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Zur Diskussion um die doppelte Staatsbürgerschaft

Heinlein: Nach dem Wechsel der Landesregierung in Wiesbaden ist es kaum mehr wahrscheinlich, daß das Vorhaben der doppelten Staatsbürgerschaft in der geplanten Form tatsächlich umgesetzt werden kann. Denn die Änderung des Staatsbürgerschaftsrechtes gehört zu den sogenannten zustimmungspflichtigen Gesetzen. Eine einfache Mehrheit sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat ist hierfür notwendig. Mit dem Machtwechsel in Hessen jedoch hat rot/grün die Mehrheit in der Länderkammer verloren. Man ist auf einen Kompromiß mit den CDU-geführten Ländern angewiesen. - Am Telefon begrüße ich jetzt den innenpolitischen Sprecher der Grünen, Cem Özdemir. Guten Morgen!

    Özdemir: Guten Morgen!

    Heinlein: Herr Özdemir, der Gesetzentwurf zum Staatsbürgerschaftsrecht soll trotz der Hessen-Wahl unverändert in das Parlament eingebracht werden. So sagte es Ihre Fraktionssprecherin Kerstin Müller. Ohne die Mehrheit im Bundesrat macht dies jedoch wenig Sinn. Warum sind sie so stur?

    Özdemir: Nein. Er kann natürlich nicht unverändert eingebracht werden, aber er muß in den Kernbestandteilen so eingebracht werden, wie wir das vereinbart haben. Diese Vereinbarung - das muß man einmal richtigstellen - ist übrigens keine Vereinbarung, wo die Grünen sich gegen die SPD durchgesetzt haben, sondern es ist eine gemeinsame Vereinbarung, die Programme von beiden Parteien umsetzt. Angesichts des Interviews unseres Bundeskanzlers Schröder, wo ein bißchen der Eindruck entsteht, als ob die Grünen der SPD die Pistole auf die Brust gedrückt haben und gesagt haben, ihr müßt unbedingt die doppelte Staatsbürgerschaft zulassen, würde ich sagen: so war es nicht, die SPD selber hat in der Koalitionsvereinbarung die doppelte Staatsbürgerschaft oder die Hinnahme der Mehrstaatlichkeit - so muß man ja richtigerweise sagen - mit drin gehabt. Dieses wurde umgesetzt. Hier ist in den Kernbestandteilen eine gemeinsame Vereinbarung erzielt worden, daß wir mehr Einbürgerung wollen, daß wir dringend dazu beitragen wollen, daß aus Ausländern Innländer werden. Es darf hiervon nicht Abstand genommen werden. Wir haben nach der Landtagswahl von Hessen aber eine neue Situation. Wir haben neue Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat, und die müssen natürlich berücksichtigt werden, wenn das Gesetz tatsächlich auch eine Mehrheit bekommen soll.

    Heinlein: Also werden Sie vor der Einbringung des Gesetzentwurfes in den Bundestag, in den Bundesrat das Gespräch mit der Union suchen?

    Özdemir: Nein, da wäre ich strikt dagegen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist die Union nicht geschäftsfähig. Solange die Unterschriftenaktion der Union läuft, in der Haß gesäht wird, in der Stimmung gemacht wird gegen Minderheiten, gegen Ausländer, übrigens mit Entwicklungen, die völlig unabsehbar sind, solange die Union vor allem selber nicht endlich mal mit einem eigenen Entwurf auf den Tisch kommt und sagt was sie will - bisher hat die Union ja immer nur gesagt was sie nicht will; was sie will haben wir bisher noch kaum gehört -, solange ist die Union gegenwärtig nicht geschäftsfähig. Ich denke, was wir tun müssen ist, das Gespräch mit den Ländern suchen. Hier gibt es ja einen Gesetzentwurf aus Rheinland-Pfalz. Mit denen wird man sich sicherlich unterhalten müssen, damit die Mehrheit im Bundesrat zustandekommt, die wir dringend brauchen. Wir müssen die Koalition suchen mit der Bevölkerung. 71 Prozent der Menschen in Deutschland wollen eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes, aber mehr als die Hälfte der Menschen möchte keine generelle Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft. Genau dieses muß sich im Gesetz wiederspiegeln, damit wir eine Mehrheit in der Bevölkerung haben. Ich bin aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt angesichts dessen, daß der liberale Flügel der Union quasi ins Exil gehen mußte, daß die CDU/CSU gegenwärtig aus Bayern von Herrn Stoiber geführt wird, dagegen, daß wir mit der Union das Gespräch suchen.

    Heinlein: Herr Özdemir, wenn ich Sie richtig verstehe, wäre das Optionsmodell der FDP auch für die Grünen eine akzeptable Lösung, ein möglicher Kompromiß?

    Özdemir: Es gibt, was das Optionsmodell angeht, seit Beginn Kritik. Es gibt Bedenken. Diese Bedenken sind nicht komplett ausgeräumt. Hier muß man sich dringend verständigen. Wie sieht es aus mit der Verfassung? Hier gibt es völlig unterschiedliche Stellungnahmen. Es muß dringend geklärt werden. Wir können nicht ein Gesetz machen, das nachher vor Karlsruhe Schiffbruch erleidet. Die Frage muß geklärt werden, wie ist es, wenn Jugendliche von ihren Eltern gezwungen werden, sich gegen die deutsche Staatsbürgerschaft zu entscheiden. Genau das wollen wir schließlich verhindern. Deshalb wäre ich strikt dagegen, daß man die Altersgrenze bei 18 Jahren ansetzt. Das würde genau dazu führen, daß wir das nicht erreichen was wir wollen, nämlich daß aus Jugendlichen, die hier geboren werden, schließlich auch deutsche Staatsbürger werden. All diese Fragen müssen geklärt werden. Wozu ich jetzt rate ist, daß man nicht irgendwelche Vorschläge über die Medien macht. Jetzt müssen sich beide Koalitionsparteien zusammensetzen. Heute um zwölf Uhr gibt es ein solches Treffen, wo die Innenpolitiker von SPD und Bündnis-Grünen zusammensitzen. Dann muß man einen gemeinsamen Entwurf entwerfen, der von beiden getragen wird. Ich will noch hinzufügen: Auch am geltenden Gesetzentwurf gab es ja nun Kritik von meiner Fraktion. Natürlich werden wir dieses auch versuchen, dort einzuarbeiten.

    Heinlein: Vorschläge über die Medien hat Bundeskanzler Schröder in dem erwähnten Interview gemacht. Er hat nämlich plädiert für ein erweitertes Optionsmodell, also nicht die Entscheidung mit 18 Jahren, sondern auch für ältere Menschen. Wäre das ein möglicher Kompromiß?

    Özdemir: Es steht mir fern, unseren Kanzler zu kritisieren, aber eines kann ich mir natürlich nicht verkneifen. Vielleicht würde es ja auch helfen, wenn der Kanzler gelegentlich seine Vorschläge früher abstimmen würde mit den Koalitionsparteien, übrigens auch mit seiner eigenen Fraktion. Dann hätten wir vielleicht manche Probleme, die wir in der Koalition hatten und die in Hessen zu Problemen geführt haben, weniger. Jetzt hat er nun einmal sein Interview so gemacht, wie er es gemacht hat. Ich denke, jetzt ist es Zeit, daß beide Seiten sich zusammensetzen, SPD wie Grüne, gemeinsam innerhalb der Koalition - so ist es zumindest der Stil, wie ihn die Grünen pflegen; ich kann ja nicht unbedingt für alle in der SPD sprechen - die gemeinsame Vereinbarung zu treffen. Dann werden wir gemeinsam vor die Bundespressekonferenz treten und vorstellen, wie wir am geltenden Gesetzentwurf aus dem Hause Schily Veränderungen der Gestalt vornehmen, daß die Mehrheitsfähigkeit einerseits gewahrt wird, andererseits aber auch klar wird, wir halten am Ziel fest, daß wir das Modernisierungshindernis Staatsbürgerschaft dringend beseitigen wollen. Wir wollen nicht mit einem Gesetz aus der Zeit Kaiser Wilhelms ins nächste Jahrtausend gehen.

    Heinlein: Ist das Klima in der Koalition schlechter, ist es eisiger geworden? Bundeskanzler Schröder wirft Ihnen vor, sich vornehmlich um Minderheite-Themen zu kümmern. Er fordert mehr Fischer und weniger Trittin.

    Özdemir: Es gibt sehr viel Fischer, und das ist gut so. Ich denke, es ist kein guter Stil, wenn man sich über die Presse Vorwürfe macht. Wir wollen uns daran nicht beteiligen, sondern wir suchen das Gespräch mit unserem Koalitionspartner. Ich bin mir sicher, dort löst man die Probleme am besten. Ich will noch mal eines sagen, was die Themen angeht. Das liegt natürlich auch daran, daß die SPD dazu beigetragen hat, daß die Diskussion so wurde wie sie war. Das ist nicht eine Frage, die nur von den Grünen zu verantworten ist. Hier müssen beide Seiten sich den Schuh anziehen. Wir haben die Reaktionen in der Bevölkerung nicht richtig eingeschätzt. Es ist uns nicht gelungen, die Auseinandersetzung auf der Straße zu suchen. Die CDU hatte ein Thema; wir hatten es nicht. Wir sind aus der Defensive nicht herausgekommen. Das kann man aber nicht alleine den Grünen zuschieben, sondern hier muß die SPD, hier muß auch der Regierungsteil, der von der SPD geführt wird, seinen Part der Verantwortung übernehmen. Das ist ein bißchen zu kurz gedacht, wie es Herr Schröder in der "Süddeutschen Zeitung" darstellt.

    Heinlein: Wie groß ist Ihre Sorge, daß Ihre Partei, die Grünen, jetzt von der SPD an den Rand gedrängt wird? Der Atomausstieg ist vorerst verschoben, der Doppelpaß, so wie Sie es sich vorgestellt hatten, ist in weiter Ferne, man muß einen Kompromiß suchen. Wieviel Kompromisse können denn die Grünen noch machen, ohne ihre eigene Identität in Frage zu stellen?

    Özdemir: Wir sind eine dialogische Partei, die natürlich immer daran interessiert ist, daß man Kompromisse sucht, die vor allem das Gespräch mit der Bevölkerung sucht. Insofern ist es völlig klar, daß man an einem solchen Wahlergebnis wie dem in Hessen nicht einfach vorbeigehen kann. Auf der anderen Seite ist es nicht akzeptabel, daß der Bundeskanzler quasi per ordere de mufti sagt, wie es jetzt zu gehen hat, nachdem er lange Zeit diesen Gesetzentwurf ja selber mit vertreten hat. Auch das darf man nicht vergessen. Ich denke, was jetzt sinnvoll ist, daß jetzt beide Seiten gemeinsam einen Entwurf vorlegen, der den Entwurf aus dem Hause Schily an einigen Stellen überarbeitet, genau an den Stellen, wo Kritik geübt wurde. Auf der anderen Seite ist aber auch klar: Dieser andere, neue Entwurf wird ein Entwurf sein, der auch Dinge enthalten muß, die wir bisher im geltenden Gesetz kritisiert haben. Es kann nicht einfach nur sein, daß die SPD ihren Teil durchsetzt und wir dieses nachzuvollziehen haben. In einer gemeinsamen Koalition, wo man Erfolg möchte, wo man vor allem den Erfolg von beiden Seiten möchte, muß man auch Rücksicht nehmen auf die Empfindlichkeit von beiden Seiten. Dazu rate ich, und ich rate, wie gesagt, vor allem dazu, daß man aufhört mit dem Sperrfeuer, daß man damit aufhört, sich gegenseitig über die Medien zu kritisieren. Das nutzt niemandem.

    Heinlein: Sie haben einmal gesagt, Ihre Partei und auch die SPD habe die Stimmung in der Bevölkerung falsch eingeschätzt. Haben Sie es versäumt, ausreichend für Ihr Modell, für die Vorteile der doppelten Staatsbürgerschaft zu werben, und geben Sie jetzt nicht allzu leichtfertig dem Druck der Straße nach?

    Özdemir: Ich glaube, das größte Problem war, daß wir im Grunde die Definition über unser eigenes Gesetzespaket verloren haben. Dies war sicher dadurch der Fall, daß die Union mit einer, ich will es vorsichtig formulieren, Campagne aufwartete, die sicherlich rassistische Gefühle bedient hat, eine Campagne, die dazu geführt hat, daß wir in der Gesellschaft gegenwärtig innerhalb der Nichtdeutschen eine massive Verunsicherung haben. Mit einer solchen Campagne ist es der Union gelungen, den Schwerpunkt des Gesetzes, der nicht bei der doppelten Staatsbürgerschaft liegt, sondern der darin liegt, daß Kinder, die hier leben, endlich Innländer werden sollen, daß wir es denjenigen, die schon seit vielen Jahrzehnten bei uns leben, leichter machen, deutsche Staatsbürger zu werden, zu verlagern. Diesen Schwerpunkt hat die Union zum Teil übrigens auch sehr demagogisch auf die doppelte Staatsbürgerschaft verlegt, und uns ist es nicht gelungen klarzumachen, daß wir keine Fans der doppelten Staatsbürgerschaft sind, sondern daß wir die doppelte Staatsbürgerschaft nur hinnehmen wollen und auch davon ausgehen, daß sie bei der dritten, vierten Generation bereits keine Rolle mehr spielen wird. Das herüberzubringen ist uns nicht gelungen. Daraus müssen Konsequenzen gezogen werden. Aber, und das muß ich ganz klar machen: Was ich nicht möchte und was wir auch nicht zulassen werden ist, daß wir jetzt einen gerupften Gesetzentwurf machen, der mit der ursprünglichen Intention nichts mehr zu tun hat. Wir wollen, daß aus den sieben Millionen Nichtdeutschen, aus einem großen Teil, aus dem Teil, der hier geboren ist, aus dem Teil, der sich hier fest niedergelassen hat, sich nichts zu schulden kommen lassen hat, Teil dieser Gesellschaft werden möchte, für die wollen wir eine Brücke bauen, daß sie Bürger dieser Gesellschaft werden können. Zu dieser Brücke gehört auch eine vermehrte Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft.

    Heinlein: Der innenpolitische Sprecher der Grünen war das, Cem Özdemir. Vielen Dank für dieses Gespräch und auf Wiederhören.