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Zum Tod von Heiner Geißler
Querdenker und Schlichter

In den Anfängen seiner politischen Karriere war Heiner Geißler vor allem für seine verbalen Attacken auf linke Politiker berüchtigt. Als Familienminister im Kabinett Kohl widmete der CDU-Politiker sich vor allem sozialen Fragen. Im Stuttgart-21-Konflikt trat er als Schlichter auf den Plan - und schloss sich den Globalisierungskritikern von Attac an.

Von Theo Geers |
    Der Ex-Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit, Heiner Geißler, sitzt am 03.05.2017 in Hamburg nach der Aufzeichnung der Talkshow "Markus Lanz" auf der Bühne.
    Der CDU-Politiker Heiner Geißler in einer Talkshow im Mai 2017 (dpa / Georg Wendt)
    Zeit seines 87-jährigen Lebens galt Heiner Geißler als Querdenker, als eigenständiger Kopf, als unbequemer Mahner, aber auch als politisches Schlitzohr.
    "Kein Mensch ist verpflichtet, immer das zu sagen, was in der Wirklichkeit vorhanden ist."
    Als Heiner Geißler dies sagte, hatte er sich längst aus der Politik zurückgezogen, in die es ihn in den 60er-Jahren verschlagen hatte. Gut 50 Jahre später war er längst zum Mahner geworden, der über den Dingen stand.
    "Das Volk hat immer Anspruch auf die Wahrheit in der Politik, das heißt, der Politiker ist verpflichtet, den Menschen, den Wählerinnen und Wählern, die Wahrheit zu sagen."
    Berüchtigt für polemische und demagogische Ausfälle
    1965 kam er erstmals in den Bundestag, blieb aber nur zwei Jahre, um Sozialminister in Rheinland-Pfalz unter Helmut Kohl zu werden. Der Sprung von der Landes- in die Bundespolitik folgte 1977. Kohl holte Geißler als CDU-Generalsekretär nach Bonn – und Geißler sorgte gleich für Furore. In der aufgeheizten Stimmung des deutschen Herbstes knöpfte sich Geißler linke und liberale Politiker und Intellektuelle vor – Heinrich Böll, aber auch Pastor Heinrich Albertz oder der spätere Innenminister Werner Maihofer – sie seien Sympathisanten des Terrors. In den Hintergrund rückte, dass es Geißler immer auch um die Lösung sozialer Fragen ging. Stattdessen war Geißler mehr berüchtigt für seine polemischen und demagogischen Ausfälle – und er konnte aussteilen.
    Der neugewählte CDU-Generalsekretär Heiner Geißler am Rednerpult während des Bundesparteitages der CDU, der vom 7. bis 9. März 1977 in der Düsseldorfer Stadthalle stattfand.
    Heiner Geißler als neugewählter CDU-Generalsekretär während des Bundesparteitages der CDU 1977 in Düsseldorf (dpa-Bildfunk / Heinz Wieseler)
    "Ich habe Verständnis, dass sie sich dazu entschieden haben. Aber: Wie kommen sie denn dazu, nicht zu erwägen bei ihrer Äußerung, dass es Abgeordnete gibt, - und es ist die Mehrheit! – die ebenfalls aus moralischen Gründen der Auffassung sind, dass diese Regierung abgelöst werden muss!"
    Das war 1982 und es ging an die Adresse derjenigen FDP-Politiker, die nicht mitmachen wollten, als Union und Teile der FDP Helmut Schmidt stürzten und Helmut Kohl zum Kanzler machten. Geißler wurde im ersten Kabinett Kohl Familienminister und kümmerte sich um seine soziale Agenda: das Anerkennungsverfahren für Kriegsdienstverweigerer wurde reformiert, es gab erstmals Erziehungsgeld und –urlaub. Ende der 80er-Jahre dann der Bruch mit Kohl nach dem misslungenen Putsch auf dem Bremer CDU-Parteitag: Geißler wurde von Kohl entmachtet.
    Sozialexperte und Schlichter
    In den Jahren danach profilierte er sich weiter als Sozialexperte, wandelte sich, kritisierte offen den ungezügelten Kapitalismus und dessen Auswüchse, er verstand sich als Anwalt, der zu kurz gekommenen – auch bei Hartz IV.
    "Bei Hartz IV steht dieselbe Ideologie im Vordergrund: Der Mensch als Kostenfaktor, das ist das Kernproblem von Hartz IV. Der Mensch gilt umso mehr je weniger er kostet, und er gilt um so weniger je mehr er kostet, und in Folge dessen wird alles minimiert."
    In seine letzten Jahren wurde es stiller um Heiner Geißler. Für Aufsehen sorgte vor allem in seiner Schlichterrolle im Streit um den Bau von Stuttgart 21. Hier zeigte sich der andere Heiner Geißler, der, der auch befrieden konnte.