Archiv


Zum SPD-internen Streit um die Agenda 2010

    Engels: Gestern hat der Parteivorstand der SPD den Leitantrag für den Sonderparteitag am 1. Juni beschlossen. Damit soll die Agenda 2010 des Parteivorsitzenden auf den Weg gebracht werden. Doch Bundeskanzler Schröder musste wieder einmal mit einer Rücktrittsdrohung die Genossen auf Linie bringen. Trotzdem stimmten fünf SPD-Linke gegen den Antrag, 40 andere allerdings dafür. Und das, obwohl SD-Generalsekretär Scholz einen sogenannten Perspektivantrag eingebracht hatte, der als Änderung auch weitere steuerliche Belastungen für Unternehmer und Besserverdienende vorsieht. So soll beispielsweise die Erbschaftssteuer für große Privatvermögen durch eine Neubewertung steigen und Kapitalerträge besteuert werden. Am Telefon ist nun der Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz Beck. Guten Morgen, ich grüße Sie, Herr Beck.

    Beck: Hallo, schönen guten Morgen.

    Engels: Wie sieht es denn nun aus, wird diese neue Belastung für Unternehmer und Besserverdienende tatsächlich vorkommen, wie es dieser Perspektivantrag vorsieht?

    Beck: Der Perspektivantrag ist ein Arbeitsauftrag zum ordentlichen Parteitag im November, über den Tag hinauszudenken und Linien vorzugeben, die erkennbar machen, wie Arbeitsmarktpolitik unter den Bedingungen einer veränderten weltweiten Situation vorgenommen werden kann und in diesen Zusammenhang gehören auch diese Prüfungsfragen. Es kann also nicht die Rede davon sein, dass dies jetzt am 1. Juni beschlossen werden soll.

    Engels: Läuft das Ganze nun parallel oder ist es Teil des Leitantrages? Bundeskanzler Schröder hat ja eher den Eindruck erweckt, er möchte diese Ideen des Perspektivantrages auf die lange Bank schieben.

    Beck: Nein, es geht nicht um die lange Bank, aber auch nicht darum, dass es Teil des Leitantrages ist, sondern es geht darum, dass man sagt, die Diskussion ist mit dem Beschluss Agenda 2010 natürlich nicht beendet in Deutschland. Ich glaube, dass wir noch eine Reihe von Reformschritten in vielerlei Hinsicht brauchen. Und darüber wird weiter diskutiert, denn man muss ja sehen, die demographische Entwicklung kommt ja erst auf uns zu. Und wir werden uns natürlich auch in einer eher wachsenden denn kleineren internationalen Konkurrenz befinden und insofern muss man sich mit diesen Fragen auseinandersetzen wie Ökonomie, wie Ökologie, aber auch wie unsere Sozialstaatlichkeit dann funktioniert. Aufhören zu denken werden wir am 1. Juni nicht.

    Engels: Aber nehmen wir mal den Perspektivantrag heran: Erbschaftssteuer rauf, Kapitalerträge besteuern - das hatten wir doch alles schon mal. Wieso kommt das jetzt noch mal auf die Agenda?

    Beck: Die Frage Erbschaftssteuer ist ja vorgegeben, weil wir gerichtlich festgestellt bekommen haben, dass die Ausgewogenheit zwischen dem Vererben von Geldvermögen und Sachvermögen in der Schieflage ist, es bedarf da einer neuen Bewertung und insoweit ist das nichts Neues und muss natürlich in die Gesamtbalance miteingebunden werden. Ich glaube, es wäre wirklich ungerecht, wenn jetzt diese Diskussion zu einer neuen Steuerdiskussion gemacht würde, darum geht es in der Tat nicht. Es geht um Linien über den Tag hinaus, darüber zu reden und sich dafür zu rüsten. Ich glaube, das hätten alle Parteien nötig. Wir als SPD auch.

    Engels: Die SPD-Linke ist trotz dieser kleinen Zugeständnisse nach wie vor nicht zufrieden. Laut Zeitungsberichten von heute wollen nach wie vor drei SPD-Bundestagsabgeordnete gegen die Agenda 2010 stimmen. Der Hauptwiderstand richtet sich dabei vor allem gegen die Verkürzung des Arbeitslosengeldes, wie sie ja die Reformagenda vorsieht, und die Zahlung des Krankengeldes künftig durch die Versicherten. Kommen Sie in diesen Punkten den Kritikern noch entgegen?

    Beck: Da kann man den Kritikern nicht im Kern entgegenkommen. In den jetzt geschlossenen Vorstandspapieren steht drin, dass die Übergangsregelung, dass die Abfederung deutlich verbessert wird gegenüber den ursprünglichen Vorhaben. Insoweit gibt es entsprechende Abfederungsmechanismen. Aber wenn man diese Kernbereiche aufgibt, würde man sagen, das alles, was wir analysiert haben, was an ernster Bedrohung der Sozialsysteme auf uns zukommen, ist doch nicht ganz so ernst. Es ist eher noch ernster und insoweit müssen eben die notwendigen Maßnahmen ergriffen werden, dass Arbeit wieder deutlich vor Rente gestellt wird. Es kann nicht sein - ich stelle mir das für mich schrecklich vor, wenn ich jetzt mit 54 vor die Lage gestellt würde, zu sagen: guck doch, dass du Rente kriegst! Ich glaube, dass wir Wege finden müssen und dazu leistet diese Agenda einen entscheidenden Beitrag, dass Arbeit wieder Vorrang hat und nicht nur Broterwerb ist. Das wissen wir doch alle, das ist doch auch ein Stück persönliche Zufriedenheit, Kontakt mit anderen Menschen und hat etwas damit zu tun, dass wir eben auch aus der Arbeit unser Selbstbewusstsein mitbeziehen.

    Engels: Nun gibt es aber diese drei Abweichler, die offenbar damit nicht einverstanden sind und vier kann sich der Kanzler maximal leisten. Wackelt die Kanzlermehrheit?

    Beck: Ich glaube es nicht und man kann den Kollegen im Bundestag, die so denken nur sagen, dass in diesen Bereichen, um die es hier geht, ich zumindest keine Gewissensentscheidung erkennen kann. Das sind Abwägungen, die kann man unterschiedlich treffen, aber wenn der Parteitag eine entsprechende Entscheidung in der Sache getroffen hat, dann erwarte ich von denjenigen, die auf unseren Listen in den Bundestag gewählt worden sind, dass sie auch zu diesen Entscheidungen der Partei stehen.

    Engels: Es ist ja doch erstaunlich, dass dieser Widerstand direkt wieder aufflammt, obwohl der Kanzler einmal mehr mit Rücktritt gedroht hat. Wie wahrscheinlich halten Sie den Fall, dass es doch wirklich zu einem massiven Vertrauensverlust kommt, dass Schröder möglicherweise die Bütte hinwirft?

    Beck: Das sehe ich nicht als reale Gefahr und es war gestern auch klar, dass es überhaupt nicht irgendeiner Rücktrittsdrohung bedurft hätte.

    Engels: Warum droht er dann?

    Beck: Ich war dabei, es war keine Drohung. Er hat noch mal deutlich gemacht, dass für ihn dies ein Zentralstück seiner Politik ist und man Politik nicht einfach fortsetzen kann, wenn dies anders entschieden würde. Das mit dem Drohen hört sich von Außen immer anders an, als wenn man dabeigesessen hat und das im Kontext erlebt hat. Insofern glaube ich nicht, dass es solcher Drohungen bedarf. Ich glaube auch nicht, dass die Regierung in Gefahr ist. Ich sage nur, jeder einzelne muss sich in die Verantwortung nehmen und kann natürlich nicht nur sein persönliches Ego und seine persönlichen Überzeugungen ausleben, sonst funktioniert Demokratie eben nicht.

    Engels: Kommen wir noch zu einem zweiten Thema, das Sie vor allen Dingen als Ministerpräsident betrifft. Die Länder haben für künftige Lohn- und Gehaltsverhandlungen im öffentlichen Dienst die Tarifgemeinschaft mit dem Bund aufgekündigt. Warum und was macht Rheinland-Pfalz jetzt?

    Beck: Wir haben vor allen Dingen auch gegenüber den Kommunen gesagt, dass es so nicht geht. Wir haben einen Tarifabschluss letztes mal bekommen, der eindeutig über unsere Verhältnisse ist. Ich habe lange gezögert in der entsprechenden Nacht, zuzustimmen. Und wenn die Länder allein verhandelt hätten, nicht jedes für sich, sondern die Ländergemeinschaft, bin ich überzeigt, dass wir zu besseren Ergebnissen gekommen wären. Da gab es also auch manche Ungeschicklichkeit während der Verhandlungen, da muss jetzt deutlich darauf hingewiesen werden und jetzt probieren wir es mal, wie wir zu Ergebnissen kommen.

    Engels: Viele Kommunen sind aber gegen diese Entscheidung dieser Aufkündigung, obwohl sie unter den letzten hohen Tarifabschlüssen im öffentlichen Dienst am meisten zu leiden hatten.

    Beck: Ja, aber ich habe heute Stimmen gelesen von einem Repräsentanten, der bei den Verhandlungen dabeigewesen war und der durch seine öffentlichen Kundgebungen während der Verhandlungsrunden nicht unmaßgeblich dazu beigetragen hat, dass die Strategie der Arbeitgeber maßgeblich gestört worden ist. Da sollten sich alle mal zuerst fragen, ob sie nicht selber dazu beigetragen haben. In jedem Fall müssen wir schlicht und einfach unsere Haushalte schützen. Die Länder haben alle über 40 Prozent Personalkostenanteil. Wir können nicht auf diese Art und Weise weitermachen, dass wir dann mit Ergebnissen konfrontiert werden, die eigentlich nicht verkraftbar sind, die tiefe Einschnitte verlangen, auch in Bereichen, auf die es für die Zukunft ankommt: innere Sicherheit, Schule, Bildung, Hochschulen et cetera.

    Engels: Aber ist die öffentliche Hand jetzt nicht schwächer gegenüber Streikdrohungen der Gewerkschaften, wenn sie einzeln verhandeln und sich vielleicht auch gegeneinander ausspielen lassen?

    Beck: Das wird sich zeigen, ob das so ist. Wenn man sich gegeneinander ausspielen lässt, wäre das sicher ein Fehler, aber es ist, glaube ich, auch deutlich geworden, dass Tarifergebnisse, die über das Ziel hinausschießen, am Ende Reaktionen hervorrufen. Ich hoffe, dass dies auf beiden Seiten seine Wirkung für die Zukunft nicht verfehlt.

    Engels: Das war Kurt Beck, Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, SPD. Ich bedanke mich herzlich für das Gespräch.

    Beck: Gern geschehen.

    Link: Interview als RealAudio