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Zum Tod von János Térey
"Besondere Gestalt der ungarischen Literatur"

Der ungarische Schriftsteller János Térey ist überraschend im Alter von nur 48 Jahren gestorben. "Insgesamt ist er immer Lyriker geblieben", sagte Übersetzer Wilhelm Droste im Dlf. Herauszuheben seien die zahlreichen Deutschlandbezüge dieses Vermittlers zwischen Kulturen und politischen Lagern.

Wilhelm Droste im Gespräch mit Jan Drees |
Zu sehen ist der Autor János Térey
"Ein sehr markantes Gesicht, wo man nicht so genau weiß, was einen an diesem Gesicht so irritiert hat." Wilhelm Droste über den verstorbenen Lyriker János Térey. (imago / Gezett)
János Térey wurde 1970 im ungarischen Debreczin geboren. Er studierte Ungarische Literatur und Geschichte. Neben Prosa und dramatischer Texten ist er vor allen Dingen bekannt geworden als Lyriker. Das Besondere besteht nicht nur in der Form, in seinen langen Prosa-Gedichten, sondern auch darin, dass Térey in seinem Werk auch deutsche Mythen und die deutsche Vergangenheit verarbeitet, wie im Gedichtband "Dresden im Februar", im Versroman "Paulus" und in der Dramentetralogie "Der Nibelungen-Wohnpark".
Jan Drees Vor dieser Sendung sprach ich mit Wilhelm Droste, dem deutschen Übersetzer von János Térey und bat ihn eingangs, den hierzulande noch nicht allzu bekannten Schriftsteller für unsere Büchermarkt-Hörerinnen einzuordnen.
Wilhelm Droste Das ist auch hier nicht ganz einfach. János Térey ist auch hierzulande eine ganz besondere Gestalt der ungarischen Literatur; Einer, der aus der Fremde kommt, kein Budapester ist, in Debreczin geboren, und man merkt, er guckt mit fremden Augen auf die Hauptstadt, in der er ab 1990 lebt und studiert hat. Er hat ab 1991 hat veröffentlicht. Und 1995 war klar, er ist einer der großen neuen lyrischen Stimmen im Lande. Die Lyrik spielt eigentlich traditionell die größere Rolle in Ungarn, oder spielte die größere Rolle, bis dann Péter Esterházy und Péter Nádas kamen und dadurch die Prosa an Dominanz gewann. Er – und das ist natürlich auch ein Grund, warum er dann nicht so ohne weiteres berühmt zu machen ist– Lyriker sind einsame Leute– insgesamt ist er immer Lyriker geblieben. Zum Schluss hat er größere Prosawerke geschrieben. Am Anfang waren diese Prosawerke immer noch so gesetzt wie Lyrik. Am Ende jetzt auch ganz normale Romane.
Und er hat sich immer sehr, sehr stark für das Theater interessiert. Also auch das war für eine ganz, ganz wichtige Bühne. Wie überhaupt diese Dialektik von Einsamkeit und Bedeutung bei ihm eine große Rolle gespielt hat. Der war immer so nach innen gekehrt. Er hat auch ein sehr markantes Gesicht, wo man nicht so genau weiß, was einen an diesem Gesicht so irritiert hat. Gleichzeitig war er immer bemüht, nicht nur in Ungarn, sondern tatsächlich in internationalen Horizonten zu denken und zu schreiben.
Geschichte war eines seiner großen Themen
Drees Die Deutschland-Bezüge in János Téreys Werk sind augenfällig. In welcher Weise werden diese in seinen Texten bearbeitet?
Droste Die Motive sind immer wieder aus der deutschen Mythologie gewählt. Er hat einen großen Dramenkomplex geschrieben. Das ist der "Nibelungen-Wohnpark". Der wurde zum Teil auch in Deutschland präsentiert. Es gab in Budapest eine wichtige freie Bühne – "Kreidekreis" hat die geheißen. Mit ihr ist er dann auch auf deutsche Bühnen nach Berlin gelangt mit dem Nibelungen-Wohnpark und war länger in Dresden und hat sehr viele Gedichte geschrieben, die sich auf Dresden beziehen. Dann war im Schloss Solitude bei Stuttgart für einige Monate und da ist ein kleines Bändchen erschienen, wo man seine Gedichte kennenlernen kann. Es gibt solche deutschen Publikationen, wo Gedichte von ihm zu lesen sind. Ich glaube auch, er hat Geschichte studiert und auch diese geschichtliche Verbindung von Ungarn und Deutschland – das war für ihn auch ein Thema. Er hat durchaus immer wieder nachgedacht über moderne Geschichte, über Trianon – das ungarische Versailles – der Verlust von diesen Zweidrittel Landgebieten und auch von viel ungarischer Bevölkerung. Da hatte er eine Parallele gesehen zwischen deutscher und ungarischer Geschichte.
Drees Ungarn steht wegen der geradezu totalitären Regierung Victor Orbáns unter besonderer Beobachtung. Hat sich János Térey politisch zu der aktuellen Situation geäußert?
Droste Auch da hatte er eine ganz interessante Stellung. Er hat es absolut vermeiden wollen sich in irgendeiner Weise von dieser Geschichte, die so polarisiert ist, selber polarisieren zu lassen. Er hatte keine Tabus – also, dass er mit bestimmten Zeitungen nicht sprach oder in bestimmte Häuser nicht gegangen ist. Aber hat offen nie politisiert. Für ihn war im Grunde genommen, glaube ich, die Idealvorstellung, dass er einer der Letzten ist, der mit beiden Beinen und mit beiden Flügeln in den Lagern steht. Und er hat versucht, Kommunikation herzustellen; natürlich mit wenig Erfolg. Denn das ist, was in Ungarn am Allerwenigsten funktioniert, aber er war, wenn man so will, eine Figur, die die Notwendigkeit und das Bedürfnis nach Verständigung immer wieder klar akzentuiert hat.
"Habe gedacht, das ist einer, den man sehr ernst nehmen muss"
Drees Herr Droste, Im Büchermarkt schauen wir auch deshalb so genau auf János Térey, weil wir vermuten, dass er in der Lage gewesen wäre, jene Leerstellen zu füllen, die seine verstorbenen Kollegen Péter Esterházy und der Nobelpreisträger Imre Kertèsz hinterlassen haben. Würden Sie der Einschätzung des Büchermarkts zustimmen; und welchen Text von János Térey würden Sie jenen empfehlen, die ihn nun literarisch kennenlernen möchten?
Droste Ich bin schon vor 2000 aufmerksam geworden und habe gedacht, das ist einer, den man sehr ernst nehmen muss, weil er eine ganz, ganz eigene Stimme hat - und ich glaube, dass er die auch systematisch durchgehalten hat. Ich habe mich deshalb mit meinen Energien auf seine Gedichte gestürzt und eben auch auf seine Texte gestürzt. Ich habe ein größeres Drama übersetzt – "Tafelmusik" – und habe jetzt ganz aktuell für den Wiener Arco-Verlag ein Buch gemacht mit dem Titel "Budapester Überschreitungen". Das sind 14 Novellen über Budapester Lebensgeschichten und man kommt tief hinein in die Stadt. Das wird jetzt Ende Juli erscheinen und da kann man sich vielleicht ein bisschen auf den Geschmack bringen lassen, was das denn für einer ist - oder leider seit heute: war.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
János Térey: "KaltWasserKult" (Gedichte), aus dem Ungarischen von Orsolya Kalász, Gerhard Falkner und Monika Rinck, Edition Solitude Stuttgart, 152 Seiten, 12 Euro

János Térey: "Budapester Überschreitungen", aus dem Ungarischen von Wilhelm Droste, Arco Wien, Wuppertal, 150 Seiten, 20 Euro