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Zum Rücktritt von Fischer und Funke

Heinemann: Am Telefon begrüße ich nun SPD-Generalsekretär Franz Müntefering. Guten Morgen!

    Müntefering: Guten Morgen.

    Heinemann: Herr Müntefering, wie verlief das gestrige Treffen? Was wurde beschlossen?

    Müntefering: Wir haben bis Mitternacht zusammengesessen. Heute Morgen um neun bespricht sich das Präsidium der SPD, um zehn der Parteirat der Grünen und um zwölf Uhr wird der Kanzler dann die Ergebnisse bekannt geben. Es gibt Einvernehmen über die besondere Betonung und Bedeutung des Verbraucherschutzes in der ganzen Konstruktion, so wie sie jetzt vereinbart ist. Die Parteien werden jeweils ihre Personalentscheidungen treffen und auch verantworten.

    Heinemann: Wie werden die Ministerien denn zugeschnitten?

    Müntefering: Das wird der Kanzler Ihnen heute Mittag sagen. Ich will aber so viel sagen: der Verbraucherschutz wird neues Gewicht gewinnen. Es werden die Verantwortungen dort gebündelt und es wird natürlich das Hauptbestreben unserer Aufgabe sein, mit der neuen Besetzung im Ministerium dann zu erreichen, dass die Menschen so schnell wie möglich wissen, dass die Risiken minimiert sind und dass das, was auf den Tisch kommt, auch wieder gesund ist.

    Heinemann: Wird es denn ein eigenständiges Landwirtschaftsministerium geben?

    Müntefering: Es wird auch in Zukunft natürlich der ganze Agrarbereich und die Landwirtschaft in der Politik eine Rolle spielen. Wir sind daran interessiert, dass die Landwirtschaft in Deutschland eine Zukunft bekommt, sowohl die traditionelle als auch die ökologische. Das wird es beides geben und die werden sich bei uns gut aufgehoben fühlen dürfen. Allerdings die Erwartung an die Oberfunktionäre der Landwirte ist natürlich auch, dass sie das jetzt nicht parteipolitisch spielen, sondern dass sie sich bewusst sind, dass sie selbst dazu beigetragen haben, das Thema BSE zu verschleppen, und dass es auch gar keinen Grund gibt, Herrn Stoiber, Frau Stamm und Herrn Miller in Bayern freizusprechen. Wir haben die Konsequenzen gezogen. Wir tun das; bei der CDU/CSU steht das noch an.

    Heinemann: Noch einmal die Frage: Gibt es in Zukunft einen Bundeslandwirtschaftsminister?

    Müntefering: Es gibt einen Minister/eine Ministerin, die natürlich auch zuständig sind für den Agrarbereich.

    Heinemann: Sind die Namen Bärbel Höhn und Martin Wille noch im Rennen?

    Müntefering: Das müssen die beiden Parteien für sich entscheiden. Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dort gibt es eine separate Beratung, denn das liegt bei der jeweiligen Fraktion, bei der jeweiligen Partei, dies zu entscheiden. Deshalb kann ich das jetzt auch noch nicht sagen. Das wird heute Mittag aber feststehen.

    Heinemann: Ist denn gewährleistet, dass die Ministerien bei der BSE-Bekämpfung künftig an einem Strang ziehen werden?

    Müntefering: Ja natürlich. Das ist doch eine ganz wichtige Entscheidung, denn hier arbeiten wir jetzt auf. Da haben Frau Fischer und Herr Funke ohne persönliche Schuld Verantwortung auf sich genommen, die aus ganz alter Zeit auf uns zugekommen ist. Es wird ja auch noch weitergehen mit der Begutachtung und dann Beratung durch Frau von Wedel, denn der Verbraucherschutz muss ja nicht nur horizontal in der Bundesregierung, sondern auch vertikal zwischen Bund, Ländern und vor Ort - und Europa spielt auch noch eine Rolle - vernünftig verordnet sein. Wir wollen, dass dieser Verbraucherschutz wirklich eine dominante Position in diesem Bereich bekommt. Darauf konzentriert sich in diesen Stunden deshalb unser Bemühen.

    Heinemann: Herr Müntefering, wäre jetzt nicht Zeit für eine große oder besser gesagt eine noch größere Regierungsumbildung?

    Müntefering: Das würde der Opposition so passen, aber dafür gibt es keinen Grund.

    Heinemann: Andrea Fischer hat ihren Rücktritt gestern damit begründet, dass das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger im Zusammenhang mit BSE erschüttert sei. Gilt dies nicht auch für die Sicherheit der Renten?

    Müntefering: Nein, das ganz sicher nicht. Gerade was soziale Kompetenz angeht wissen wir, dass die Menschen mit vielen Fragezeichen gucken, wie denn das in den nächsten 20, 30 Jahren weitergehen wird, aber die Kompetenz sehen sie eindeutig bei uns und nicht bei anderen politischen Parteien. Walter Riester hat in seinem Konzept der Alterssicherung die zusätzliche private, kapitalgedeckte Vorsorge, und das ist ein großer historischer Schritt, den wir dort tun und der auch Sicherheit bringt für die kommenden Generationen.

    Heinemann: Haben Sie mitgezählt, wie oft der Sozialminister seine Reform inzwischen nachgebessert hat?

    Müntefering: Das ist ein Werk, das auf 20, 30 Jahre angelegt ist. Nun muss man sich entscheiden: Will man, dass solche Prozesse relativ offen und transparent diskutiert werden, so dass alle nachvollziehen können, die bei Anhörungen sind, was denn dort passiert, oder will man das nur im stillen Kämmerlein machen. Ich habe keine Bedenken, dass in der Demokratie solche Prozesse offen dargestellt werden. Wir werden nun in den nächsten Wochen und Monaten die entsprechenden Entscheidungen im Parlament finden. Eines ist immer klar gewesen: Das Kernstück der Alterssicherung, die zusätzliche private Altersvorsorge, ist unbestritten und wir wollen sie steuerfrei stellen. Herr Stoiber und andere wollen diese private Altersvorsorge nicht steuerfrei stellen, und das werden an dieser Stelle noch interessante Debatten werden, wir hier wirklich das Interesse der Menschen im Blick hat und wer nicht.

    Heinemann: Herr Müntefering, der öffentliche Eindruck von Riesters Rentenreform ist eher der einer Wanderbaustelle.

    Müntefering: Noch einmal: es hat eine ganze Reihe von Punkten gegeben, die korrigiert, die verbessert, die ergänzt worden sind, aber der Kernbereich, den ich eben beschrieben habe, steht und das dauert seine Zeit, so etwas zu vermitteln. Bei all dem, was ich an Umfragen weis, sehen die Menschen unverändert das Vertrauen, dass wir das sehr viel sozialer und gezielter machen als das die Union könnte oder auch die FDP, die sich jetzt auch bei BSE ein bisschen aufbläst.

    Heinemann: Herr Müntefering, sieben Minister in zwei Jahren. Wieso so viele Rücktritte in so kurzer Zeit?

    Müntefering: Ein Minister dabei war ich zum Beispiel. Ich wundere mich immer, wie ich dort gezählt werde. Ich bin damals sehr bewusst und freiwillig aus der Bundesregierung als Bau- und Verkehrsminister herausgegangen und habe die Aufgabe als Generalsekretär übernommen. Ja was ist denn daran schändlich?

    Heinemann: Finden Sie es normal, dass in zwei Jahren sieben Leute den Hut nehmen?

    Müntefering: Es sind eben nicht sieben. Es sind sechs, wenn Sie so wollen, und auch die haben unterschiedliche Gründe dafür gehabt. Die beiden Minister, die nun gestern gegangen sind, Ministerin und Minister - ich sage es noch einmal -, da werden sich Herr Seehofer, Herr Borchert und andere heute Morgen im Spiegel sicher dann doch ein bisschen anders finden, als sie das in den letzten Tagen dargestellt haben, denn das was in Sachen BSE jetzt passiert ist, das ist ein Verschlafen aus der Regierungszeit von Helmut Kohl, die mit großer Arroganz bis jetzt im Augenblick so tun, als ob sie mit der ganzen Sache nichts zu tun hätte. Gerade Herr Stoiber war einer von denen, die geradezu alle Bemühungen um die Bekämpfung von BSE ausgeschlossen haben, weil er ganz besonders für Bayern gesagt hat, wir sind frei davon. Und er muss nun feststellen: auch er hat sich geirrt. Ein bisschen mehr selbstkritische Position wäre da schon ganz hilfreich!

    Heinemann: Wobei die beiden geschassten oder zurückgetretenen Minister ja auch nicht gerade ein vorbildliches Krisenmanagement betrieben haben?

    Müntefering: Nein. Wir haben auch Fehler gemacht, weil wir die Brisanz nicht rechtzeitig erkannt haben und weil wir uns auch sicher gefühlt haben. Ich wende mich hier ja nur gegen die parteipolitische Ausrichtung der Diskussion, die wir in den letzten Stunden an einigen Stellen erleben. Probleme sind dafür da, dass sie gelöst werden. Die beiden Minister haben das ermöglicht, einen neuen Ansatz zu finden, und das ist ehrenwert. Deshalb werden wir das auch heute mit aller Konsequenz beginnen.

    Heinemann: Die Verantwortung für die Politik der Bundesregierung trägt der Bundeskanzler. Entwickelt sich Gerhard Schröder langsam politisch zu einer "lahmen Ente"?

    Müntefering: Die Politik, die wir begonnen haben, den Reformstau, den wir aufgelöst haben, der war dringend erforderlich. Unser Land hatte in der Welt den Ruf der deutschen Krankheit von Bürokratie, von Reformstau. Das ist aufgelöst. Wir haben vieles begonnen. Es ist auch noch eine ganze Menge zu tun. Es gibt viele Herausforderungen in Deutschland, die weit in dieses und ins nächste Jahrzehnt hineingehen. Da wollen wir in den nächsten Monaten und Jahren die politische Debatte gerne führen, wer denn am ehesten diesen Aufgaben gerecht werden kann, sowohl von der Person her als auch von den Inhalten her, und da haben wir ganz gute Karten.

    Heinemann: Man hat nur gelegentlich den Eindruck, dass die Suche nach neuen Ministern inzwischen die Hauptaufgabe des Bundeskanzlers ist?

    Müntefering: Nun ja, das sind so Sprüche. Wenn wie gestern zwei Minister zurücktreten, weil sie persönliche Konsequenzen aus einer solchen Sache ziehen, dann muss natürlich so schnell wie möglich neu besetzt werden. Das tun wir auch und ich finde, dass wir das heute Morgen ohne Hektik machen und heute Mittag bekannt geben, das ist ja kein schlechtes Zeichen.

    Heinemann: Herr Müntefering, über Walter Riester haben wir gesprochen. Bundesaußenminister Joschka Fischer ist wegen seiner gewalttätigen Vergangenheit in die Schlagzeilen geraten. Bundesfinanzminister Hans Eichel wird vorgeworfen, er habe die Flugbereitschaft für private Zwecke genutzt. Welche Note stellen Sie dem Erscheinungsbild der verbleibenden Bundesminister aus?

    Müntefering: Sie haben das Vertrauen der Menschen und das werden sie auch in Zukunft haben. Da Sie die beiden Minister gerade noch einmal angesprochen haben will ich ausdrücklich zu Joschka Fischer sagen: Das ist ja nicht neu, dass man weis, dass er vor 25, 30 Jahren in dieser Szene dabei war. Er sagt heute von sich aus, das war ein Fehler. Er entschuldigt sich. Ich finde, wenn Demokratie einen Sinn haben soll, dann muss es nun auch möglich sein, an der Stelle zu sagen, okay, wir wissen seit zwei, drei Jahrzehnten, dass er zu dieser Demokratie steht, dass er Funktionen inne hat, dass er sie gut vertritt und dass er das mit Überzeugung tut und nun muss es an der Stelle auch mal gut sein. Wenn dort jemand ist, der ihn nun mit Hass verfolgt und unbedingt versucht platt zu machen, dann sollten die Demokraten meiner Meinung nach auch mal zusammenstehen.

    Heinemann: Sollte Hans Eichel zurücktreten, wenn es sich herausstellen sollte, dass er die Flugbereitschaft für private Zwecke genutzt hat?

    Müntefering: Nein. Ich bin auch ganz sicher, dass sich das nicht herausstellt, denn Hans Eichel ist als Minister natürlich bei allen Dingen, die er tut, immer in seiner Funktion auch unterwegs. Die Diskussion an dieser Stelle bin ich gerne bereit, offensiv zu führen. Wenn man sich halbwegs auskennt mit den Terminplänen und mit dem, was Minister an dieser Stelle zu leisten haben, weis man, dass das ohne eine Infrastruktur im Verkehrsbereich, die ja auch die Möglichkeiten nutzt, die es gibt, überhaupt nicht zu gewährleisten ist. Wer Hans Eichel kennt der weis, dass er der allerletzte ist, der sich da auf krumme Geschäfte einlässt.

    Heinemann: SPD-Generalsekretär Franz Müntefering in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. - Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Link: DeutschlandRadio BSE-Linkliste

    Link: Interview als RealAudio