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Zur humanitären Lage im Irak

Remme: Auch wenn die Informationen über die humanitäre Lage im Irak alles andere als vollständig sind, die Bilder an Wasserdepots und von LKWs mit Nahrungsmitteln zeigen: die Not ist groß. Die Art und Weise, wie gestern zum Beispiel britische Truppen die Pakete mit Hilfsmitteln verteilten, sorgte für Kritik. Die Kameras zeigen Menschen, Männer, umringt von einer Menschenmenge, und in den ersten Reihen - wie konnte es anders sein? - die Stärksten, die Kräftigsten und auf keinen Fall diejenigen, die der Hilfe am meisten bedürfen, zum Beispiel Kinder. Auf Initiative der Schweiz beraten Experten heute in Genf über die humanitäre Hilfe. Zu der Fachkonferenz kommen Vertreter von 30 Staaten und über 20 Hilfsorganisationen zusammen. Bei mir im Studio ist nun Elias Bierdel, Vorsitzender der Organisation Kap Anamur, vor einigen Tagen zurückgekommen aus der Region. Herr Bierdel, geht zur Zeit humanitäre Hilfe nicht anders als gestern gesehen?

    Bierdel: Sie ginge sehr wohl anders, wenn man die Leute das machen lassen würde, die dafür die Erfahrung haben, die wissen, wie man das richtig anpackt. Und was wir sehen, diese Bilder - und das sind ja schon die geschönten, nicht wahr, das sind ja schon die, die wir sehen sollen wie alle Bilder, die vom Krieg verbreitet werden -, lassen den Schluss darauf zu, dass da Leute zu Gange sind, die das einfach nicht beherrschen, die hier offensichtlich unvorbereitet reingehen in Regionen, die nicht genug Personal dazu haben, die keine richtige Auswahl getroffen haben der Leute, denen sie da etwas abgeben wollen, sondern das sind offensichtlich Showveranstaltungen, und wenn man sich das anschaut, dann ist das schon sehr schmerzlich, ein Fiasko im Prinzip, denn Soldaten sind dafür eigentlich nicht ausgebildet, und sie verteilen hier etwas, was wahrscheinlich einen Öffentlichkeitseffekt erzielen soll, nämlich zu zeigen, dass das gute Soldaten sind, die Liebes vorhaben mit den Menschen und die letzten Endes - und so sehen sie es ja auch als Teil ihrer Strategie - im Kampf um die Herzen selbst im humanitären Einsatz unterwegs sind.

    Remme: Warum lässt man Sie nicht? Was antwortet man Ihnen, wenn Sie sagen, lasst uns das machen, wir, die wir etwas davon verstehen?

    Bierdel: Die Hilfsorganisationen im Augenblick, jedenfalls die nichtstaatlichen Organisationen können in diesem Gebiet nicht arbeiten, weil es ein Kriegsgebiet ist. Das ist eine ganz simple Feststellung. Hier gibt es nur eine einzige Möglichkeit im Augenblick, und die besteht eben für das Rote Kreuz, das Internationale Komitee. Die haben einen Sonderstatus, denn sie sind als einzige Mandatskraft sozusagen selber Bestandteil der Genfer Konvention, und das wird weitgehend tatsächlich auch von beiden Seiten auch in diesem Krieg so akzeptiert, von Ausnahmen abgesehen, beim Zugang zu Kriegsgefangenen etwa. Nur ist es eben ein Problem, tatsächlich Transporte dahin zu bekommen, wo sie hin sollen. Es sind jetzt einige Transporte auf dem Weg verschollen oder jedenfalls gibt es keine Kommunikation zu ihnen, das heißt ganz schlicht beantwortet, es ist im Prinzip jetzt noch zu gefährlich. Die Frage ist nur, wer entscheidet darüber, wann Hilfe hinein kann und wohin sie kommt? Und da haben wir einen sehr ernsthaften Konflikt, einen Konflikt mit den kriegsführenden Parteien hier, vor allen Dingen mit dem amerikanischen Militär, Oberkommando, die offensichtlich analog zu dem, was mit den Medien schon passiert, nämlich "embedded journalists" loszuschicken, die dann doch nicht das sehen dürfen, was sie gerne sehen möchten, sondern denen man irgendwas vorsetzt, dazu parallel jetzt irgendeine Art "embedded NGOs", eingebettete humanitäre Hilfe durchzusetzen, und da setzen wir uns natürlich mit allem, was wir haben, dagegen.

    Remme: Wie eng ist denn der Kontakt zu den Amerikanern? Ist das alles vor Ausbruch des Krieges so entschieden worden, wie Sie es gerade beschrieben haben, oder besteht da ein Dialog auch jetzt?

    Bierdel: Nein, das ist eine Anmaßung. Das ist der Versuch, hier Regeln durchzusetzen, die es so einfach niemals gegeben hat. Ganz toll ist das, also wir hatten jetzt zwei Leute in Kuwait, die sich das angeschaut haben, wie dieses Verfahren vorgesehen ist, wie es das Humanitarian Organisatiton Center, das HOC dort in Kuwait vorschlägt. Da sind sehr freundliche Menschen mit karierten Hemden, die sagen, hey, wie können wir dir helfen? Es ist schön, dass du da bist, und dann stellt sich raus, ohne diese Hilfe geht gar nichts. Man kommt nicht einmal in die Nähe der Grenze. Man erfährt überhaupt nicht, was im Land los ist. Es ist ein Prinzip humanitärer Hilfe, natürlich eigenständig darüber zu entscheiden, wem man helfen will, und selber auch festzustellen, wer die Hilfe am dringendsten benötigt. Wenn Sie gar keinen Zugang haben, dann können Sie diese Entscheidung nicht treffen und dann hängen Sie vollkommen von Militärs ab, und das ist ein Zustand, den wir so nicht akzeptieren, übrigens auch die meisten - und das finde ich sehr gut - deutschen Organisationen in dem Bereich so nicht akzeptieren wollen.

    Remme: Was wissen Sie über die humanitäre Lage im Irak?

    Bierdel: Wir haben uns gerade gestern im Auswärtigen Amt zusammengesetzt, eigentlich alle Organisationen, die mit Irak irgendwas zu tun haben, und haben Informationen ausgetauscht. Man weiß ein bisschen was. Man kann sagen, im Augenblick ist im Großen und Ganzen die Lage nicht katastrophal, und zwar in keinem Bereich. Man muss sich sehr große Sorgen über verschiedene Regionen des Irak, unter anderem im Norden, wo es große Zahlen von IDPs, also von internen Vertriebenen gibt, die sich da hin und her bewegen. Auch dort ist die Lage noch nicht katastrophal. Es gibt da nur relativ kleine Gruppen, die relativ schlecht versorgt sind, aber man muss sie im Auge behalten. Das tun wir natürlich auch in Kontakt mit der kurdischen Seite. Und im Süden natürlich die große Sorgen um die Zustände und Umstände in der Stadt Basra zum Beispiel, eine Millionenstadt in der Größe von Köln ungefähr, die da nun umschlossen ist. Wir hören immer wieder nur von Kämpfen hinein und hinaus. Wir haben gestern von Leuten vom Roten Kreuz, die da drin waren, dass auch dort die Lage noch nicht katastrophal ist. Nur: Die Temperaturen steigen dort. Die Wasserversorgung ist zumindest sehr bedroht, immer wieder mal bricht sie zusammen, und das heißt, dass auch die Gefahr von Seuchenausbrüchen da auf jeden Fall droht, und dann ist eben sehr schnell eine Situation da, die tatsächlich katastrophal zu nennen ist, und dann müssen die Helfer schon da sein, und da ist die Frage, wer entscheidet darüber, wer das ist, und was er da tun darf.

    Remme: Wir haben mit Blick darauf, wie dieser Krieg zustande gekommen ist, und mit Blick auf den Konflikt zwischen Deutschland einerseits und den USA andrerseits gehört, dass das Auswirkungen hat, zum Beispiel auf das Spendenaufkommen hierzulande. Merken Sie das in Ihrer Organisation?

    Bierdel: Kann ich nicht sagen. Wir haben übrigens noch gar nicht zu Spenden aufgerufen, einfach weil wir sagen, wir können im Augenblick jetzt nicht im Irak arbeiten, und das heißt, da wir diese Arbeit nicht leisten, können wir jetzt niemandem sagen, gebt uns dafür Geld. Wir wollen das zwar tun, wir haben das auch vorbereitet, aber wir warten damit noch, bis wir wirklich eine konkrete Arbeit vorzuweisen haben. Andere haben das anders entschieden und machen das anders, und die Tatsache, dass die Leute sich ein bisschen zurückhalten, hat vielleicht zum Einen politische Gründe, dass Spender sagen, wie kommt es denn, jetzt macht irgendjemand Krieg, haut alles kurz und klein, und nachher sollen wir das dann bezahlen, dass es wieder hergerichtet wird, dass sie das einfach verweigern, was ich auch eine relativ reife politische Entscheidung finde, und es mag andere Gründe geben, dass sie auch sehen, im Augenblick arbeitet dort kaum jemand, und warum sollen wir dann jetzt hier große Summen bereitstellen.

    Remme: Vielen Dank für das Gespräch.