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Zur China-Reise von Bundespräsident Johannes Rau

Durak: Heute beginnt Bundespräsident Johannes Rau eine mehrtägige China-Reise, die eigentlichen politischen Treffen wird der Bundespräsident dann ab Donnerstag in Peking haben. Und was für ein China wird der Bundespräsident erleben neben dem offiziellen? Wie hat sich China entwickelt, dem Westen gegenüber gar geöffnet oder umgekehrt, was können wir von den Chinesen lernen? Fragen die uns Tilmann Spengler hoffentlich beantworten kann. Er ist Historiker, Schriftsteller und Sinologe, China-Kenner aus eigenem Erleben und nun am Telefon. Her Spengler, durch die Wirtschaftsbrille gesehen ist China für Deutschland ein mehr als lukrativer Markt. Was aber ist es für uns noch?

    Spengler: Welche Brille man immer aufsetzt, wird sich zeigen. Ansonsten kann es uns vielleicht nicht völlig gleichgültig sein, wie ein gutes Viertel der Weltbevölkerung sich in der Zukunft verhalten wird.

    Durak: Was ist an China so wichtig und so interessant, dass wir Deutschen uns darum kümmern sollten?

    Spengler: Es sind verschiedene Geschichten. Das kann man auf der Ebene der romanhaften Projektion, also der Vorstellung, beantworten. Man hat seit dem 17. Jahrhundert in Deutschland und Europa ganz merkwürdige Vorstellungen gehabt, wie denn China so sei, China sei das große Vorbild, man könne von China etwas lernen. Das ging ja nun hinein bis in den Sozialismus der 70er Jahre und so weiter. Das ist vielleicht ein bisschen Schnickschnack. Im Augenblick sollte China ganz einfach deswegen wichtig sein, weil wir erleben werden, dass sowohl auf der Seite des Pazifik wie eben auf der Seite in Amerika, in China und in Europa selbst oder an den Grenzen von Europa selbst sich dort irgendeine große Macht bildet, die immer stärker an wirtschaftlichem Gewicht gewinnt und deren politische Stimme wohl auch nur lauter tönen wird.

    Durak: Welche politische Stimme?

    Spengler: Das ist die Stimme einer Partei, die krampfhaft darum ringt, den Name kommunistisch abzulegen, also die Kommunistische Partei Chinas wäre, glaube ich, unendlich glücklich, sage ich mal im leichten Scherz, wenn sie nicht mehr Kommunistische Partei hieße, aber das ist eine Partei, eine sehr nationale und auf den nationalen Aufbau, den Aufbau einer Gesellschaft unter den Voraussetzungen des entwickelten Kapitalismus sehr bedachte Verfassung des Staates, die darum kämpft, China eben einen Platz an dem Tisch zu halten, den China seit vielen Jahren immer für den eigenen gehalten hat, der Platz an der Seite der Großen und er Mächtigen.

    Durak: Und wie weit hat sich China geöffnet, um an diesem Tisch Platz zu nehmen?

    Spengler: Sehr weit. Also Sie werden heutzutage große Schwierigkeiten haben, und auch der Bundespräsident wird große Schwierigkeiten haben - ich glaube, er war das letzte Mal 1983 in China -, dieses China von heute wiederzuerkennen. Dieses China heute sieht sicherlich weniger nach China aus als nach anderen Staaten. Es gibt Börsen, es gibt die verschiedenen anderen Einrichtungen der westlichen Zivilisation, also es sieht eben viel westlicher, japanisierter, amerikanisierter oder wie sie es nennen wollen aus, als es das vor 20 Jahren getan hat.

    Durak: Betrifft das nur die Hochhäuser, die man erkennt, wenn man als Tourist nach China reist, oder betrifft das auch die vielen Leute auf dem Lande, in den kleineren Städten im großen China?

    Spengler: Das betrifft sicherlich in erster Linie jetzt, sagen wir mal, diese fetten Küstenregion, und dann nimmt es sicherlich ab in dem Maße, in dem ins zentrale China, also weiterhin nach Westen marschieren von Chinas Osten aus. Aber dann nimmt es ein wenig zu, und Fragen wie Ausbeutung oder mangelnde medizinische Versorgung, die können sie überall gleichzeitig erleben.

    Durak: Welche Chancen gibt es denn für einen echten wirksamen Rechtsstaatsdialog, den der Bundespräsident ja versuchen will zu führen?

    Spengler: Ich glaube erstens, dass es sehr wichtig ist, diesen Begriff Rechtsstaatsdialog eingeführt zu haben, weil dann ist so etwas erst mal auf der Tapete. Ich glaube zweitens, dass man das nicht alles mit riesigem Glockenspiel begleiten muss, was da passiert, also welche Brieflein da übergeben werden. Ich glaube, es ist drittens, langfristig und realistisch gedacht, eher so, dass wir ein funktionierendes Rechtssystem in China nur dann erwarten dürfen, wenn sich der Kapitalismus so richtig fett und breitgemacht hat, weil Kapitalismus braucht, wie wir alle von Max Weber wissen, die Vorausberechenbarkeit des Handelns und die Berechenbarkeit von Handlungen, und die muss juristisch kodifiziert werden. Dann werden wir ein Wirtschaftsrecht bekommen, und über dieses Wirtschaftsrecht werden wir sicherlich auch ein Strafgesetzbuch bekommen und so weiter, mit Garantien und allem, was dazu gehört. Insofern ist, von diesem Aspekt her betrachtet, natürlich der wirtschaftliche Aufschwung einer, den wir unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten sehr begrüßen müssen.

    Durak: Und braucht es Zeit für die Einhaltung der Menschenrechte durch China?

    Spengler: Das ist so ein Thema, was ein bisschen zu weit ist, um es in siebeneinhalb Minuten durchzudiskutieren, aber sicherlich braucht auch das Zeit, weil natürlich die Frage, wie weit ich welche religiöse Geschichte in welcher Form auch immer durchlasse, um nur einen Aspekt zu nennen, oder wie weit ich Presserechte in dieser oder der anderen Form durchlasse, natürlich Zeit braucht. Da sind selbst wir in Europa - Berlusconi hin oder her - nicht immer in der besten Situation zu sagen, hier sind wir das Vorbild.

    Durak: Das war Tilmann Spengler, Historiker, Schriftsteller und Sinologe, vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio