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Zum Streit um Den Haager Strafgerichtshof und die UN-Einsätze in Bosnien

Liminski: Am kommenden Freitag soll der Bundestag über eine Verlängerung oder ein geändertes Mandat für die Präsenz der Bundeswehr in Bosnien entscheiden. Nötig geworden ist das wegen der Blockadehaltung der USA, die für ihre Soldaten Immunität vor dem internationalen Strafgerichtshof verlangen. Am Telefon ist der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion und dort Zuständige für Außenpolitik, Gernot Erler. Guten Morgen!

    Erler: Guten Morgen Herr Liminski.

    Liminski: Herr Erler, Sie haben vor ein paar Jahren ein Buch geschrieben mit dem Titel "Global Monopoly". Ist das nun die Wirklichkeit? Spielen die Amerikaner mit den Europäern?

    Erler: Sie spielen nicht mit den Europäern, aber sie verlangen eine Ausnahmeregelung für die Supermacht Amerika, die kein einziges anderes Land bisher eingefordert hat. Das ist natürlich ein Ausspielen einer Position mit einer großen Rücksichtslosigkeit gegenüber der Weltgemeinschaft, denn es gibt schon 74 Staaten von 139, die dieses Statut dieses internationalen Strafgerichtshofs unterzeichnet haben, die jetzt auch ratifiziert haben, darunter alle europäischen Staaten der EU. Das ist natürlich schon eine Konfrontation, die man sich so bisher nicht vorstellen konnte.

    Liminski: Herr Erler, NATO und EU wollen heute in Brüssel über die Konsequenzen des US-Vetos gegen eine Mandatsverlängerung für die UNO-Mission in Bosnien beraten. Der Bundestag will am Freitag darüber befinden, ob die Bundeswehr in Bosnien bleibt. Soll die EU die Aufgaben der UNO übernehmen? Wie soll das Mandat überhaupt aussehen? Wer wird rechtlicher Träger des Mandats?

    Erler: Es wird dort zwei unterschiedliche Regelungen geben. Im Hintergrund steht ja das Problem, dass die Amerikaner nicht einfach nur sagen, wir verlangen irgend etwas für unsere Soldaten, sondern dass sie von ihrem Vetorecht Gebrauch gemacht haben, um eine Friedensmission eben in Bosnien zu stoppen , und gesagt haben, wenn ihr nicht uns diese Immunitätserklärung und Garantie für unsere Soldaten gebt, dann sind wir nicht bereit, unsere Zustimmung zur Fortsetzung dieser Friedensmission zu geben. Das ist eine doppelte. Dort gibt es Soldaten, die so genannte Sfor, die den Frieden in Bosnien-Herzegowina sichern, und es gibt eine internationale Polizeikraft, die für innere Ordnung sorgt. Da hatte die EU schon vorher angedeutet, dass sie bereit sei, die Aufgabe zu übernehmen, erstmals übrigens, dass die EU als solche handeln würde und die Verantwortung für eine Polizeistreitkraft übernehmen würde. Jetzt ist vorgesehen, dass das einfach vorgezogen wird. Das klingt so einfach, ist aber technisch sehr schwierig. Bei Sfor, bei den Soldaten, wird es abzuwarten sein, ob die Amerikaner ihre Soldaten abziehen wollen, ob sie bei dem Veto bleiben. Dann braucht man eine andere Rechtsgrundlage zur Fortsetzung dieser Mission.

    Liminski: Eine Sache ist nun das Bosnien-Mandat, eine andere die Gleichheit vor dem internationalen Strafgerichtshof. Lassen sich die Europäer durch das Junktim, das Washington hier hergestellt hat, erpressen?

    Erler: Bisher ist das nicht zu erkennen. Bisher sind alle Forderungen der Amerikaner zurückgewiesen worden, dass sie eine Ausnahmestellung bekommen sollen, obwohl es ganz interessante Kompromissvorschläge gegeben hat zum Beispiel von Frankreich, die aber die Vereinigten Staaten abgelehnt haben. Das unverständliche an der ganzen Sache ist, dass dieser internationale Strafgerichtshof eigentlich gar nicht vorgehen kann gegen Soldaten, die eventuell Kriegsverbrechen begangen haben oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die aus einem Rechtsstaat kommen, wo sie selber für solche Verbrechen vor Gericht gestellt werden können. Amerika ist zweifellos ein Rechtsstaat, hat auch früher schon Kriegsverbrecherprozesse im eigenen Land durchgeführt. Insofern haben die Amerikaner eigentlich nichts zu fürchten. Es geht nämlich hier letztlich ums Prinzip und es geht darum, dass Amerika eigentlich diesen internationalen Strafgerichtshof von vornherein zumindest unter George W. Bush ablehnt. Die Europäer haben bisher ihre Unterstützung des Strafgerichtshofs keineswegs geschmälert.

    Liminski: Die Sfor bleibt nach jetzigem Stand der Diskussion. Die UN-Leute gehen möglicherweise. Sehen Sie eine Tendenz, die UNO ganz allgemein in wichtigen Krisengebieten durch NATO-Verbände zu ersetzen, die Washington genehmer sind als die schwerer zu kontrollierenden, vielleicht auch weniger schlagkräftigen Blauhelme?

    Erler: Das ist in der Tat so gewesen nach dem 11. September. Hier haben wir weder einen Einsatz der NATO noch einen Einsatz der Vereinten Nationen gehabt, sondern von sogenannten freiwillig mitmachenden Verbänden, die unter der Führung der USA zum Beispiel in Afghanistan tätig geworden sind. Dass die amerikanische Politik nicht auf eine Stärkung der UNO hinausläuft, das ist leider schon lange so. Aber jetzt, und da zitiere ich einen Amerikaner, der gesagt hat, wir befinden uns im Augenblick möglicherweise in der größten Krise der Vereinten Nationen seit ihrer Existenz, weil wenn die Amerikaner ihre Haltung stramm durchstehen, haben wir möglicherweise noch in diesem Monat eine Krise von fünf weiteren Friedensmissionen der Vereinten Nationen, darunter so wichtige wie die in Georgien und die im Libanon, denn alle diese fünf weiteren Friedensmissionen müssen im Juli noch verlängert werden. Wenn die Amerikaner jedes Mal dort wieder verlangen, dass ihre Zustimmung gebunden ist an diese Garantieerklärung von Immunität für ihre Soldaten, haben wir wirklich eine ganz tiefe Krise der Vereinten Nationen. Ich finde, wir müssen auf unsere amerikanischen Freunde wirklich einwirken, dass sie sich nicht auf diese Weise auch weltweit isolieren. Die Wut auf Amerika wird dann sehr groß sein rund um den Globus.

    Liminski: Die UNO wird also überflüssig für das internationale Krisenmanagement. Ist diese Gefahr gegeben?

    Erler: Es wäre im Grunde genommen das Ende von Friedensmissionen unter der Leitung der UNO, und das ist nun mal die Weltorganisation, zu der sehr, sehr viele Länder von den 184 Mitgliedsländern vor allen Dingen aus der dritten Welt Vertrauen haben, mehr Vertrauen als zu irgendwelchen selbst ernannten Friedensmissionen von den mächtigen Staaten dieser Welt. Deswegen darf es nicht dazu kommen, dass die UNO so geschwächt wird und praktisch in Haft genommen wird von den Amerikanern für dieses nationale Ziel, was sie vertreten.

    Liminski: Das war der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion und dort Zuständige für Außenpolitik, Gernot Erler. – Besten Dank für das Gespräch, Herr Erler!

    Link: Interview als RealAudio