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Zum G-8-Gipfel in Evian

Breker: Den Beitrag mitgehört hat der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter. Ihn begrüße ich nun am Telefon. Guten Tag, Herr Walter.

    Walter: Guten Tag.

    Breker: Herr Walter, weltweit kriselt es in der Wirtschaft. Was kann da die Begegnung der Staats- und Regierungschefs in Evian für ein paar Stunden überhaupt bewirken?

    Walter: Früher gab es solche Sachen auch. Sie dauerten auch nicht sehr lange, aber sie waren zielführender. Sie haben für das wirtschaftliche Thema in der Regel sehr viel mehr gebracht als im Verlauf der letzten zehn, fünfzehn Jahre. Das hat mit den Besetzungen zu tun. Wir hatten in den siebziger Jahren, Anfang der achtziger Jahre im Kreis der Staatschefs Menschen, die an Wirtschaft sehr interessiert waren, die von Wirtschaft selbst etwas verstanden und die diese Themen als Herzensangelegenheiten betrachteten. Herausragend waren in dieser Hinsicht natürlich Giscard D'Estaing und Helmut Schmidt. Das haben wir schon seit langem nicht mehr. Auch bei den Finanzministern ist deutlich geworden, dass sie sich eher um je heimische Dinge gekümmert haben als um die internationale Koordination. Insofern ist durch die Besetzung dieses Gremiums und die Erweiterung des Themenspektrums auf Politik, die mit dieser Veränderung der Personen einherging, die Sache für wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Koordination natürlich verwässert.

    Breker: Schauen wir aber mal auf die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen: Der Ölpreis ist moderat, die Zinsen eigentlich weltweit niedrig. Was braucht die Konjunktur denn noch?

    Walter: Zu den Ölpreisen: Die Ölpreise sind für die derzeitige Konjunktursituation außerordentlich hoch. Zu Konjunktursituationen wie dieser hätte früher ein Ölpreis von zwanzig Dollar je Fass gepasst. Heute zahlen wir wegen der Unsicherheit vor allem wohl im Mittleren Osten einen nennenswerten Risikozuschlag. Es sieht nicht so aus, als ob die Sorge um die Ölquellen und die Öltransportwege in der nächsten Zeit vom Tisch gewischt wäre. Wenn uns diese Belastung durch höhere Ölpreise erhalten bleibt, dann ist das zwar für Mexiko, Norwegen und Russland gut, aber für den Rest der Welt schlecht.

    Breker: Dafür haben wir aber einen schwachen Dollar.

    Walter: Wenn wir einen schwachen Dollar haben, dann hilft das auf der einen Seite natürlich vor allen Dingen den armen Amerikanern nicht. Die müssen den vollen Ölpreis zahlen. Wir haben zwar eine gewisse Entlastung durch eine Aufwertung, aber die Aufwertung, die uns die Ölrechnung etwas erträglicher macht, ist natürlich nicht ohne die Gegenbuchung zu bedenken, nämlich dass wir im internationalen Wettbewerb mit unseren Euro-Produktionskosten sehr viel weniger wettbewerbsfähig in Nordamerika, Südamerika und den meisten Teilen Asiens sind. Das bedeutet für die schwachen Europäer, dass sie, da ihre Konjunktur ohnehin fast nur auf dem Exporttopf lief, nun auch noch eine Schwäche in diesem Bereich haben.

    Breker: Könnte es sein, Herr Walter, dass der Wiederaufbau des Irak, so er denn beginnt, zu einer Art Konjunkturprogramm für die Weltwirtschaft wird?

    Walter: Am liebsten würde ich darüber nicht diskutieren. Das ist ein kleines Land. Es ist ein ökonomisch jedenfalls derzeit armes Land. Ob später einmal der Ölreichtum auch wieder zu Reichtum für das Land und die Gesellschaft wird, ist eine Sache, die man für die Iraker hoffen kann, die ich aber für die absehbare Zukunft nicht vor mir sehe als eine realistische Option. Mit anderen Worten: Der Irak muss wieder aufgebaut werden. Das ist richtig. Aber wer die Rechnung bezahlt, weiß keiner. Angesichts der Haushaltsbelastung, die die Welt so hat, vermute ich, dass es mit dem Aufbau des Irak deshalb so langsam vorangeht, weil es keinen bereitwilligen Zahlungsmeister gibt.

    Breker: Um die Konjunktur zu beleben, muss also jeder für sich bei sich zu Hause erst einmal die Hausaufgaben erledigen?

    Walter: Das ohnehin. Ich glaube aber, es wäre in der Tat nützlich gewesen, man hätte sich diesen Termin in Evian vorgenommen als den Versuch einer verständigten internationalen Kooperation in wirtschaftspolitischer Hinsicht. Davon sind wir weit entfernt. Dazu gehört für mich, dass die Europäische Zentralbank, die die Zinsen noch senken kann, sie senken muss und zwar zügig und kräftig. Dazu gehört für mich auch, dass die Europäer erkennen, dass es wahrscheinlich nicht ausreicht, wenn nur die Amerikaner finanzpolitisch den Versuch machen, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Die Japaner können nicht mehr. Sie sind ertrunken im Schlamm. Sie können wirtschaftspolitisch der Welt und sich selbst relativ wenig helfen. Die Japaner brauchen einen schwachen Yen, die Amerikaner wahrscheinlich einen schwachen Dollar wegen des hohen Leistungsbilanzdefizits. Wir Europäer bräuchten entschlossene Politik zur Überwindung der wirtschaftlichen Schwäche. Das ist deshalb so schwer, weil in der Vergangenheit gerade wir Deutschen, aber auch die Italiener oder die Franzosen so viel Geld verschwendet haben und noch immer verschwenden. Diese Verschwendung muss zu Ende gehen, weil wir in Zukunft nicht mehr so viele junge Menschen haben, die für uns arbeiten können. Wir haben keine mehr auf die Welt gebracht. Aus diesem Grund müssen wir einige Einschränkungen jetzt ebenso in Kauf nehmen wie wahrscheinlich konjunkturell anregen durch eine kräftige Steuersatzsenkung. Das hieße aber wieder, dass die Europäer die Phantomdebatte über den Stabilitäts- und Wachstumspakt in eine ernsthafte Debatte um die richtige Wirtschaftspolitik ummünzen müssen.

    Breker: Punkt Eins ist, wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr

    Walter: Sie erwarten von der EZB am Donnerstag ein deutliches Zinssenkungssignal. Meine Frage hierzu wäre: Der SPD-Parteitag, der ja auf Reform gesetzt, den Reformkurs des Kanzlers bestätigt hat - ist das ein Signal, das helfen kann?

    Walter: Das ist ein gutes Zeichen. Wir sollten aber als gebrannte Kinder wissen, es muss jetzt in Gesetz umgegossen werden. Wir sollten wahrnehmen, dass es einige gibt, die sich durch den Beschluss vom Sonntag nicht gebunden fühlen und natürlich weiterhin nicht nur die Stimmung stören, sondern möglicherweise auch noch Entscheidungen in die falsche Richtung lenken. Wer in dieser Situation in Ostdeutschland mit einem Streik die Wochenarbeitsstunden in der Metallindustrie auf 35 Stunden senken will, der hat nichts begriffen.

    Breker: Ein Wort vielleicht noch zur Deflation: Leben wir in einer solchen Gefahr?

    Walter: Mein Urteil ist: Da wir nicht genau wissen, wo der Wechselkurs hingeht, ist für Deutschland die Perspektive eines sinkenden Preisniveaus über mehr als vier Quartale nicht auszuschließen. Mein Urteil ist, es ist eine Wahrscheinlichkeit in einer Größenordnung von 30 Prozent. Wenn man weiß, wie außerordentlich schwierig es ist, sich aus einer Deflation zu befreien - da gibt es ganz wenige Konzepte, die erfolgversprechend sind, wirtschaftspolitisch dagegen anzugehen -, sollten wir alles dafür tun, nicht in diese Situation zu kommen. Für mich ein ernsthaftes Risiko, nicht das wahrscheinlichste Ergebnis, aber ein sehr ernsthaftes und bedeutendes Risiko, das wegen seiner dramatischen Auswirkungen heute schon Anlass sein müsste, Wirtschaftspolitik zu betreiben, damit es nicht dazu kommt.

    Breker: Im Vorfeld des Gipfels, Herr Walter, wurde von einem Wachstum der Weltwirtschaft von drei Prozent geredet. Halten Sie das für möglich, für wahrscheinlich?

    Walter: Ich könnte mir vorstellen, dass wir nicht ganz weit entfernt von drei Prozent am Ende herauskommen werden. Wir Europäer sind ja aber mittlerweile ein alternder Kontinent, und bei uns sind natürlich die Raten sehr viel niedriger. Wenn wir drei Prozent hören, denken wir, das sei sehr viel. In vielen Ländern ist aber bei einem dreiprozentigen Wachstum gerade mal das Einkommen pro Kopf gleich geblieben, weil dort die Bevölkerung zunimmt. Wir sollten vor lauter Begeisterung über diese schöne hohe Zahl nicht vergessen, die Pro-Kopf-Einkommenssteigerungen, die bei einer solchen weltwirtschaftlichen Entwicklung heraus kommen, sind als bescheiden zu bezeichnen. Man muss sagen, es wird nicht zu diesem Ergebnis kommen, wenn nicht die USA deutlich über zwei, zweieinhalb vielleicht, Prozent wachsen und wenn China nicht sieben Prozent wächst. Dort gibt es ja immer noch den Virus, der tobt, und der möglicherweise diese Wachstumsperspektiven stört.

    Breker: In den Informationen am Mittag im Deutschlandfunk war das der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter. Herr Walter, vielen Dank für dieses Gespräch.