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Zum Sicherheitspaket der Bundesregierung

    Lange: Letzte Woche schien es noch so, als sei das zweite Sicherheitspaket von Bundesinnenminister Otto Schily ein großer Unsicherheitsfaktor für die Zukunft der rot/grünen Koalition in Berlin, denn der Abstand zwischen dem, was Schily für notwendig hielt, und dem, was die Bündnisgrünen mittragen wollten, der war doch reichlich. Aber in den Verhandlungen bis zum Ende der vergangenen Woche haben sie sich dann doch verständigt und aus dem Otto-Katalog ist - so hat es der Grünen-Politiker Özdemir formuliert - eine handliche Postwurfsendung geworden. Ob die nun auch verfassungsrechtlich einwandfrei ist, das wollen wir jetzt zumindest ansatzweise versuchen, mit einem Experten zu erörtern. Ich begrüße am Telefon den früheren Bundesverfassungsrichter Hans Klein. Guten Morgen!

    Prof. Klein: Guten Morgen Herr Lange.

    Lange: Herr Klein, Ihr früherer Richterkollege Dieter Grimm hat noch vor dieser Einigung die Sorge formuliert, dass hier die schwer erkämpften Errungenschaften des Rechtsstaats aufs Spiel gesetzt würden. Nach allem was wir von den politischen Akteuren jetzt über dieses Gesetzespaket wissen, ist diese Sorge berechtigt oder ist sie noch berechtigt?

    Prof. Klein: Ich halte sie nicht für berechtigt. Der Rechtsstaat als solcher ist in der Bundesrepublik Deutschland nicht in Gefahr. Er wäre auch dann nicht in Gefahr geraten, wenn der Otto-Katalog von Herrn Schily sich durchgesetzt hätte. Wesentlich für den Rechtsstaat ist, dass Maßnahmen, die der Staat ergreift, Gesetze, die der Gesetzgeber beschließt, gerichtlich, gegebenenfalls verfassungsgerichtlich überprüft werden können, und dies stand zu keiner Zeit in Frage.

    Lange: Aber gibt es nicht doch einen gewissen Grund zur Sorge, dass dort jetzt im Interesse einer im Grunde nicht erreichbaren Sicherheit Schleusentore geöffnet werden, was zum Beispiel den Umgang der Behörden mit Daten angeht, was die Menge und die Dauer angeht? Wie verträgt sich das mit der informationellen Selbstbestimmung?

    Prof. Klein: Die informationelle Selbstbestimmung ist ein Grundrecht, aber ein Grundrecht, das gesetzlich einschränkbar ist, und zwar nach Maßgabe dessen, was sich je nach Lage der Dinge als notwendig erweist, jedenfalls innerhalb eines gewissen Rahmens. Jede einzelne dieser Maßnahmen muss auf ihre Tauglichkeit und auf ihre Erforderlichkeit hin geprüft werden. Dass dies geschehen wird, steht für mich außer Zweifel, gegebenenfalls eben am Ende gerichtlich. Dadurch ist Rechtsstaatlichkeit in unserem Land gewährleistet.

    Lange: Die FDP kritisiert zum Beispiel, dass Telekommunikations- und Postdienstleister zur Herausgabe von Kundendaten an den Verfassungsschutz verpflichtet werden sollen, selbst wenn kein konkreter Verdacht vorliegt. Ist das nicht eine Spur zu weit?

    Prof. Klein: Ich kann es schwer beurteilen. Man muss, wenn man eine solche Maßnahme trifft, plausible Gründe dafür anführen können, dass den Ziel, der Bekämpfung des Terrorismus, auf diese Weise wirklich gedient werden kann. Wenn der Staat diesen Beweis nicht antreten kann, dann ist die Maßnahme unverhältnismäßig und verfassungswidrig.

    Lange: Nun sollen auch irgendwelche biometrischen Merkmale demnächst in die Ausweispapiere hinein, vielleicht sogar zwei oder drei kombiniert. Das letzte Wort haben Bundestag und Bundesrat. Ist das damit auch verfassungsrechtlich eher unbedenklich?

    Prof. Klein: Es kommt auch dort darauf an, was man damit erreichen zu können meint. Der Fingerabdruck im Personalausweis, um das Beispiel zu nehmen, ist ja nichts prinzipiell Neues. Auch zu Beginn der Geschichte der Bundesrepublik hat es Fingerabdrücke in Personalausweisen gegeben, und der Rechtsstaat in der Bundesrepublik konnte gleichwohl aufgebaut werden.

    Lange: Das heißt bestimmte Dinge könnten sich im Nachhinein als verfassungswidrig erweisen, wenn der Zweck, der damit angeblich erreicht werden sollte, gar nicht erreicht wurde?

    Prof. Klein: Das ist durchaus möglich. Man kann zunächst sagen, eine Maßnahme liegt im Ermessensspielraum des Gesetzgebers und ist deshalb verfassungsrechtlich haltbar. Wenn sich aber im Laufe der Zeit herausstellt, dass sie zur Erreichung des Ziels nichts beiträgt, dann wird sie jedenfalls verfassungswidrig.

    Lange: Vom Tisch, Herr Klein, ist ja offenbar das Recht des Bundeskriminalamts zu einer sogenannten verdachtsunabhängigen Ermittlung. Wie problematisch war dieser Punkt aus Ihrer Sicht?

    Prof. Klein: Ich bin mir nicht sicher, ob hier nicht aus einer Mücke ein Elefant gemacht wurde, denn es steht ja nicht in Zweifel, dass das Bundeskriminalamt bei vorliegendem Verdacht Ermittlungen in die Wege leiten kann. Die Grenzlinie aber zwischen einem vorliegenden schwachen Verdacht und keinem Verdacht ist im Einzelfall sehr schwer zu ziehen, so dass ich in der jetzt getroffenen Regelung eigentlich keinen großen Verlust erblicke. Das Bundeskriminalamt wird gleichwohl handlungsfähig sein.

    Lange: Der Verfassungsschutz soll künftig die Beschäftigten sensibler Betriebe überprüfen, Flughäfen, Wasser- und Energiebetriebe, Rundfunkanstalten. Auch da die Frage: ist dort die Verhältnismäßigkeit nach Ihrer Einschätzung gewahrt?

    Prof. Klein: Wenn ich mich in die Lage derer versetze, die in einem zivilen Flugzeug sitzen, und damit rechnen müssen, dass das Reinigungspersonal vorher unter einem Sitz eine Pistole für eventuelle Attentäter hinterlegt hat, dann kann ich darin nichts Unverhältnismäßiges erblicken.

    Lange: Aber es steht dahinter ja wohl auch eine neue Sicherheitsphilosophie, dass im Grunde - ich sage es überspitzt - jeder Beschäftigte ein Risiko darstellt. Schleicht sich da nicht vielleicht etwas ein, was dann doch dem Menschenbild des Grundgesetzes ein wenig widerspricht?

    Prof. Klein: Es gibt gewisse Bereiche, wie beispielsweise den Bereich des Verfassungsschutzes oder den Bereich der Kriminalpolizei, wo es selbstverständlich ist, dass jeder, der in diesen Bereichen tätig ist, auf seine Zuverlässigkeit hin überprüft werden muss. Wenn wir eine Bedrohungssituation wie die gegenwärtige haben, dann trifft dies eben auch die Bereiche, von denen Sie eben gesprochen haben.

    Lange: Also keine Bedenken im großen und ganzen dagegen?

    Prof. Klein: Ich habe im großen und ganzen keine Bedenken, aber ich betone mit Nachdruck, dass die Möglichkeit besteht, jede einzelne Maßnahme auf ihre Tauglichkeit, auf ihre Verhältnismäßigkeit zu überprüfen. Diese Möglichkeit muss gegebenenfalls auch genutzt werden und kann dazu führen, dass die eine oder andere Maßnahme am Ende sich als verfassungswidrig erweist.

    Lange: Herr Klein, am Ende wird das ja auch eine Frage der Balance sein, ob erweiterten Kompetenzen der Sicherheitsbehörden auch wirksame Kontrollmechanismen gegenüberstehen. Ist diese Balance nach Ihrem Eindruck noch so wie sie sein sollte?

    Prof. Klein: Ich habe schon den Eindruck, dass gegenwärtig und nach den mir bekannten Planungen diese Balance besteht. Problematisch würde es dann oder wird es immer dann, wenn Ermittlungen angestellt werden, von denen der Betroffene nichts erfährt, denn dann wird ihm natürlich die Möglichkeit, diese Maßnahmen überprüfen zu lassen, genommen.

    Lange: Und das wäre für Sie der entscheidende Punkt? Da müsste dann etwas geändert werden?

    Prof. Klein: Da wird ein entscheidender Punkt berührt. Es gibt Ausnahmesituationen, wo man auch das akzeptieren muss. Das ist im übrigen ja schon geltendes Recht.

    Lange: In den "Informationen am Morgen" war das Hans Klein, ehemals Richter am Bundesverfassungsgericht. - Ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch und auf Wiederhören! Wir bleiben noch einen Moment bei diesem zweiten Paket an Sicherheitsgesetzen. Was bringen diese Neuregelungen für die Praktiker in der Polizei? Darüber sprechen wir jetzt mit Hermann Lutz, dem Vorsitzenden der Europäischen Polizeigewerkschaft. Guten Morgen Herr Lutz!

    Lutz: Einen schönen guten Morgen!

    Lange: Herr Lutz, ist dies das, was die Polizei und die Sicherheitsbehörden in der Bundesrepublik wirklich brauchen für eine wirksame Bekämpfung islamistischer Schläfer?

    Lutz: Da sprechen Sie natürlich auch ein Stück Erwartung an, denn alle Maßnahmen, die der Staat und letztlich die Polizei und die übrigen Sicherheitsorgane ausführt, werden sicher auch am Erfolg gemessen. Diesen Erfolg können wir natürlich nur erzielen, wenn wir auch in der Lage sind, einmal von der Ausrüstung, auch vom Personal her tatsächlich diese Leistung zu erbringen. Da habe ich natürlich große Bedenken. Das zweite, was man sehen muss: Wenn wir nur eine Insellösung haben, die sich ausschließlich bezieht auf die Bundesrepublik Deutschland, dann werden wir auch hier keine großen Erfolge haben, denn wir wissen heute, dass viele dieser Täter mobil sind. Grenzkontrollen finden in bestimmten Bereichen überhaupt nicht mehr statt, so dass es hier natürlich ein ganz großes Problem geben wird.

    Lange: Nennen Sie doch mal ein konkretes Beispiel, wo es aus Sicht der Praktiker immer gehakt hat und wo es jetzt Dank dieses Sicherheitspakets vielleicht besser gehen könnte?

    Lutz: Wenn ein Personalausweis oder ein Reisepass sicherer werden, dass also klipp und klar ist, wer sich hinter einem bestimmten Bild dann auch tatsächlich verbirgt, dann ist das ein großer Vorteil der Polizei, denn wir wissen, dass sehr viele Ausweise gefälscht sind. Ich glaube das ist eine Chance, in dieser Richtung besser zu werden.

    Lange: Aber was bringen denn dann zusätzliche Identifikationsmerkmale, wenn auf diese Referenzdatei, mit der das dann ja abzugleichen wäre, aus Gründen des Datenschutzes verzichtet wird?

    Lutz: Wir brauchen natürlich dann technische Hilfsmittel. Wir brauchen alle Voraussetzungen, dass wir in der Lage sind, dies natürlich auch zu überprüfen. Das muss auch unmittelbar im Alltag überprüft werden können, das heißt also zeitnah an Personen. Das ist eine der Grundvoraussetzungen für einen möglichen Erfolg.

    Lange: Einige Experten meinen, Herr Lutz, dass diese Gesetze für eine ganz neue Sicherheitsphilosophie stehen, dass es nicht mehr allein um die Abwehr von kalkulierbaren Gefahren geht, sondern um die Verringerung von Risiko überhaupt. Haben Politik und Polizei dann noch die gleiche Idee von Sicherheit?

    Lutz: Ich glaube schon, dass das Bemühen in der Politik vorhanden ist - und das gilt, kann ich sagen, für jeden Polizisten -, dass wir das feste Ziel haben, wirklich dem Menschen zu dienen, ihm auch das Gefühl der Sicherheit zu geben, nicht nur objektiv Sicherheit zu geben. Die wird nie optimal erreichbar sein, aber das Gefühl von Sicherheit ist ein wesentlicher Aspekt der Lebensqualität. Darauf hat der Bürger einen Anspruch und das muss die Polizei und auch die Gesellschaft letztlich leisten.

    Lange: Die Kritiker haben ja immer gesagt, wir brauchen eigentlich weniger neue Gesetze als vielmehr den Vollzug der bestehenden Gesetze. Sind dort jetzt die Akzente wirklich richtig gesetzt?

    Lutz: Natürlich. Defizite gab es bisher überwiegend nicht in der Gesetzgebung. Da stimme ich Ihnen umfassend zu. Das was auch jetzt gemacht wird ist ja nicht eine wesentliche, im Sinn der Eingriffsverwaltung Veränderung, sondern das sind in vielen Bereichen - und das hat Herr Klein eben ja sehr deutlich ausgeführt -, im Rahmen rechtsstaatlicher Erwägungen Möglichkeiten der Differenzierung. Ich meine jedes Grundrecht, ob Datenschutz oder was auch immer, steht ja auch in Konkurrenz mit anderen Grundrechten. Es gibt ja nicht die Absolutheit eines einzelnen Grundrechtes gegen alle. Ich meine wir müssen schon überlegen, wenn eine Gesellschaft sich verändert hat - und Gesellschaften sind eben dynamisch -, dann muss auch eine Gesellschaft darauf reflektieren. Das halte ich für eine zwingende Notwendigkeit.

    Lange: Diese gesetzgeberische Aktivität könnte ja auch etwas böse formuliert eine Art Alibi sein, weil ja bessere Ausstattung der Sicherheitsbehörden echtes Geld kostet?

    Lutz: Natürlich. Das ist das, was wir oft auch kritisieren, indem wir sagen, wer jetzt sagt, wir stellen Personal ein, jetzt überholen sich alle politischen Parteien, dann muss man wissen, ein Polizist muss drei Jahre ausgebildet werden und vorher steht er nicht zur Verfügung. Die Sünden, die in den letzten Jahren begangen wurden, kann ich nicht durch eine politische Entscheidung heute ganz einfach einholen und sagen, ab morgen haben wir wieder mehr Sicherheit. Das dauert schon seine Zeit. Das muss man wissen. Das sind mittelfristige Entscheidungen, die in diesem Bereich erreicht werden.

    Lange: Liegt denn die Regierung richtig, wenn sie sich auf Regelungen im nationalen Rahmen konzentriert, oder müsste sie noch viel stärker auf die europäische Karte setzen?

    Lutz: Ja, das muss man natürlich. Ich weiß, dass Otto Schily sich bemüht hat, in vielen Entscheidungen, die er in Deutschland derzeit diskutieren lässt, auch die Europäer zu gewinnen. Da sieht man natürlich, dass die nationale Souveränität der EU-Länder im wesentlichen auf dem Silbertablett vor jeder Konferenz hergetragen wird. Das heißt, man geht sehr defensiv an diese Frage der Bereitschaft, hier eine weitgehende Homogenität innerhalb der EU herzustellen. Das ist das große Problem, was wir haben. Das gilt ja auch für den EU-Haftbefehl. Das ist ein unglaublicher Vorgang, dass ein EU-Nationalstaat beweisen muss, dass ein Haftbefehl im Prinzip zurecht besteht und dass man sehr lange benötigt, um einen bestimmten Vollzug zu bekommen. So gibt es viele Beispiele gerade in Europa, wo man mehr den Kopf schüttelt als eben zustimmendes Nicken findet.

    Lange: Herr Lutz, wenn Sie die deutschen Gesetze und die Kompetenzen der Sicherheitsbehörden mit anderen Ländern der EU vergleichen, wo steht denn Deutschland dort in etwa?

    Lutz: Deutschland hat was die Eingriffsverwaltung angeht mit Sicherheit keinen Spitzenplatz. Das heißt bei uns ist immer noch die Ausgewogenheit der Grundrechte in Konkurrenz sehr viel stärker beachtet als beispielsweise in romanischen Ländern. In romanischen Ländern, wo auch teilweise die Polizei einem Verteidigungsminister untersteht, sind vollkommen andere Denkstrukturen in der Frage Umgang mit der Gesellschaft und auch mit dem einzelnen Bürger vorhanden. Auch Fragen, die wir hier in Deutschland engagiert wegen unserer Geschichte diskutieren - das ist kein Vorwurf -, zum Beispiel die Trennung zwischen Militär, Polizei und auf der anderen Seite Geheimdiensten, werden zum Beispiel in Frankreich überhaupt nicht gesehen. Hier wird alles zusammengeführt. Hier ist die Einheit des Staates das Maß der Dinge. Deswegen meine ich muss man hier Deutschland in diesem Bereich jetzt keinen Vorwurf machen, dass Deutschland irgendwo in die rechtsstaatliche Bedenklichkeit geht. Davon sind wir weit entfernt.

    Lange: Sehen Sie nach dem 11. September unterschiedliche Wege, die die europäischen Länder in der Reaktion darauf gehen?

    Lutz: Ja, da gibt es schon große Unterschiede. Es gibt Länder, die in diesem Bereich sehr viel deffensiver mit diesen Vorgängen umgehen. Das hängt aber auch teilweise damit zusammen, dass sie keine NATO-Staaten sind, dass sie eventuell auch einen ganz geringen Anteil von Angehörigen des Islams innerhalb ihrer Population haben. Da gibt es unterschiedliche Gründe. Auch in den nordischen Staaten gibt es lange nicht diese Aufgeregtheit, die wir teilweise eben innerhalb der NATO-Länder haben.

    Lange: In den "Informationen am Morgen" war das Hermann Lutz, Vorsitzender der Europäischen Gewerkschaft der Polizei. - Ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch, Herr Lutz, und auf Wiederhören!

    Link: Interview als RealAudio