Rau: Guten Morgen Herr Müller.
Müller: Blicken wir zu Beginn noch einmal zurück. Warum wollten Sie Bundespräsident werden?
Rau: Das war nicht zuerst mein Wunsch, obwohl ich das Amt gern wahrnehme, sondern viele meiner politischen Freunde und über diesen Kreis hinaus haben sich gewünscht, dass ich meine Gaben in dieses Amt einbringen könnte. Und ich bin froh darüber, dass ich das kann.
Müller: Es gab auch politische Freunde, die Probleme damit hatten, die das kritisiert haben. Hat Sie das geärgert?
Rau: Natürlich ist man, wenn man manche Zustimmung nicht findet, darüber nicht gerade fröhlich, aber man versucht dann in der Art, in der man sein Leben führt und sein Wort macht, auch solche Menschen zu überzeugen. Das haben bisher alle Bundespräsidenten getan und sie haben damit Erfolg gehabt.
Müller: Müssen Sie als Bundespräsident Ihre politische Methode, Ihre politische Kommunikation ändern?
Rau: Der entscheidende Unterschied ist der, dass man als Bundespräsident nicht unmittelbar an Entscheidungen mitwirkt. Man hat nicht wie als Ministerpräsident in der wöchentlichen Kabinettsitzung Entscheidungen zu treffen oder vorzubereiten, sondern man hat Entwicklungen zu begleiten. Das ist ein sehr viel leiserer Prozess als der des agierenden Politikers. Darauf muss man sich einstellen. Das wird auch öffentlich kommentiert und nicht immer freundlich bewertet, aber damit kann man gut leben.
Müller: Wünschen Sie sich mehr politischen Einfluss?
Rau: Ich glaube, dass die Väter unserer Verfassung mit Recht das Amt des Bundespräsidenten so zugeschnitten haben wie es ist. Es soll nicht jemand sein, der wie Hindenburg den Staat mitgestaltet, indem er über Notverordnungen Einfluss nimmt auf die Politik. Wir brauchen auch keine Notverordnungen, weil wir funktionierende Regierungen in Bund und Ländern haben. Ich glaube, dass wir weit weg sind von einer Krise der Demokratie. Wir haben Parteienverdrossenheit erlebt und gehabt, und wir müssen alle immer wieder dafür wirken, dass diese Verdrossenheit zurückgeht durch glaubwürdige Politiker und ihr Handeln. Wir brauchen aber nicht mehr Einfluss für den Bundespräsidenten.
Müller: Sehen Sie die Glaubwürdigkeit der Politik - Sie haben es angesprochen - in der letzten Zeit eher gestärkt oder gab es Rückschläge?
Rau: Es gab Rückschläge, aber die Art und Weise, wie wir mit diesen Rückschlägen umgegangen sind, scheint mir doch zu zeigen, dass die Demokratie in Deutschland stabil ist, dass sie den Herausforderungen gewachsen ist. Diese Herausforderungen sind heute natürlich ganz andere als sie vor 20 oder 25 Jahren waren. Das wird auch in der aktuellen Diskussion immer wieder deutlich.
Müller: Sind Sie als Bundespräsident immer auch noch Sozialdemokrat?
Rau: Es ist eine gute Übung, dass der Bundespräsident keiner politischen Partei angehört. Natürlich gibt er seine Meinung nicht an der Garderobe ab, wenn er sein Amt betritt, aber das Amt ist überparteilich und nach meinem Eindruck wirft mir auch niemand vor, dass ich es parteiisch führte.
Müller: Reden Sie, Herr Bundespräsident, mit Sozialdemokraten über sozialdemokratische Politik?
Rau: Ich rede mit allen Politikern aller politischen Parteien über ihre Entwürfe für die Zukunft, über ihr Handeln. Das geht von der CDU/CSU bis zur PDS. Das gilt für alle politischen Kräfte, die es in Deutschland gibt, soweit sie auf dem Boden der Parlamente agieren.
Müller: Dringen Sie mit Ihren politischen Botschaften, mit Ihren politischen Vorstellungen durch?
Rau: Sicher nicht genug und ganz gewiss gibt es auch einen Teil der Presse, der öffentlichen Meinung, der meinen Weg sehr kritisch sieht, der meint, ich hätte zu wenig Echo, ich inszenierte mich zu wenig. Aber ich glaube, wenn ein Mensch bei sich selber bleibt, dann kann er Glaubwürdigkeit behalten und gewinnen, und wenn er versucht, sich zu inszenieren, dann misslingt das und dann entsteht der Eindruck, dass Mensch und Sache voneinander getrennt sind. Das will ich nicht!
Müller: Wissen Sie, worauf diese Kritik fußt, worauf diese Kritik mündet?
Rau: Die hängt sicher zusammen mit Veränderungen, die wir sowohl in der Politik als auch im Journalismus haben. Ganz gewiss hängt das auch damit zusammen, dass ich nun schon sehr, sehr lange auf der öffentlichen Bühne stehe und dass dann Klischees wiederholt werden, die sich nun mal festgeschrieben haben. Das muss man hinnehmen, damit muss man leben, da darf man nicht bitter sein. Man weis ja selber und man erfährt es in vielen, vielen Briefen und Begegnungen, ob man den Menschen etwas bedeutet und was man ihnen bedeutet.
Müller: Sie suchen immer noch ausführlich das Gespräch mit den "normalen Menschen", mit den "normalen Bürgern". Gibt es dort auch Kritik an Ihrer Amtsführung, an Ihrer Person?
Rau: Nicht so, dass sie mir bewusst würde. Ich empfinde doch sehr viel Zustimmung, sehr viel Aufmerksamkeit und ich glaube, dass wir Politiker und gesellschaftlich Handelnde brauchen, die die Gabe des Zuhörens haben und die erst antworten, wenn sie zugehört haben. Darum habe ich früher mal gesagt, wir sollten nicht in Rednerschulen gehen, sondern auf Zuhörerseminare, damit die Menschen wirklich das Gefühl haben, dass ihre Sache vertreten wird und nicht nur Menschen sich darstellen, die ein politisches Mandat haben.
Müller: "Versöhnen statt spalten", Herr Bundespräsident, war in den letzten Jahrzehnten immer Ihr politisches Kredo gewesen. Sind Sie der Meinung, dass die Politik und die Politiker genügend dafür tun, mehr auf Versöhnung zu setzen denn auf spalten?
Rau: Jedenfalls ist es dringender denn je. Es ist dringender in Ost und West, es ist dringender zwischen den Generationen, zwischen Einheimischen und Fremden. Ich glaube, dass dieses Motto "versöhnen statt spalten" seine Bedeutung nicht verliert, sondern dass es zunehmend ein wichtiges Thema wird für alle gesellschaftlichen Kräfte, denn die Globalisierung, so viel sie uns an wirtschaftlichem Erfolg bringt, bringt auch viel Entheimatung. Deshalb müssen wir darauf achten, dass Menschen sich ihrer Wurzeln bewusst sind, und wir müssen deutlich machen: Es geht nicht um gestaltlose Nebel, sondern es geht um klare Profile. Toleranz ist etwas völlig anderes als Beliebigkeit.
Müller: Ist Toleranz immer noch das Problem der deutschen Gesellschaft?
Rau: Das Problem der Zivilisation überhaupt und der Zivilgesellschaft, mit der wir es in den Industrieländern zu tun haben, ist ganz gewiss das der Toleranz, die nicht abrutschen darf in irgendeine allgemeine und verschwommene Haltung, sondern die gepaart sein muss mit klarem persönlichen Profil, auch mit dem Profil von Gruppen, gesellschaftlichen Kräften, Kirchen und Verbänden. Auf diesem Feld steht der Bundespräsident. Da hört er zu, da redet er und da gestaltet er die Gegenwart mit und er hilft, Entwürfe für die Zukunft zu schaffen.
Müller: "Wir sollten das Staunen nicht verlernen". Das haben wir eben noch in einem Interview-Auszug von Ihnen gehört. Es staunen zumindest immer noch viele darüber, dass die mentalen Gräben zwischen Ost und West immer noch so groß sind. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Rau: Ich glaube, wenn zwei nicht Völker, sondern zwei Gruppen von Völkern 40 Jahre lang getrennt voneinander gelebt haben, dann ist der Anpassungsprozeß ein sehr langer und sehr schwieriger. Vor allen Dingen muss man darauf achten, dass nicht einfach der eine sich nur dem anderen anpasst, dass wir jetzt nicht ein Westgefälle bekommen, sondern dass wir uns öffnen, dass wir auch erkennen, was in den östlichen Ländern gewachsen ist, entstanden ist, geleistet worden ist. Wir können ja die Biographien nicht einfach wegstreichen. Nach meiner Überzeugung sind wir ein ganzes Stück vorangekommen in den letzten zehn Jahren, sicher noch nicht weit genug. Darum sehe ich dort auch ein Feld für meine Arbeit.
Müller: Sehen Sie dieses Problem auch mit Blick auf die jüngeren Generationen oder ist es dort anders?
Rau: Die jüngere Generation ist nach meiner Meinung genauso bereit zum Engagement wie die ältere Generation, aber sie ist weniger bereit, sich zu organisieren. Darum müssen wir nach Formen fragen, wie junge Menschen ihr Engagement, ihre Bereitschaft zu handeln einbringen können in eine Gesellschaft, die doch auch zu Verkrustungen neigt und die diese Verkrustungen aufzuheben versuchen muss.
Müller: Vom "geselligen Johannes Rau", Herr Bundespräsident, ist häufig die Rede, gerade bei abendlichen Veranstaltungen im kleinen Kreis. Letzte Frage: Wo haben Sie Ihre Anekdoten her?
Rau: Ich habe ein ganz gutes Gedächtnis für Geschichten und Anekdoten. Ich habe auch ein Gespür für Situationskomik. Dann behält man die Dinge und irgendwann kommen sie gerade in geselliger Runde wieder zum Vorschein. Man erzählt sie, man malt sie aus, man schmückt auch ein bisschen aus und das macht ausgesprochen Freude, wenn man das Gefühl hat, dass man anderen Menschen Freude vermitteln kann in einer Zeit, in der es doch viel Sauertöpfisches gibt.
Müller: Bundespräsident Johannes Rau war das. - Vielen Dank für das Gespräch und Ihnen noch einen schönen Tag!
Link: Interview als RealAudio
Müller: Blicken wir zu Beginn noch einmal zurück. Warum wollten Sie Bundespräsident werden?
Rau: Das war nicht zuerst mein Wunsch, obwohl ich das Amt gern wahrnehme, sondern viele meiner politischen Freunde und über diesen Kreis hinaus haben sich gewünscht, dass ich meine Gaben in dieses Amt einbringen könnte. Und ich bin froh darüber, dass ich das kann.
Müller: Es gab auch politische Freunde, die Probleme damit hatten, die das kritisiert haben. Hat Sie das geärgert?
Rau: Natürlich ist man, wenn man manche Zustimmung nicht findet, darüber nicht gerade fröhlich, aber man versucht dann in der Art, in der man sein Leben führt und sein Wort macht, auch solche Menschen zu überzeugen. Das haben bisher alle Bundespräsidenten getan und sie haben damit Erfolg gehabt.
Müller: Müssen Sie als Bundespräsident Ihre politische Methode, Ihre politische Kommunikation ändern?
Rau: Der entscheidende Unterschied ist der, dass man als Bundespräsident nicht unmittelbar an Entscheidungen mitwirkt. Man hat nicht wie als Ministerpräsident in der wöchentlichen Kabinettsitzung Entscheidungen zu treffen oder vorzubereiten, sondern man hat Entwicklungen zu begleiten. Das ist ein sehr viel leiserer Prozess als der des agierenden Politikers. Darauf muss man sich einstellen. Das wird auch öffentlich kommentiert und nicht immer freundlich bewertet, aber damit kann man gut leben.
Müller: Wünschen Sie sich mehr politischen Einfluss?
Rau: Ich glaube, dass die Väter unserer Verfassung mit Recht das Amt des Bundespräsidenten so zugeschnitten haben wie es ist. Es soll nicht jemand sein, der wie Hindenburg den Staat mitgestaltet, indem er über Notverordnungen Einfluss nimmt auf die Politik. Wir brauchen auch keine Notverordnungen, weil wir funktionierende Regierungen in Bund und Ländern haben. Ich glaube, dass wir weit weg sind von einer Krise der Demokratie. Wir haben Parteienverdrossenheit erlebt und gehabt, und wir müssen alle immer wieder dafür wirken, dass diese Verdrossenheit zurückgeht durch glaubwürdige Politiker und ihr Handeln. Wir brauchen aber nicht mehr Einfluss für den Bundespräsidenten.
Müller: Sehen Sie die Glaubwürdigkeit der Politik - Sie haben es angesprochen - in der letzten Zeit eher gestärkt oder gab es Rückschläge?
Rau: Es gab Rückschläge, aber die Art und Weise, wie wir mit diesen Rückschlägen umgegangen sind, scheint mir doch zu zeigen, dass die Demokratie in Deutschland stabil ist, dass sie den Herausforderungen gewachsen ist. Diese Herausforderungen sind heute natürlich ganz andere als sie vor 20 oder 25 Jahren waren. Das wird auch in der aktuellen Diskussion immer wieder deutlich.
Müller: Sind Sie als Bundespräsident immer auch noch Sozialdemokrat?
Rau: Es ist eine gute Übung, dass der Bundespräsident keiner politischen Partei angehört. Natürlich gibt er seine Meinung nicht an der Garderobe ab, wenn er sein Amt betritt, aber das Amt ist überparteilich und nach meinem Eindruck wirft mir auch niemand vor, dass ich es parteiisch führte.
Müller: Reden Sie, Herr Bundespräsident, mit Sozialdemokraten über sozialdemokratische Politik?
Rau: Ich rede mit allen Politikern aller politischen Parteien über ihre Entwürfe für die Zukunft, über ihr Handeln. Das geht von der CDU/CSU bis zur PDS. Das gilt für alle politischen Kräfte, die es in Deutschland gibt, soweit sie auf dem Boden der Parlamente agieren.
Müller: Dringen Sie mit Ihren politischen Botschaften, mit Ihren politischen Vorstellungen durch?
Rau: Sicher nicht genug und ganz gewiss gibt es auch einen Teil der Presse, der öffentlichen Meinung, der meinen Weg sehr kritisch sieht, der meint, ich hätte zu wenig Echo, ich inszenierte mich zu wenig. Aber ich glaube, wenn ein Mensch bei sich selber bleibt, dann kann er Glaubwürdigkeit behalten und gewinnen, und wenn er versucht, sich zu inszenieren, dann misslingt das und dann entsteht der Eindruck, dass Mensch und Sache voneinander getrennt sind. Das will ich nicht!
Müller: Wissen Sie, worauf diese Kritik fußt, worauf diese Kritik mündet?
Rau: Die hängt sicher zusammen mit Veränderungen, die wir sowohl in der Politik als auch im Journalismus haben. Ganz gewiss hängt das auch damit zusammen, dass ich nun schon sehr, sehr lange auf der öffentlichen Bühne stehe und dass dann Klischees wiederholt werden, die sich nun mal festgeschrieben haben. Das muss man hinnehmen, damit muss man leben, da darf man nicht bitter sein. Man weis ja selber und man erfährt es in vielen, vielen Briefen und Begegnungen, ob man den Menschen etwas bedeutet und was man ihnen bedeutet.
Müller: Sie suchen immer noch ausführlich das Gespräch mit den "normalen Menschen", mit den "normalen Bürgern". Gibt es dort auch Kritik an Ihrer Amtsführung, an Ihrer Person?
Rau: Nicht so, dass sie mir bewusst würde. Ich empfinde doch sehr viel Zustimmung, sehr viel Aufmerksamkeit und ich glaube, dass wir Politiker und gesellschaftlich Handelnde brauchen, die die Gabe des Zuhörens haben und die erst antworten, wenn sie zugehört haben. Darum habe ich früher mal gesagt, wir sollten nicht in Rednerschulen gehen, sondern auf Zuhörerseminare, damit die Menschen wirklich das Gefühl haben, dass ihre Sache vertreten wird und nicht nur Menschen sich darstellen, die ein politisches Mandat haben.
Müller: "Versöhnen statt spalten", Herr Bundespräsident, war in den letzten Jahrzehnten immer Ihr politisches Kredo gewesen. Sind Sie der Meinung, dass die Politik und die Politiker genügend dafür tun, mehr auf Versöhnung zu setzen denn auf spalten?
Rau: Jedenfalls ist es dringender denn je. Es ist dringender in Ost und West, es ist dringender zwischen den Generationen, zwischen Einheimischen und Fremden. Ich glaube, dass dieses Motto "versöhnen statt spalten" seine Bedeutung nicht verliert, sondern dass es zunehmend ein wichtiges Thema wird für alle gesellschaftlichen Kräfte, denn die Globalisierung, so viel sie uns an wirtschaftlichem Erfolg bringt, bringt auch viel Entheimatung. Deshalb müssen wir darauf achten, dass Menschen sich ihrer Wurzeln bewusst sind, und wir müssen deutlich machen: Es geht nicht um gestaltlose Nebel, sondern es geht um klare Profile. Toleranz ist etwas völlig anderes als Beliebigkeit.
Müller: Ist Toleranz immer noch das Problem der deutschen Gesellschaft?
Rau: Das Problem der Zivilisation überhaupt und der Zivilgesellschaft, mit der wir es in den Industrieländern zu tun haben, ist ganz gewiss das der Toleranz, die nicht abrutschen darf in irgendeine allgemeine und verschwommene Haltung, sondern die gepaart sein muss mit klarem persönlichen Profil, auch mit dem Profil von Gruppen, gesellschaftlichen Kräften, Kirchen und Verbänden. Auf diesem Feld steht der Bundespräsident. Da hört er zu, da redet er und da gestaltet er die Gegenwart mit und er hilft, Entwürfe für die Zukunft zu schaffen.
Müller: "Wir sollten das Staunen nicht verlernen". Das haben wir eben noch in einem Interview-Auszug von Ihnen gehört. Es staunen zumindest immer noch viele darüber, dass die mentalen Gräben zwischen Ost und West immer noch so groß sind. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Rau: Ich glaube, wenn zwei nicht Völker, sondern zwei Gruppen von Völkern 40 Jahre lang getrennt voneinander gelebt haben, dann ist der Anpassungsprozeß ein sehr langer und sehr schwieriger. Vor allen Dingen muss man darauf achten, dass nicht einfach der eine sich nur dem anderen anpasst, dass wir jetzt nicht ein Westgefälle bekommen, sondern dass wir uns öffnen, dass wir auch erkennen, was in den östlichen Ländern gewachsen ist, entstanden ist, geleistet worden ist. Wir können ja die Biographien nicht einfach wegstreichen. Nach meiner Überzeugung sind wir ein ganzes Stück vorangekommen in den letzten zehn Jahren, sicher noch nicht weit genug. Darum sehe ich dort auch ein Feld für meine Arbeit.
Müller: Sehen Sie dieses Problem auch mit Blick auf die jüngeren Generationen oder ist es dort anders?
Rau: Die jüngere Generation ist nach meiner Meinung genauso bereit zum Engagement wie die ältere Generation, aber sie ist weniger bereit, sich zu organisieren. Darum müssen wir nach Formen fragen, wie junge Menschen ihr Engagement, ihre Bereitschaft zu handeln einbringen können in eine Gesellschaft, die doch auch zu Verkrustungen neigt und die diese Verkrustungen aufzuheben versuchen muss.
Müller: Vom "geselligen Johannes Rau", Herr Bundespräsident, ist häufig die Rede, gerade bei abendlichen Veranstaltungen im kleinen Kreis. Letzte Frage: Wo haben Sie Ihre Anekdoten her?
Rau: Ich habe ein ganz gutes Gedächtnis für Geschichten und Anekdoten. Ich habe auch ein Gespür für Situationskomik. Dann behält man die Dinge und irgendwann kommen sie gerade in geselliger Runde wieder zum Vorschein. Man erzählt sie, man malt sie aus, man schmückt auch ein bisschen aus und das macht ausgesprochen Freude, wenn man das Gefühl hat, dass man anderen Menschen Freude vermitteln kann in einer Zeit, in der es doch viel Sauertöpfisches gibt.
Müller: Bundespräsident Johannes Rau war das. - Vielen Dank für das Gespräch und Ihnen noch einen schönen Tag!
Link: Interview als RealAudio