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Zur Krise in der IG Metall

Heuer: Über die IG Metall wollen wir jetzt auch sprechen mit Jürgen Kromphardt, Wirtschaftswissenschaftler an der TU Berlin und Wirtschaftsweiser im Sachverständigenrat der Bundesregierung. Guten Morgen, Professor Kromphardt.

    Kromphardt: Guten Morgen, Frau Heuer.

    Heuer: Sind Sie für einen außerordentlichen Gewerkschaftstag, dafür also, die Entscheidung in der IG Metall zu beschleunigen, oder finden Sie, dass die ganze Aufregung ein bisschen zu viel ist?

    Kromphardt: Ich glaube schon, dass es nicht möglich ist, diese Diskussion bis zum Oktober hinauszuschieben. Es geht ja viel mehr um Sachfragen. Die IG Metall muss sich überlegen, wie sie in ihrer Verhandlungsweise und ihren Handlungen auf diesen verlorenen Streik reagiert. Diese Personalien verdecken die eigentlich wichtigen Sachfragen. Insofern wäre es gut, wenn die Personalien geklärt wären, damit man sich den Sachfragen widmen kann, nämlich: Wie kann die IG Metall sich modernisieren? Wie kann sie sich einstellen auf die schwächere Position der Gewerkschaften bei hoher Arbeitslosigkeit und trotzdem die Erfolge erreichen, die sie erreichen möchte?

    Heuer: Die Personalien bei der IG Metall können aber - wenn ich das richtig verstehe - nur geklärt werden, wenn der Vorstand geschlossen zurücktritt. Sollte er das so schnell wie möglich tun?

    Kromphardt: Über die Einzelheiten der organisatorischen Struktur weiß ich nicht richtig Bescheid. Das halte ich auch nicht so für das Zentrale. Das Zentrale wäre, dass man wieder über die Sachfragen diskutiert, nämlich darüber, welche alten Ziele man beibehält und welche neuen Ziele man hinzunimmt, um eben der heutigen Situation angemessen reagieren zu können.

    Heuer: Herr Kromphardt, trotzdem noch eine Frage zu den Personalien - das finden wir ja immer alle so interessant: Wer ist denn Ihr Wunschkandidat für den IG Metall-Vorsitz?

    Kromphardt: Dazu möchte ich mich nicht äußern. Ich meine aber schon, dass die IG Metall sich modernisieren muss, dass sie flexibler werden muss, wie zum Beispiel die IG Chemie das sehr gut vormacht. Derjenige, der dafür besser geeignet ist, wäre natürlich auch der bessere Kandidat.

    Heuer: Was heißt denn, Herr Kromphardt, Modernisierung? Bedeutet das eine stärkere Kooperation mit den Arbeitgebern?

    Kromphardt: Die IG Metall, abgesehen von dem Getöse, was sie meistens nach außen macht, kooperiert sehr stark mit den Arbeitgebern. Sie schließt ja immerhin immer wieder Tarifverhandlungen erfolgreich ab. Es geht aber vor allen Dingen darum, wie man sich flexibler verhält, wie weit man besondere Situationen einzelner Betriebe berücksichtigt, besondere Regionen berücksichtigt, inwieweit man zum Beispiel neben das feste Gehalt obendrauf noch einen kleinen gewinnabhängigen Bestandteil setzt, damit sich die Lage der einzelnen Betriebe darin widerspiegeln kann. Solche Fragen müssten geklärt werden. Da ist die IG Chemie weiter, und die IG Metall muss überlegen, ob sie diesen Weg nicht auch beschreiten soll.

    Heuer: Wie weit darf denn eine solche Flexibilität, wie Sie sie fordern oder vorschlagen, gehen? Viele sagen ja inzwischen, die Arbeitgeber machten ja schon jetzt, was sie wollten.

    Kromphardt: Das kann man so generell nicht sagen. In Ostdeutschland ist es in der Tat so, dass Tarifverträge nicht eingehalten werden, dass unter Tarif bezahlt wird selbst von Unternehmen, die im Tarifverband sind. Im allgemeinen ist es aber schon so, dass bei uns der Tarifvertrag die gültige Grundlage ist. Es wäre nötig, dass das auch so bleibt, dass die Flächentarifverträge respektiert werden. Dafür müssen sie wohl aber ein bisschen flexibler gestaltet werden als bisher. Diese Balance muss man finden: Einerseits sollen die Flächentarifverträge der Maßstab sein, aber dieser Maßstab muss eben ein bisschen flexibler sein, damit er auch von allen akzeptiert wird.

    Heuer: Inzwischen, Herr Komphardt, springt ja auch die Politik auf den Zug auf. Edmund Stoiber und Angela Merkel nutzen die Krise in der IG Metall, um mehr Wochenarbeitsstunden zu fordern. Haben sie Recht damit? Finden Sie diesen Vorschlag gut?

    Kromphardt: Nein, die Arbeitszeitverlängerung führt überhaupt nicht zu mehr Beschäftigung. Das heißt ja, dass die Leute, die bereits beschäftigt sind, länger arbeiten, mehr produzieren. Es fehlt bei uns eben auch an Nachfrage. Wenn also die bereits Beschäftigten länger arbeiten und mehr produzieren, haben wir eher ein größeres Nachfrageproblem. Das ist also eine nicht sehr sinnvolle Forderung.

    Heuer: Die IG Metall blockiert sich selbst. Man hat den Eindruck, dass da ältere Herren erbittert miteinander streiten. Das sieht fast aus wie ein Duell. Ist es nicht zu spät für eine Modernisierung der IG Metall, wenn es ein solches Führungspersonal - noch jedenfalls - hat? Es rennen ja jetzt schon die Mitglieder in Massen davon.

    Kromphardt: Das ist eigentlich ein Zeichen, dass so ein Gewerkschaftstag wirklich notwendig ist, damit auch die Basis, die ja die tägliche Auseinandersetzung mit den Arbeitgebern miterlebt und weiß, wie die Mitglieder denken, sich äußern kann. Da wird man dann sehen, dass man unter dem Eindruck der Argumente zu einer personellen Lösung kommt.

    Heuer: Wenn die Personalien und damit also die Strukturen geklärt werden, dann - so Ihre Prognose - geht es mit der IG Metall schnell wieder bergauf.

    Kromphardt: Das möchte ich hoffen, ja.

    Heuer: Jürgen Kromphardt war das, Wirtschaftswissenschaftler an der TU Berlin und Wirtschaftsweiser im Sachverständigenrat der Bundesregierung. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Kromphardt.

    Kromphardt: Bitte schön, Frau Heuer.

    Link: Interview als RealAudio