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Zur deutsch-französischen Initiative für Reformen der EU-Spitze

Lange: Der deutsch-französische Motor hat in der Geschichte der Europäischen Union des öfteren den Einigungsprozess wieder in Bewegung gebracht, wenn der im Dickicht gegensätzlicher Interessen hängen zu bleiben drohte. Bisweilen argwöhnisch beobachtet von den kleineren EU-Staaten, denen die Achse Paris-Bonn oder neuerdings Paris-Berlin nicht ganz geheuer ist. Nun, pünktlich zum 40. Jahrestag des Elysée-Vertrages, haben beide Regierungen wieder einen Stein ins Wasser geworfen, der mächtig Wellen schlägt. Ein EU-Präsident auf fünf Jahre vom Europäischen Rat gewählt und ein vom Parlament bestimmter Kommissionspräsident sollen künftig die Union leiten, also eine Art Doppelspitze. Das ist es, was Jacques Chirac und Gerhard Schröder vorschwebt. Was von dieser Initiative zu halten ist, das wollen wir nun mit Hans-Gert Pöttering erörtern. Er ist CDU-Europa-Abgeordneter und Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei. Guten Morgen Herr Pöttering!

    Pöttering: Guten Morgen Herr Lange.

    Lange: Machen wir es ganz einfach. Ist das eine brauchbare Initiative?

    Pöttering: Die Initiative, wenn man sie nicht reduziert auf die so genannte Doppelspitze, von der Sie mit Recht gesprochen haben, ist eine sehr sinnvolle Initiative, weil endlich mal wieder Deutschland und Frankreich eine gemeinsame Initiative auf den Weg bringen. Es hat ja lange gedauert unter dieser Regierung, dass man überhaupt etwas gemeinsam mit Frankreich auf den Weg bringt. Das war ja früher bei Bundeskanzler Kohl und Staatspräsident Mitterrand eher das übliche, dass man gemeinsam handelte. Deswegen begrüße ich es sehr, dass die deutsche und die französische Regierung hier eine gemeinsame Initiative entwickelt haben.

    Lange: Also es ist schon ein Wert an sich, wenn sich diese beiden Regierungen in so zentralen Punkten einigen, egal wie es dann im Detail aussieht?

    Pöttering: Ja absolut, wenn die Richtung stimmt, die in allen Punkten hier nicht stimmt, aber doch die Grundtendenz was die Stärkung des Parlamentes angeht ist richtig. Deswegen begrüße ich im Kern diese Initiative und sie ist auch zum richtigen Zeitpunkt gekommen, weil wir ja in der kommenden Woche das 40jährige Bestehen des Elysée-Vertrages feiern werden.

    Lange: Gehen wir die einzelnen Punkte vielleicht mal durch. Doppelspitze: wäre so etwas akzeptabel oder würden dadurch die politischen Gewichte zu sehr zur einen oder anderen Seite verschoben?

    Pöttering: Ja, die Gewichte werden doch sehr stark in die Richtung der Regierungen verschoben und es ist überhaupt nicht geklärt in diesem Papier, wie die Rolle der Kommission dann im einzelnen sein soll und die Rolle dieses Vorsitzenden des Europäischen Rates, der den Staats- und Regierungschefs vorsitzen wird. Es heißt auch in dem Papier, dass dieser Vorsitzende des Europäischen Rates die Europäische Union auf der internationalen Bühne vertritt, und dann steht im Text "unbeschadet der Rolle des Präsidenten der Kommission". Ja was bedeutet das? Dieses muss geklärt werden und im übrigen finde ich auch, dass der Vorsitzende des Europäischen Rates, wenn er von den Staats- und Regierungschefs berufen wird, ausgewählt wird, keine hinreichende Legitimation hat. Wo ist die parlamentarische Komponente bei der Berufung einer solchen Person und wie wird eine solche Person kontrolliert? Da gibt es also noch sehr, sehr viele Fragen.

    Lange: Aber dass die halbjährige Rotation dem Ende entgegengeht, dass es mehr Kontinuität gibt, dem stimmen Sie im Prinzip dann auch zu?

    Pöttering: Ja, das steht natürlich alles im Zusammenhang mit der Gesamtverfassung, die jetzt im Konvent entwickelt wird. Auch die sechsmonatige Präsidentschaft hat ja durchaus etwas Positives. Die Dänen waren sehr erfolgreich. Wenn man eine halbjährige Präsidentschaft hat, bringt jedes Land viel guten Willen in die europapolitische Arbeit. Da gibt es also auch positive Elemente in der Vergangenheit. Aber wenn die Gesamtkonstruktion richtig ist, dann kann man sich dem Gedanken öffnen, ein neues Verfahren zu wählen.

    Lange: Es haben sich ja nun gerade mit Ausnahme Dänemarks insbesondere die kleinen EU-Staaten zu Wort gemeldet, die einen gewählten EU-Präsidenten ablehnen. Steckt da mehr dahinter als diese regelmäßige Sorge, in einer Institution nicht mehr präsent zu sein und dann untergebuttert zu werden?

    Pöttering: Ja, es ist natürlich die Sorge, dass das Gemeinschaftseuropa, wie wir es nennen, Schaden nimmt. Gemeinschaftseuropa bedeutet, dass die Europäer handeln durch die Gemeinschaftsinstitution, das heißt durch das Parlament, durch die Kommission und durch den Ministerrat. Wenn jetzt hier der Vorsitzende eines Europäischen Rates geschaffen wird, dann besteht doch die Befürchtung – und sie besteht mit Recht und dann muss man auch die Bedenken der kleineren Länder sehr, sehr ernst nehmen -, dass es eine Art Rückfall geben könnte in die bloße Regierungszusammenarbeit. Das muss verhindert werden und deswegen ist es ganz entscheidend, wenn man sich überhaupt diesem Gedanken eines Vorsitzenden des Europäischen Rates öffnet, wie seine Funktion im Verhältnis zum Kommissionspräsidenten genau beschrieben wird. Hier sind wir eher für eine Stärkung oder nicht nur eher, sondern ganz entschieden für eine Stärkung der Position des Kommissionspräsidenten, der ja vom Europäischen Parlament gewählt werden soll. So steht es in dem Papier, was wir im Kern begrüßen. Insofern ist das jetzt ein wichtiger Fortschritt, dass der Kommissionspräsident vom Europäischen Parlament gewählt wird.

    Lange: Aber läge es dann nicht in der Natur der Sache, dass der Kommissionspräsident die eigentlich starke Figur wird und der EU-Präsident aus der Ratspräsidentschaft mehr so eine repräsentative Figur erwirbt?

    Pöttering: Ja, genauso ist es, Herr Lange, und wir hätten auch sehr begrüßt oder zumindest ich hätte es sehr begrüßt, wenn die beiden Aufgaben des Kommissionspräsidenten und des Vorsitzes im Europäischen Rat in einer Person zusammengeführt würden, nämlich durch den Kommissionspräsidenten. Aber dieses hat ganz offensichtlich keine Zustimmung gefunden auf der französischen Seite, und deswegen sind wir in der Diskussionssituation, in der wir uns jetzt befinden.

    Lange: Einig sind sich Schröder und Chirac, dass in der Außenpolitik bis auf Fragen von Militär und Sicherheit mit Mehrheitsentscheidungen gearbeitet wird. Halten Sie das vernünftig und auch für durchsetzbar?

    Pöttering: Ja, das ist sehr vernünftig und vor allen Dingen ist auch vernünftig, dass die Position des sogenannten hohen Beauftragten, also die Position von Herrn Solana, den ich sehr schätze, der eine vernünftige Arbeit macht, und der zuständige Kommissar, also jetzt gegenwärtig Chris Patten, der sich auch gut abstimmt mit Solana, definiert wird. Aus diesem Dualismus, dieser Doppelstruktur haben sich in der Vergangenheit doch immer nicht so sehr persönliche, aber politische Konflikte ergeben, und das muss in eine Hand. Das ist vernünftig, dass dieses gemacht wird. Da habe ich aber einen weiteren Kritikpunkt: Es steht in dem Papier, dass die Außen- und Sicherheitspolitik nicht behandelt werden soll bei der Kommission. Dies ist völlig wesensfremd, weil sie gar nicht Fragen der Handelspolitik, der Förderung von Ländern und Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik trennen können. Auch dieses muss in dem Papier korrigiert werden oder besser gesagt im Konvent korrigiert werden. Nehmen Sie ein klares Beispiel: Wir wollen eine sehr entscheidende Politik entwickeln mit dem gesamten Mittelmeerraum, mit den arabischen Staaten. Da können sie nicht sagen, wo fängt nun die Außenpolitik an und wo hört sie auf, wo ist Sicherheit, wo ist Verteidigung. Wirtschaftshilfe ist Bestandteil dieser ganzen Politik. Deswegen kann man – und da sind wir sehr entschieden – nicht einfach in Beschlüsse hineinschreiben, in die europäische Verfassung, dass Außen- und Sicherheitspolitik nicht von der Kommission behandelt werden. Das ist so ein anderer Punkt, wo wir eine Schwächung der Kommission sehen, und das werden wir verhindern.

    Lange: Unter dem Strich sehen Sie die Initiative so, dass Sie sagen: ja, aber?

    Pöttering: Ja, aber. Ja, mit jedoch einem starken aber. Es sind aber auch sehr viele positive Elemente, zum Beispiel dass das Europäische Parlament in allen Fragen der Gesetzgebung, wo mit Mehrheit im Rat entschieden wird, gleichberechtigter Gesetzgeber ist, dass die Grundrechtscharta in die Verfassung kommt. Das sind alles sehr positive Elemente. Insofern bin ich optimistisch, beurteile diese Initiative im Kern positiv, wenn sie dazu führt, dass gewisse Korrekturen herbeigeführt werden. Unsere Fraktionsvertreter im Konvent werden sicherstellen, dass die Gemeinschaftsmethode die Arbeitsmethode ist, das heißt Handeln durch die europäischen Institutionen und kein Rückfall in die bloße Regierungszusammenarbeit. Wir wollen Demokratie, wir wollen Transparenz, wir wollen Parlamentarismus. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir dieses durchsetzen, denn ohne uns kann man keine Entscheidung im Konvent treffen.

    Lange: Sehen Sie denn noch Handlungsspielraum oder Verhandlungsspielraum auf der französischen Seite? Bisher scheint ja doch manches an denen gehakt zu haben.

    Pöttering: Ja. Politik ist ja ein Prozess und deswegen werden wir auch mit unseren französischen Freunden in der Fraktion, in der Regierung – die französische Regierung gehört ja zu meiner politischen Parteienfamilie dazu und die Vertreter der französischen Regierung von UMP, dieser neuen großen bürgerlichen Partei, sind in unserer Fraktion – unsere Möglichkeiten der Einflussnahme nutzen. In vielen Fragen hat sich aber auch Frankreich bewegt. Das wollen wir auch anerkennen. Es wird aber weitere Diskussionen geben und ich empfehle uns allen, dass wir hier nicht so sehr das Parteiinteresse in den Vordergrund stellen, sondern das Interesse Europas insgesamt, denn es ist unser gemeinsames Europa, dem wir eine Verfassung geben wollen.

    Lange: Am Ende wird dieser Verfassungskonvent in vielerlei Weise sicherlich einen Kompromiss erarbeiten, der sich doch unterscheidet von dem, was man vielleicht für die perfekte Lösung hält. Besteht nicht die Gefahr, dass man sich wieder zerstreitet, dadurch dass man eben eine perfekte Lösung sucht, sie nicht findet, anstatt dass man an irgendeinem Punkt auch mal etwas ausprobiert?

    Pöttering: Diese Gefahr besteht immer. Deswegen ist es meine ganz dringende Mahnung, dass die Kompromisse im Konvent herbeigeführt werden, also bis Ende Juni dieses Jahres, denn wenn wichtige Fragen offen bleiben und sie dann in einer Regierungskonferenz gleichsam also nur von Regierungsvertretern geregelt werden, dann ist das sicher weniger, als wenn man sich im Konvent einigt. Deswegen muss die große Anstrengung unternommen werden, im Konvent dort die Kompromisse zu machen. Ich bin aber zuversichtlich, dass dieses gelingt, und ich erwarte auch vom Präsidenten des Konventes, dass er die Gemeinschaftsmethode, das gemeinschaftliche Handeln der Europäer in den Mittelpunkt stellt. Er will ja einen Erfolg des Konventes und wenn er diesen Überlegungen folgt, das heißt die europäischen Institutionen stark zu machen und auch einen Beitrag zu leisten, dass beschrieben wird was macht die Europäische Union und was machen die Nationalstaaten – da brauchen wir auch mehr Klarheit -, wenn Herr Giscard D'Estaing diesen Weg wählt, dann hat er unsere volle Unterstützung. Insgesamt bin ich aber zuversichtlich.

    Lange: In den "Informationen am Morgen" war das Hans-Gert Pöttering, der Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei im Europäischen Parlament. – Danke schön für das Gespräch, Herr Pöttering, und auf Wiederhören!

    Link: Interview als RealAudio