Durak: Das heißt, Ihre Forderungen richten sich eher an die Vereinigten Staaten?
Sonnleitner: An die Vereinigten Staaten oder an Schwellenländer wie Brasilien oder auch an Länder wie Australien und Neuseeland, die extrem aggressiv auf den Agrarmärkten vorgehen und die ärmsten Länder und damit eben die Entwicklungsländer in die Ecke stellen oder wirtschaftlich extrem unter Druck setzen. Es wird von den Entwicklungsländern immer wieder anerkannt, der fairste Partner ist die Europäische Union, und wir haben diesen Ländern schon sehr stark geholfen.
Durak: Was sind denn die deutschen Bauern darüber hinaus noch bereit, zu Gunsten der armen Bauern abzugeben?
Sonnleitner: Wir haben bereits jetzt bei der letzten Reform, die am 26. Juni in Luxemburg beschlossen worden ist, weitere große Zugeständnisse gemacht. Deswegen hat der WTO-Ratsvorsitende De Castillo jetzt in Cancún in einem offiziellen WTO-Papier gesagt, nur bei Landwirtschaft und bei Medizin hat sich etwas bewegt, in allen anderen Wirtschaftsbereiche wie Dienstleistung oder Investment hat sich überhaupt nichts bewegt. Landwirtschaft ist ja nur einer unter 20 Hauptverhandlungspunkten in Cancún. Ich habe als Bauernpräsident immer den Eindruck, viele, die sich überhaupt nicht bewegt haben, verstecken sich hinter der Landwirtschaft, um von ihren eigenen Problemen abzulenken, um selbst keine Zugeständnisse für einen fairen Welthandel zu machen. Wir haben sehr viele Vorleistungen gebracht. Wir sind kompromissbereit, aber auch andere müssen sich bewegen.
Durak: Aber immerhin hat ja die EU mit der Agrarreform ihre eigenen Schutzmaßnahmen verstärkt und den Status festgeschrieben. Das heißt, die Subventionen nehmen eigentlich wirklich nicht ab.
Sonnleitner: Wir haben die Ausgleichszahlungen entkoppelt. Sie sind nicht mehr an die Produktion gebunden. Der Milchpreis wurde zum Beispiel um 25 Prozent heruntergefahren. Die Exportförderungen werden sukzessive abgebaut. Nochmals: Das sind extrem schmerzliche Vorleistungen, die die europäischen und damit auch die deutschen Bauern erbracht haben. Es muss sich auch bei den Dienstleistungen, bei den Gewerkschaften noch viel bewegen, und wir müssen auch immer wieder sehen, dass wir in Deutschland und in Europa den höchsten Standard im Verbraucherschutz, in Natur und Umwelt und im Tierschutz haben, und auch dies muss in Cancún Verhandlungsbestandteil sein. Wir können nicht bei uns die höchsten Standards haben und dann die Märkte liberalisieren und genau diese Produktion, die in hoher Verantwortung stattfindet, wirtschaftlich ruinieren.
Durak: Auf die Art und Weise aber kommen die Entwicklungsländer nie auf einen grünen Zweig, weil man von jetzt auf nachher solche Standards nicht erreichen kann. Wie ist denen da zu helfen?
Sonnleitner: Weil wer den Entwicklungsländern besondere Präferenzen erlauben und genehmigen und im Verhandlungsweg sie damit schützen wollen. Die Entwicklungsländer dürfen ihre Märkte speziell schützen, zum Beispiel beim Außenschutz. Sie bekommen Präferenz beim Import oder beim Export nach Europa. Wir wollen den Entwicklungsländern helfen und fair mit ihnen umgehen. Wir werden ihnen zusätzliche Zugeständnisse machen.
Durak: Halten Sie es denn für richtig, dass mit Nahrungshilfen in Notfällen Agrarüberschüsse aus der EU, nehmen wir an, nach Afrika oder anderswo abgegeben werden, die Bauern dort aber auf Dauer ihre Lebensgrundlage verlieren?
Sonnleitner: Dies haben wir immer kritisiert. Wir müssen aber trennen zwischen der Hungerhilfe in extremen Notfällen. Wir haben immer wieder betont, dass nur Überschussverwertung, und dann wird bei Hunger geholfen, dass dies moralisch nicht vertretbar ist. Wir haben auch durch die Reformen in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft unsere Überschüsse radikal abgebaut. Wir haben Weltmarktanteile in fast allen Produktionsteilen dadurch verloren. Das wurde aber dann von aggressiven Agrarexporteuren wie eben Australien oder Argentinien, Brasilien mehr als wettgemacht. Diese Länder bedrängen die Entwicklungsländer. Wir haben unsere Produktion zurückgenommen, um eben schwache Länder zu schützen.
Durak: Aus deutscher Sicht also ist nichts weiter zu tun, den Armen zuzugestehen?
Sonnleitner: Den Armen helfen wir bereits, und diese Hilfen werden erhöht. Zum Beispiel bekommen die 49 ärmsten Entwicklungsländer jetzt totalen Marktzugang. Dann haben wir ein Abkommen mit den AKP-Staaten, das heißt Afrika, Pazifik, Karibik, dass sie fast zollfrei und in unbegrenzter Menge zu uns reinliefern können. Kein anderes Land der Welt hat so viele Abkommen mit diesen ärmsten Ländern wie Europa, um ihnen zu helfen. Um ein Beispiel aufzuzeigen, wir importieren von diesen Entwicklungsländern mehr als Amerika, Kanada, Australien, Argentinien, Neuseeland und Japan zusammen, und dies wird ausgebaut, das heißt, wir sind hier vorbildlich.
Durak: Sie werfen sich schützend vor die deutschen Bauern - das ist ja auch Ihre Aufgabe als Bauernpräsident - und sagen, kein weiterer Subventionsabbau auch für Deutschland/Europa. Als es um die Agrarreform ging, war Ihr Protest doch etwas deutlicher zu hören. Hat sich das mit dem Blick auf Cancún geändert?
Sonnleitner: Durch diese Reform vom Juni diesen Jahres in Luxemburg erleiden wir starke Einbußen. Die Preise werden zurückgefahren. Bei Cancún geht es ja um weltweite Spielregeln, und da dürfen sich doch nicht diejenigen durchsetzen, die mit Ellenbogengewalt den reinen Liberalismus frönen und keine Standards und ethische und moralische Werte beachten. Wir haben unser ökonomisches Handeln noch unterlegt mit Verbraucherschutz, mit Umweltschutz, mit Tierschutz, mit sorgsamem Umgang mit unseren natürlichen Ressourcen, und auch dies muss berücksichtigt werden. Wir können doch nicht in einen Wettstreit mit Ländern wir Brasilien treten, die Millionen von Hektar an Regenwald roden, was jetzt auch durch die Medien ging, bei den Kaffeeplantagen ihre Landarbeiter wie Sklaven halten. Wir wollen doch eine solche Ausbeutung nicht, und da müssen wir faire Standards setzen, die eben allen gerecht werden.
Durak: Das war Gerd Sonnleiter, der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, vielen Dank für das Gespräch.
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