Amerika schauen und mehr mit unseren Kollegen und Freunden und Europa arbeiten. Vielleicht ist jetzt die Zeit, wo wir damit anfangen können.

    Müller: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Robertson!

    Link: Interview als RealAudio