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Zum Kosovo-Konflikt und dem EU-Gipfel in Berlin

Heinemann: Als Ratspräsident ohne funktionierende Europäische Kommission und Regierungschef mit kommissarischem Finanzminister ist Bundeskanzler Schröder morgen Gastgeber des europäischen Gipfels. In Berlin sollen mit der "Agenda 2000" die Weichen für die Erweiterung der Union Richtung Osten gestellt werden. Damit nicht genug: Die Staats- und Regierungschefs werden auch um das Thema Kosovo nicht herumkommen. Es gibt also viel zu tun. Zu denjenigen, die den Gipfel vorbereitet haben, gehört Michael Steiner, der Leiter der Abteilung Außenpolitik im Bundeskanzleramt. Guten Morgen!

    Steiner: Guten Morgen Herr Heinemann!

    Heinemann: Herr Steiner, die deutschen Bauern protestieren gegen die Kürzung der Subventionen. Auch Politiker, etwa der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber, sprechen von einer Vernichtung von Arbeitsplätzen. Will die Bundesregierung die Finanzen der EU auf Kosten der Bauern sanieren?

    Steiner: Sie haben Recht, das ist keine einfache Woche. Wir haben das Thema Kosovo, wir haben das Thema des Rücktritts der Kommission und jetzt vor allem die Frage der "Agenda 2000". Da ist es natürlich etwas amüsant, auch noch die Ratschläge der Opposition zu hören, wie man hier an die Erblast der alten Regierung herangeht. Tatsache ist doch, daß wir alle eine Stabilisierung der Ausgaben wollen, und dies ist auch das, was der Bundeskanzler in seinen Gesprächen mit seinen Kollegen in der letzten Woche ja verfolgt hat, und dies sollte eigentlich auch von der Opposition unterstützt werden.

    Heinemann: Aber unterm Strich werden die Bauern dann doch weniger verdienen?

    Steiner: Mein Eindruck ist - das kann man ja auch ablesen an den Reaktionen -, daß das, was Minister Funke an dem Agrarkompromiß erreicht hat, durchaus etwas ist, was auch von den deutschen Bauern mitgetragen werden kann.

    Heinemann: Der französische Europaminister Pierre Moscovici hat im "Spiegel" gesagt, für seine Regierung gäbe es noch gar keinen Agrarkompromiß. Werden die Staats- und Regierungschefs jetzt in Berlin über Rindfleischpreise und Milchquoten verhandeln?

    Steiner: Sicherlich ist es so, daß wir noch keine Einigung haben, und gerade in einer solchen Situation braucht man natürlich Unterstützung, auch von seiten der Opposition, und darf nicht in eine Situation kommen, wo nun aus dem eigenen Land die Dinge eher schwerer gemacht werden. Es muß hier also noch einiges getan werden. Die Agenda, auch der Agrarteil sind noch nicht in trockenen Tüchern und da wird noch einige Anstrengung erforderlich sein. Es gibt aber durchaus Chancen, daß wir es erreichen. Nur eine Erfolgsgarantie haben wir noch nicht.

    Heinemann: Morgen wird durchaus noch über die Details gesprochen im Kreis der Staats- und Regierungschefs?

    Steiner: Die Staats- und Regierungschefs haben natürlich auch ihre Berater bei sich. Sie werden letztlich eine Entscheidung treffen müssen, das ist richtig, aber natürlich auch aufgrund der Beratung ihrer Fachleute.

    Heinemann: Herr Steiner, ist die Kofinanzierung vom Tisch?

    Steiner: Die Sache ist ja so, daß wir durchaus diesen Ansatz für richtig gehalten hätten, aber unsere französischen Freunde hier die bekannten Reserven erhoben haben. Nach Lage der Dinge wird es nicht möglich sein, hier einen Konsens - und wir brauchen ja einen Konsens - zu erreichen. Dies ist nun einmal so, und wir hätten durch einen Insistieren auf der Kofinanzierung auch den Kompromiß im Agrarbereich niemals erreichen können. Deswegen mußten wir zu unserem Bedauern, aber so ist nun einmal die Lage, diesen Snastz aufgeben, um zu erreichen, daß die Agrarminister etwas vorlegen konnten, auf dessen Basis wir hoffentlich einen Gesamtkompromiß erreichen werden.

    Heinemann: Über die Kofinanzierung wird also nicht mehr gesprochen?

    Steiner: Ich bin sicher, daß der eine oder andere Staat dieses Thema noch erwähnen wird. Die Präsidentschaft kann ja nicht für alle handeln. Wir können hier nur in nationaler Eigenschaft handeln. Die nationale Eigenschaft haben wir in der Tat erklärt, daß Deutschland dieses Thema nicht weiter forcieren wird. Andere Staaten mögen dies tun. Ich glaube aber nicht, daß die Kofinanzierung ein entscheidendes Element einer Lösung sein wird, so wie die Dinge stehen, so wie die französische Haltung ist, die wir auch zu respektieren haben.

    Heinemann: Herr Steiner, Beitragsrabatte für die Briten, Geld aus dem Kohäsionsfonds für zum Beispiel die Spanier, die Franzosen also gegen die Kofinanzierung. Bleibt es bei der alten europäischen Rollenverteilung, jeder kriegt was er will und die Deutschen zahlen die Zeche?

    Steiner: Nein, auf keinen Fall. Das hat ja auch der Kanzler klargemacht auf seiner Rundreise und schon im Vorfeld. Ich glaube, eine Neuerung der Debatte ist ja die, daß nun alle anerkennen, daß die Nettozahlerposition einiger Staaten, Deutschlands, der Niederlande, der Schweden und der Österreicher, so nicht weiter hingenommen werden kann. Es gibt eine allgemeine Bereitschaft, hier etwas zu tun. Voraussetzung dafür ist, daß alle sich bewegen, auch die von Ihnen genannten Staaten. Ohne eine Bewegung von allen Seiten auf eine gemeinsame Lösung zu werden wir zu keiner Gesamtlösung kommen, und die ist ja immer noch nicht gesichert. Wir haben die Voraussetzung dafür, daß wir es schaffen werden. Die Parameter der Diskussion sind jetzt so verengt worden, daß wir eine Möglichkeit haben, zu einer Lösung zu kommen, und zwar unter der Überschrift der Stabilisierung der Ausgaben und Mittel. Dies ist ja das Leitmotiv geworden. Insofern haben wir eben eine große Veränderung zur Lage und zur Diskussion von vor einem Jahr, und das hat ja auch der Bundeskanzler in seinen vielen Gesprächen erreicht. Sicher ist das ganze aber noch nicht.

    Heinemann: Der Kanzler hat immer wieder kritisiert, daß die Deutschen zu viel nach Brüssel zahlen, teilweise mit Vokabeln aus der Küche: "verbraten". Nun ist er Bundeskanzler und Ratspräsident. Welchen Rabatt wird er denn heraushandeln?

    Steiner: Es wäre nicht sehr weise, dies hier zunächst über die Öffentlichkeit mitzuteilen. Hier kommt es darauf an, daß man in vertraulichen Gesprächen zu einer Lösung kommt, die von allen Seiten getragen werden kann. Das entscheidende wird letztlich sein, nach welchem Maßstab man die Ergebnisse mißt, und der objektivste Maßstab, den man hier anwenden kann, ist der Anteil am jeweiligen Bruttosozialprodukt, der geleistet wird nach Brüssel. Das muß in einem vernünftigen Verhältnis stehen, wobei wir auch wissen, daß wir die Nettozahlerposition Deutschlands nicht radikal verändern können. Das kann nur ein Prozeß sein. Es kann nur darum gehen, den Trend umzukehren. Wir müssen ja sehen, daß wir hier mit einer Sisyphos-Arbeit zu tun haben aufgrund der Lage, die die neue Regierung ja vorgefunden hat.

    Heinemann: Die Staats- und Regierungschefs werden sich in Berlin auch mit der zugespitzten Lage im Kosovo beschäftigen. Sie sind vielleicht wie kein zweiter in Bonn berufen, über die Situation zu sprechen. Sie waren Stellvertreter des Koordinators der Vereinten Nationen für Bosnien. Das Gespräch zwischen US-Vermittler Holbrooke und Milosevic ist offenbar ergebnislos beendet worden. Sehen Sie noch eine Chance für eine politische Lösung, die diesen Namen verdient?

    Steiner: Man muß gerade in einer solchen Lage immer alles darauf setzen, Gewaltmaßnahmen zu vermeiden. Die Chancen sind gering. Da darf man sich nichts vormachen und man muß ja auch sehen, wer hier die Verantwortung hat. Die Verantwortlichkeiten sind ganz klar. Man muß auch sehen um was es geht. Es geht darum, die ja schon begonnene humanitäre Katastrophe soweit dies möglich ist zu verhindern. Ich sehe keine großen Chancen, aber die Chancen, die wir haben, die muß man zu ergreifen suchen, auch wenn sie noch so klein sind. Herr Holbrooke wird ja heute noch in Belgrad sein, wird dann zurückkommen. Dann wird man das Ergebnis evaluieren. Eines muß klar sein: Die NATO ist hier entschlossen und kann sich nicht vorführen lassen.

    Heinemann: Herr Steiner, hat die Politik der Kontaktgruppe und der NATO die jetzige Situation nicht mit herbeigeführt? Macht man sich gegenüber einem Slobodan Milosevic - Sie kennen ihn - nicht unglaubwürdig, wenn man immer wieder von letzten Chancen und endgültigen Ultimaten spricht?

    Steiner: Ich glaube persönlich in der Tat, daß in der Vergangenheit hier Fehler gemacht worden sind insofern, als man diesem Problem, das sich ja nun seit vielen Jahren bereits abgezeichnet hat, nicht genügend Aufmerksamkeit gewidmet hat. Niemand soll sich aber täuschen, daß wir an einem Punkt angekommen sind, an dem die NATO nun in großer Entschlossenheit und in einem doch beachtlichen Konsens eine klare Linie vertritt. Diese Linie ist: wir wollen eine friedliche Lösung. Wir hoffen, sie zu erreichen. Deswegen ja auch diese extra Meile, die jetzt noch einmal unternommen worden ist. Ich glaube, für den Frieden muß man alles versuchen. Nur wenn alles nichts nützt, muß man am Ende dann auch zu seiner Entschlossenheit stehen.

    Heinemann: Das heißt, wenn Milosevic einer Stationierung von Friedenstruppen nicht zustimmt, dann wird es zu Militärschlögen kommen?

    Steiner: Schauen Sie, wir haben doch alle die Erfahrung, daß man auf dem Balkan nur auf dem Papier nichts erreichen kann. Wie viele Verträge sind unterzeichnet worden in Bosnien? Was hat Milosevic Holbrooke im letzten Herbst nicht alles zugesagt? Alle diese Zusagen sind nicht eingehalten worden. Also wenn man von der Theorie in die Praxis kommen will, wenn man tatsächlich die Lage vor Ort verändern will, dann braucht man Implementierungstruppen. Deswegen sieht das Abkommen ja auch einen politischen und einen praktischen Teil vor, bei dem es eben darum geht, daß das was man gesagt hat auch tatsächlich passiert. Ohne dieses Element nützen uns Unterschriften und Zusagen, wie die Vergangenheit gezeigt hat, überhaupt nichts.

    Heinemann: Kann der Kosovo als Teil Serbiens jemals befriedet werden?

    Steiner: Ich glaube, daß Sie diese Frage insbesondere stellen müssen an Belgrad. Je mehr Belgrad hier auf einen Konfrontationskurs geht, desto schwieriger wird es werden, hier ein friedliches Zusammenleben zu ermöglichen. Ich persönlich glaube, daß die Friedenstruppen, daß eine implementierte Lösung gerade für Belgrad die letzte Chance ist, hier den Kosovo zu halten. Denn eines ist klar: Wenn Belgrad weiterhin den Kampf - und es sind ja nicht die Serben, sondern es ist Belgrad, das Regime in Belgrad - gegen die Kosovo-Albaner in dieser unerbittlichen Härte führt, dann kann es kaum erwarten, daß diese nun mit Begeisterung in diesem Staat bleiben wollen.

    Heinemann: Michael Steiner, der Leiter der Abteilung Außenpolitik im Kanzleramt, in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Herr Steiner, haben Sie vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören nach Bonn.