Donnerstag, 25. April 2024

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Zum Tod von Matthew Sweeney
Ein weltoffener Dichter, ein Garnspinner

Der irische Lyriker Matthew Sweeney habe wie ein Komiker gewusst, wann er zuschlagen und wo er eine Lücke lassen müsse, sagte Lyriker und Übersetzer Jan Wagner im Dlf. So zögen Sweeneys Gedichte die Leser von der erst Zeile an in sich hinein. Nun ist Matthew Sweeney im Alter von 66 Jahren gestorben.

Jan Wagner im Gespräch mit Angela Gutzeit | 07.08.2018
    Ein Porträt des verstorbenen irischen Dichters Matthew Sweeney
    Auf der Suche nach einem "alternativen Realismus": der irische Lyriker Matthew Sweeney (imago / gezett)
    Angela Gutzeit: Gestern Abend erreichte uns die Nachricht vom Tod des irischen Lyrikers Matthew Sweeney. Er starb bereits am Sonntag im Alter von nur 66 Jahren nach einer schweren Erkrankung. Sweeney, der 1952 im County Donegal geboren wurde, gehörte zu den bedeutendsten Lyrikern Irlands. Er veröffentlichte seit den 1980er Jahren Gedichtbände wie auch Kinderbücher. Er hatte ein paare Jahre in Deutschland gelebt, was sich durchaus in seinem Werk niederschlägt. Und er hatte in dem Lyriker Jan Wagner seinen idealen Übersetzer ins Deutsche gefunden. Der Büchner-Preisträger übersetzte die Gedichtbände "Rosa Milch" und "Hund und Mond" seines irischen Kollegen.
    Ich habe mit Jan Wagner heute Morgen unter etwas erschwerten Bedingungen telefonieren können. Er befand sich nämlich gerade im Flughafen auf dem Weg nach Irland. Matthew Sweeney sagte einmal selbst, er sei mit seiner Lyrik auf der Suche nach einem "alternativen Realismus". Ich fragte Jan Wagner zuerst, was das bedeutet angesichts der Tatsache, dass Sweeney ja oft mit dem Abgründigen und Rätselhaften spielte.
    Jan Wagner: Ja gut, ich glaube, jeder Dichter sucht nach einer anderen Sicht auf die Welt, und das hat Sweeney auch getan. Es gibt Menschen, die ganz gewiss sind, dass die Welt nicht das ist, was sie scheint. Und er beschreibt zwar alltägliche Dinge, Dinge, die jedem Leser, jede Leserin sofort vertraut sind, der Gang zum Schlachter oder ein gestrandetes U-Boot, Bilder, mit denen jeder sofort was anfangen kann. Aber er dringt da sofort in andere Ebenen vor, indem er eine groteske Wendung bringt, indem er nach Knoblauch stinkende Geisterköche hineinbringt.
    Also er unterwandert das, was alles kennen, unsere sinnlich wahrnehmbare Welt, mit Geschichten, die es in sich haben. Er hat ein Faible für die Schnurre, für das gesponnene Garn, für merkwürdige Gestalten, ob es auf Pferden reitende Versicherungsvertreter in der Wüste sind oder auf Inseln Gestrandete. All das benutzt er, um die vertraute Welt so neu zu gestalten, dass man oft merkt, wie sich einem die Haare sträuben, und gleichzeitig fühlt man sich animiert, lauthals zu lachen.
    Gutzeit: Kann man denn sagen, dass dieses Magische, was ihm nachgesagt wird, oder das Rätselhafte, etwas bewirken soll, was die Wahrnehmung des Alltäglichen angeht?
    Wagner: Unbedingt. Dieses Aufbrechen der gewohnten Zusammenhänge, die Einladung, sich neu auseinanderzusetzen, neu zu staunen über die Welt, die spricht jedes Gedicht aus. Es ist auch kein Zufall, dass Sweeney auch Gedichte für Kinder geschrieben hat. Er hat mal gesagt, dass er im Grunde nicht unterscheidet zwischen Gedichten für Kinder und Gedichten für Erwachsene. Er sagte, im Grunde sollten alle meine Gedichte lesen können, jeder sollte die Erfahrung haben, die nötig ist, um das zu verstehen und zu sehen, was ich sehe. Und die Erwachsenen sind wiederum eingeladen, das Kind in sich neu zu entdecken und sich eben zum Beispiel über Spukgeschichten, über merkwürdige Fundstücke und sonstiges zu begeistern.
    Mit den Formen gespielt
    Gutzeit: Sweeney verwendete oft freie Rhythmen in seiner Lyrik, aber nicht selten auch sind das kleine Prosa-Miniaturen, die wir da bei ihm vorfinden. Wie sieht denn die Bandbreite dieser Dichtung Sweeneys aus, was seine Gestaltung angeht?
    Wagner: Er hat durchaus auch mit Formen gespielt. Er ist einer der wenigen Dichter, der zum Beispiel vertrackte Konstruktionen wie die Sestine schätzt. Die hat er geschrieben. Er spielt auch oft mit Reimen oder mit schmutzigen Halbreimen. Aber oft ist es tatsächlich etwas, was erzählerisch im Ton ist. Wenn ich vorhin sagte, dass er ein Garnspinner ist, jemand, der mit jedem Gedicht auch sagt, was man in jedem Pub oder abends, an einem dunklen Winterabend in Donegal, wo er herkam, sagt: Setz dich hin und hör zu.
    Das macht jedes Gedicht auch. Es lädt ein, sich hinzusetzen und kurz eine Begebenheit zu hören, die einen staunen lässt. Aber dieses Erzählerische und Offene der Form sollte einen nicht täuschen. Denn natürlich ist jedes Gedicht sehr genau gearbeitet. Und genau, wie ein Komiker genau weiß, in welcher Sekunde er zuschlagen muss und wo er eine Lücke lassen muss, genauso bricht Sweeney seine Zeilen und genauso baut er ein Gedicht von der ersten Zeile, die einen sofort hineinzieht, bis zum Schluss. Und das ist auch da, wo er eben nicht mit Formen arbeitet, was er gelegentlich gern getan hat.
    Faible auch für den Surrealismus
    Gutzeit: Sie hatten eben schon ganz kurz seine irische Herkunft angedeutet. Kann man eigentlich Matthew Sweeney in einen irischen Kanon eingliedern, oder ist er da sehr eigen?
    Wagner: Er gehört zu den großen irischen Dichtern, das glaube ich auf jeden Fall. Allerdings steht er nicht nur in der irischen Tradition. Er war immer ein weltoffener Dichter, offen für andere Traditionen, für andere Literaturen. Er hat die deutsche Literatur sehr geliebt, hat auch in Freiburg studiert, liebte Kafka, liebte Kleist und viele andere. Sprach auch Deutsch, hat in Freiburg studiert und war dann lange in Rumänien. Und den Bezug zu Osteuropa kann man auch in seinen Gedichten sehen, dieses Faible auch für den Surrealismus und das surreale Bild, das man dort oft findet, das sieht man auch bei ihm.
    Das heißt, er ist natürlich geprägt von Irland, das eine Rolle spielt bei ihm, auch seine Herkunft Donegal, diese Gegend ganz im Nordwesten Irlands, wo es sehr stürmisch ist und der Atlantik tobt, das sieht man bei ihm. Man sieht die irischen Fischer, die nicht schwimmen können. Einmal taucht ein Schweißfleck auf einem Hemd auf, der exakt die Form von Irland hat. Ein großartiges Gedicht. Und all das findet man, die Landschaft, die Leute, aber gleichzeitig ist es doch ganz klar so, dass er von vielen anderen Traditionen geprägt ist. Die Vorliebe für Kafka, Beckett findet man gleichermaßen, aber auch die für Tom Waits und osteuropäische Lyrik. Das heißt, er ist natürlich ein irischer Dichter, einer von so vielen wunderbaren irischen Dichtern, aber mit einem Ton, der ganz und gar sein eigener ist.
    Offenheit gegenüber anderen Literaturen
    Gutzeit: Jan Wagner, Sie sprachen gerade seine Beziehung auch zu Deutschland an. Er hat in Deutschland gelebt, und Sie haben auch die deutschsprachige Literatur erwähnt wie Kleist und Kafka. Er selbst hat aber auch gesagt, er hätte eine Beziehung zu Grass und Böll. Wie kann man das denn verstehen.
    Wagner: Er war offen für alles. Er hat auch Brecht gelesen. In einem Gedicht sagt er, er werde sich jetzt zurückziehen nach Lissabon und das Gesamtwerk Brechts übersetzen. Er war für viele Autoren offen und nicht nur für Dichter oder nicht nur für Lyriker. Er hat auch Prosa gelesen, er hat auch Prosa geschrieben für Kinder. Aber nicht nur das, auch eine satirische Kriminalnovelle. Das heißt, auch das Interesse an Böll und Grass speiste sich aus einer Offenheit gegenüber anderen Literaturen und auch der Prosa. Aber gerade für die deutsche Sprache hatte er wie gesagt ein Faible.
    Gutzeit: Sie haben nun zwei Bände übersetzt, "Rosa Milch" und den gerade vor mir liegenden Band "Hund und Mond". Haben Sie ihn eigentlich persönlich gekannt, um mit ihm über die Gedichte zu sprechen?
    Wagner: Ja, wir kannten uns gut. Seit 2004 kannten wir uns und waren befreundet und haben uns regelmäßig ausgetauscht, waren auch oft auf Lesetour gemeinsam. Hier und da waren wir, gerade im letzten Herbst noch in Deutschland unterwegs mit dem neuen Buch, jetzt im März waren wir in Irland und haben in Galway, in Limerick und in Cork gemeinsam gelesen. Also, wir haben uns regelmäßig ausgetauscht, entweder persönlich oder im Briefwechsel.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.