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Zum Streit um das Schröder-Blair-Papier und den Kurs der SPD

Nutz: Der saarländische Ministerpräsident Reinhard Klimmt avanciert zielstrebig zum Mann dieser Woche. Als Gegenpol von Bundeskanzler Gerhard Schröder schreibt und spricht er sich aus dem Schatten von Oskar Lafontaine, wenn auch mit dessen Thesen. Gerechtigkeit und Innovation, wir erinnern uns an die programmatischen Schlagworte des SPD-Bundestagswahlkampfes, beides will offenbar nicht zusammen gehen, vielleicht nicht zusammen gehören. Das jedenfalls diskutieren führende Parteimitglieder derzeit täglich. Klimmt, den nur noch fünf Wochen von der Landtagswahl im Saarland trennen, wirft dem auch Parteivorsitzenden Schröder neo-liberale Tendenzen vor. Die Abkehr von sozialdemokratischen Grundwerten, das sogenannte Schröder-Blair-Papier erwecke den Eindruck, bei der SPD solle die Gerechtigkeit ausgemustert werden. Detlev von Larcher begrüße ich nun als Sprecher des sogenannten "Frankfurter Kreises", der dem linken Flügel der SPD zugerechnet wird. Guten Morgen.

    Larcher: Guten Morgen, Frau Nutz.

    Nutz: Herr von Larcher, von einer Einzelmeinung, die Gerhard Schröder Reinhard Klimmt zubilligt, kann ja längst nicht mehr die Rede sein. Viele in der Partei und aus den Ländern haben sich geäußert. Helfen Sie uns noch einmal bei der Charakteristik dieses Streits. Haben wir es mit verzweifelnden Wahlkämpfern zu tun, oder handelt es sich um eine veritable Programmdebatte in der Sozialdemokratischen Partei?

    Larcher: Es ist - glaube ich - der Beginn einer Programmdebatte, zu der der Bundeskanzler und der Parteivorsitzende Gerhard Schröder ja auch aufgefordert hat. Er hat ja selber gesagt, daß das Blair-Schröder-Papier ein Anstoß sein soll für eine weitergehende programmatische Debatte, die auch auf dem Bundesparteitag im Dezember weitergeführt werden soll, ohne dort zum Abschluß zu kommen. Und wer den Brief von Reinhard Klimmt in seiner Gänze liest, der sieht, daß das ein differenzierter Diskussionsbeitrag zu diesem Blair-Schröder-Papier vor allen Dingen ist.

    Nutz: Fragt sich aber, warum die programmatische Debatte erst jetzt einsetzt, jetzt, wo die Partei in Regierungsverantwortung ist.

    Larcher: Nein, die setzt ja nicht erst jetzt ein..

    Nutz: aber so offen...

    Larcher: Eigentlich gibt es ja in der SPD immer eine Programmdebatte. Wir haben vor den Bundestagswahlen eine ausführliche Debatte zum Wahlprogramm gehabt, das hat ja auch etwas mit Programmatik zu tun. Wir haben ein Regierungsprogramm gemacht, wir haben über einen Koalitionsvertrag dann gesprochen; und eigentlich ist in der SPD immer die Frage, wie werden die sozialdemokratischen Grundwerte in der gegenwärtigen Situation am besten umgesetzt, und das ist Programmdebatte.

    Nutz: Der rheinland-pfälzische Arbeitsminister Florian Gerster stellt fest, daß die Sozialdemokratie nicht auf Regierungshandeln eingestellt war. Gerster unterstellt, daß es kein Regierungsprogramm im eigentlichen Sinne gab, nur eine Anzahl guter Absichten. Rächt sich das jetzt?

    Larcher: Das ist nicht richtig, damit unterstützt er oder unterstreicht er ein Vorurteil. Ich denke, wir waren durchaus auf Regieren eingestellt, sonst hätten wir beispielsweise nicht so schnell eine so umfassende Steuerreform machen können, wie wir gemacht haben, mit einem immensen Umfang, den es in der Bundesrepublik noch nie gegeben hat. Wir haben das, was wir im Regierungsprogramm angekündigt haben, nämlich einige sozial schädliche Gesetze der alten Bundesregierung, haben wir aufgehoben und durch neue ersetzt. Also ich glaube, wir haben den Nachweis gebracht, daß wir sehr wohl regieren können.

    Nutz: Das klingt wir eine Bilanz, die auch jetzt Gerhard Schröder so ziehen könnte.

    Larcher: Ja, und? Wir haben ja wirklich im ersten Jahr viel Gutes für dieses Land getan. Und eine andere Frage ist, wie es jetzt weitergeht und was mit dem Blair-Schröder-Papier passiert und was mit der sozialdemokratischen Programmatik passiert. Aber es ist doch nicht zu bestreiten, daß wir für den durchschnittlichen Arbeitnehmer, für den mittleren und gering Verdienenden durch die Steuerreform dafür gesorgt haben, daß sie im Jahr 2002 dreitausend Mark weniger an Steuer zahlen müssen oder mehr in der Tasche behalten, weil das Kindergeld dazugerechnet werden muß.

    Nutz: Also die Debatte entzündet sich auch ein bißchen an Schubladen. Da sind Traditionalisten, wie es heißt, die die Grundwerte der Sozialdemokratie einbehalten wollen. Dagegen gibt es auf der anderen Seite Modernisierer. Kann man Ihrer Meinung nach auf der Basis der Traditionellen Werte modernisieren oder - wie Rudolf Dreßler gefragt hat - kann es eine linke Rechtskurve geben?

    Larcher: Es kann keine linke Rechtskurve geben, aber bestimmt Dinge, die im Blair-Schröder-Papier drin stehen, diskutieren wir ja schon lange. Da hat Reinhard Klimmt doch Recht, also über die Grenzen des Wachstums, über die Modernisierung der sozialen Sicherungssysteme entsprechen der gesellschaftlichen Entwicklung. Das sind ja alles keine neuen Dinge. Deswegen fragt er ja zurecht, wieso wird so getan, als müßte das neu erfunden werden? Oder, er drückt sich ja sehr bildlich aus und sagt: Wenn die sogenannten Modernisierer so tun, als müßte das Pulver neu erfunden werden, mit dem die alte Linke schon seit 20 Jahren geschossen hat, dann kann man eigentlich nur drüber schmunzeln. Ich glaub, Sie haben Recht mit den Schubladen. Ich finde auch ziemlich - ja - albern, wenn die sogenannten Modernisierer sich nun selber als Modernisierer bezeichnen, denn ich denke, wir hatten ein modernes Regierungsprogramm gemacht, auf die moderne Zeit bezogen. Das war von Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine unterschrieben. Und wieso soll man sich jetzt dagegen absetzen?

    Nutz: Sie stehen dennoch im Wahlkampf vor wichtigen Wahlen. Glauben Sie, daß die Wähler vielleicht weniger über die Abkehr von traditionellen Werten enttäuscht sind, daß sie vielleicht echten Reformwillen vermissen, auch wenn sie unterstellen, daß es eine erfolgreiche Steuerreform gibt. Die greift ja erst in wenigen Jahren, und die Erfolge dieser Regierungsbilanz in diesen Monaten ist nicht sehr greifbar für den Wähler.

    Larcher: Da ist was Richtiges dran. Insofern glaube ich, hat Reinhard Klimmt mit seiner Wahlanalyse der Europawahlen nicht ganz Recht. Ich glaub nicht, daß das Blair-Schröder-Papier dort eine Rolle gespielt hat, sondern die Verunsicherungen der Wählerinnen und Wähler dadurch, daß einige Spitzenrepräsentanten bei uns selber, nachdem wir Gesetze beschlossen haben, - denken Sie an das 630-Mark-Gesetz oder an die Scheinselbständigkeit - so getan haben, als müßten wir da noch wesentlich Veränderungen vornehmen. Und so etwas verunsichert natürlich Wählerinnen und Wähler, und die fragen sich dann ja, was wollen die Sozialdemokraten eigentlich? Und Sie haben auch Recht, daß die Steuerreform sich in der Tat erst spürbar auswirkt eben im Laufe der Zeit, und deswegen diese Debatte, die sogenannte Nachbesesserungsdebatte, und eben die langsame Wirkung der Steuerreform. Die tragen dazu bei - glaube ich -, daß unsere Stammwähler verunsichert werden. Und um so wichtiger ist es, daß wir klar machen, daß wir für unsere Stammwähler, mit denen wir die Wahlen vor allen Dingen gewonnen haben, daß wir für die Politik machen wollen.

    Nutz: Wie wollen Sie denn aber unter diesem Gesichtspunkt die derzeitige Debatte einem Wähler, der Sie wählen soll, vermitteln?

    Larcher: Also, ich denke, daß es durchaus vermittelbar ist, wenn sich eine demokratische Partei darüber Gedanken macht, wie die Grundwerte, von denen aus sie Politik macht, in der jetzigen Zeit in praktische Politik münden und auch die Debatte so führt, daß die Menschen sie mitbekommen und mitverfolgen können und merken, daß wir durchaus ernsthaft dabei sind, eine Programmdebatte zu führen. Ich glaub, das muß der Sozialdemokratischen Partei nicht schaden, sondern es kann ihr nutzen, wenn wir die Debatte so führen, daß die Menschen merken, es geht uns um die Sache und es geht nicht um mit Sachargumenten irgendwie Personen auszutricksen.

    Nutz: Der Bundeskanzler und Parteivorsitzende Gerhard Schröder hält sich ja im Augenblick mit Meinungsäußerungen zu diesem Thema sehr bedeckt. Was erwarten Sie denn nun von ihm als Parteivorsitzendem?

    Larcher: Ich denke, er wird in absehbarer Zeit als Parteivorsitzender auch zu dieser Debatte Stellung nehmen. Es wird sicherlich im Parteivorstand über den Reinhard-Klimmt-Brief diskutiert werden, die Debatte wird auf dem Bundesparteitag geführt werden, und da wird unser Parteivorsitzender sicherlich einen sehr interessanten Beitrag leisten. Also - ich hab da keine Befürchtungen, daß er sich nicht beteiligt.

    Nutz: Haben die vielen Debatten dem Kanzler Schaden zugefügt, seinem Ansehen nach außen dem Wähler gegenüber, aber auch nach innen innerhalb der Partei?

    Larcher: Ich glaub nicht, daß sie dem Kanzler Schaden zugefügt haben..

    Nutz: in seiner Autorität

    Larcher: Nein, das denke ich nicht. Also, jeder Sozialdemokrat und jede Sozialdemokratin ist natürlich sehr damit einverstanden, daß Bundeskanzler Gerhard Schröder Bundeskanzler und Parteivorsitzender ist. Ich finde wirklich, man sollte nicht immer gleich nach Schaden für Personen fragen, wenn es um inhaltliche wichtige Fragen geht, wo es kontroverse Ansichten gibt, was überhaupt kein Wunder ist in einer Volkspartei und in der SPD zumal - nicht, die ja immer schon ein breites Spektrum hatte. Also, diese Debatte ist eigentlich auch nichts Außergewöhnliches, die kennt die Sozialdemokratische Partei, und ich bin auch froh, daß die Sozialdemokratische Partei eine Programmpartei ist, an der auch normale Mitglieder in die Debatte eingreifen können.

    Nutz: Detlev von Larcher, SPD-Bundestagsabgeordneter und Sprecher des linken Flügels der Partei.