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"Zumindest gibt es eine Verfahrenssicherheit"

Mit dem Anerkennungsgesetz, das am 1. April 2012 in Kraft getreten ist, sei nun zumindest gesichert, dass ein ausländischer Berufsabschluss auf Gleichwertigkeit geprüft werde, sagt Eva Müller von der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit (HdBA). Das sichere aber nicht die Integration auf dem Arbeitsmarkt.

Eva Müller im Gespräch mit Manfred Götzke | 03.04.2013
    Manfred Götzke: Mit welchen konkreten Problemen Menschen zu tun haben, wenn sie ihren Abschluss anerkennen lassen wollen, das hat Eva Müller von der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit für ein Forschungsprojekt untersucht in den vergangenen Jahren. Frau Müller 300.000 ausländische Fachkräfte arbeiten nach wie vor unterhalb ihrer Qualifikation? Womit ist dieser Brain Waist zu erklären?

    Eva Müller: 300.000 ausländische Fachkräfte klingt viel, allerdings haben davon laut Bundesregierung erst zehn Prozent überhaupt einen Antrag gestellt auf Anerkennung. Das bedeutet, 30.000, die einen Antrag gestellt haben, was ja nicht gleichbedeutend damit ist, dass dem Antrag stattgegeben wurde, selbst, wenn sie jetzt eine volle Anerkennung bekommen würden, heißt das noch nicht, dass sie in den Arbeitsmarkt integriert sind. Also nach der Anerkennung kommt die große Schwierigkeit, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, daher kommt der Brain Waist.

    Götzke: Weil Anerkennung ja nicht bedeutet, dass die Leute dann direkt einen Arbeitsplatz bekommen.

    Müller: Anerkennung bedeutet ja lediglich, dass sie eine formale Prüfung, also ein formales Prüfungsverfahren durchlaufen haben, was schaut, ob ihre Qualifikationen, die sie im Ausland erworben haben, gleichwertig mit denen in Deutschland sind.

    Götzke: Nun war ja Anerkennung auch vor einem Jahr bereits möglich. Aber es war nicht so ganz einfach: Sie haben für Ihre Studie mit Fachkräften gesprochen, die in die Mühlen der deutschen Bürokratie auch vor dem Anerkennungsgesetz geraten sind, und deren Geschichten gesammelt. Welche Hürden mussten die Migranten überwinden, mit denen Sie gesprochen haben?

    Müller: Das waren ganz unterschiedliche Hürden. Es hat einerseits damit angefangen, dass die Personen, die hierher gekommen sind, natürlich nicht gleich ihren Abschluss haben anerkennen lassen wollen beziehungsweise es nicht getan haben. Vielleicht wussten sie es nicht, also die Dauer reicht im Durchschnitt bis zu vier Jahre, also zwischen Einreise und der Erstantragstellung auf Anerkennung ist natürlich ziemlich lang. Dann die Dauer des Verfahrens an sich, die ist ja mittlerweile gesetzlich festgelegt auf maximal drei Monate, die Dauer bei uns in der Stichprobe, also es waren 30 Personen, die wir befragt haben, beträgt durchschnittlich sechs Monate, und auch hier ist eine Riesenspannweite – also wir hatten einen Fall, die Dame hatte innerhalb von zwei Wochen ihren Bescheid, eine andere Person hat drei Jahre auf die endgültige Anerkennung gewartet. Das sind so die formalen Schwierigkeiten, und was wir ganz oft gehört haben, sind Informationsprobleme, Kommunikationsprobleme, dass die Anerkennungsbescheide nicht verstanden wurden, dass beispielsweise bei einer Teilanerkennung dann nicht klar war, wie kann ich jetzt dann eine volle Anerkennung erreichen, also welche Nachqualifizierungsmaßnahmen muss ich denn durchlaufen, wo finde ich diese Maßnahmen, wer bezahlt sie mir, was kostet das ganze, also die ganzen Informationen waren nicht so, wie das gebraucht worden wäre.

    Götzke: Ist das denn jetzt besser geworden durch das Anerkennungsgesetz?

    Müller: Also, zumindest gibt es eine Verfahrenssicherheit, also jeder, der hierherkommt, unabhängig, wo er ursprünglich herkommt, wo sein Abschluss herkommt, kann zumindest seinen Abschluss prüfen lassen auf Gleichwertigkeit. Das war ja vorher nicht gegeben, da gab es ja Unterschiede zwischen EU-Bürgern, Spätaussiedlern und Nicht-EU-Bürgern, das ist jetzt nivelliert, also kann jeder machen, der möchte. Das ist aber die reine Verfahrenssicherheit. Ob die Informationspolitik anders ist, weiß ich noch nicht, also müsste man evaluieren, ob die Anerkennungsbescheide besser verstanden werden. Was auf jeden Fall deutlich besser geworden ist, ist, die richtige Stelle zu finden. Also es gibt ja dieses Portal, wo sich Personen schon im Ausland auch kundig machen können, wer sind meine Ansprechpartner, wo kann ich denn eine Beratung in Anspruch nehmen, wo kann ich meinen Abschluss anerkennen lassen, das ist deutlich besser geworden, also diese Flut an Informationen, dass man von einer Stelle zur anderen geschickt wird, ist durch dieses Portal schon deutlich vereinfacht worden.

    Götzke: Ja, vor allem gibt es ja eine Flut an Stellen. Es sind ja mehr als 400 einzelne Stellen, die für die Anerkennung zuständig sind. Wie ist das überhaupt zu erklären, ist das der bürokratische Wahnsinn in Deutschland, oder hängt das ein bisschen damit zusammen, dass man die Zuwanderer hier eigentlich nicht arbeiten lassen will?

    Müller: Die Stellen, das ist wahrscheinlich auch dem geschuldet, dass wir Berufe haben, die sowohl auf Bundesebene anerkannt werden müssen, das sind dann die, die unter das jetzige Gesetz fallen, was ein Jahr alt geworden ist, das sogenannte Anerkennungsgesetz oder BQFG, es gibt ganz viele Berufe, die aber auch auf Landesebene anerkannt werden. Hierfür haben wir das Problem, dass wir erst fünf Landesanerkennungsgesetze in Kraft haben, also elf noch fehlen. Dann gibt es natürlich Personen, die sich ihre Schulabschlüsse anerkennen lassen möchten, es gibt Personen, die sich ihre Hochschulabschlüsse anerkennen lassen möchten – problematisch ist es meiner Meinung nicht unbedingt, dass es so viele Stellen gibt, aber es ist natürlich, wenn man nicht weiß, wo man hin muss, ziemlich schwierig.

    Götzke: Sie haben ja auch die persönlichen Geschichten erfahren der Leute, die versucht haben, eine Anerkennung zu bekommen. Haben Sie da mal ein, zwei Beispiele, wie das im Einzelnen aussieht und welche Probleme da auftreten?

    Müller: Ja, die Probleme sind vielfältig, also es geht meistens mit einer Dequalifizierung einher, also dass man im Ausland beispielsweise Krankenschwester gelernt hat, was ja in vielen Ländern ein Studium darstellt, und hier dann nur als Pflegehelfer eingestellt wird beispielsweise. Das hatten wir ganz oft. Dann haben – da wir ja nur den sozialen Gesundheitssektor analysieren, ist natürlich der Hauptteil unserer Befragten weiblich, das heißt, über 90 Prozent der Befragten sind Frauen, die natürlich auch in einer Familienphase drinstecken, die dann aus persönlichen Gründen hierher ziehen, die sich ihren Abschluss erst mal nicht anerkennen lassen, dann wollen sie es versuchen, dann finden sie keinen Arbeitsplatz, dann dauert das Verfahren sehr lange, dann haben sie ein Problem mit der Kinderbetreuung, wenn sie eine Nachqualifizierung machen müssten, und selbst, wenn Sie dann den Abschluss haben, bedeutet das eben nicht, dass Sie einen Arbeitsplatz finden. Also ich hatte ja vorhin gesagt, dass die durchschnittliche Dauer zwischen Einreise und Antragstellung vier Jahre beträgt, und wenn man jetzt noch überlegt, dass das Verfahren, na ja, so zwischen sechs Monaten und zwei Jahren gedauert hat, dann sind wir schon bei fünf, sechs Jahren, und wenn Sie fünf, sechs Jahre aus Ihrem Beruf draußen sind, ist das ziemlich schwierig, da noch eine adäquate Stelle zu bekommen.

    Götzke: Wann wird es die taxifahrende Ärztin nicht mehr geben in Deutschland?

    Müller: Die taxifahrende Ärztin wird es nicht mehr geben, wenn sie den Antrag auf Anerkennung stellt, dem stattgegeben wird, und sie einen Arbeitgeber findet, der sie einstellt.

    Götzke: Frau Müller, vielen Dank für das Gespräch!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.