Nachtwei: Guten Morgen, Herr Wiese.
Wiese: War es angesichts der sich verschlechterten Sicherheitslage in Afghanistan nicht doch fahrlässig, die Soldaten in einem ungepanzerten Bus fahren zu lassen?
Nachtwei: Das werden wir heute bei einem Gespräch im Verteidigungsministerium genauer zu diskutieren haben. Allerdings war es in den letzten Monaten schon so, dass auf die verschärfte Sicherheitslage und die vermehrten Warnungen vor Anschlägen hin auch die Selbstschutzvorkehrungen verstärkt wurden.
Wiese: Nun werden ja schon erste Forderungen laut, den Bundeswehreinsatz in Afghanistan abzubrechen oder doch zumindest die Einsatzregeln zu ändern, das heißt, von der bisher relativ leichten Bewaffnung abzugehen und die Kontakte mit der Bevölkerung auf ein Minimum zu beschränken. Was halten Sie davon?
Nachtwei: Jetzt über einen möglichen Abbruch dieser Mission zu sprechen, ist völlig abwegig und kommt im Grunde der Intention dieser Attentäter genau entgegen, die nämlich diese internationale Schutztruppe aus dem Land treiben wollen, um damit das Land wieder in das alte Kriegschaos zurückzustürzen. Was die stärkere Bewaffnung und den stärkeren Schutz angeht, so muss man sehen, dass die ISAF-Schutztruppe und das Bundeswehrkontingent da drin eine spezielle Sicherheitsphilosophie vertreten. Sie sind ja dort eine Stabilisierungstruppe, eine Friedenstruppe und ausdrücklich keine Besatzungstruppe. Als Friedenstruppe kommt es darauf an, der Bevölkerung so offen wie es geht gegenüberzutreten und dadurch Vertrauen zu schaffen. Deshalb ist auch diese ISAF-Truppe relativ leicht bewaffnet und nur verhältnismäßig ausgestattet. Sie agiert dort eben nicht mit Panzern.
Wiese: Herr Nachtwei, ist es nicht naiv, die Soldaten in einem Land, in dem das Chaos immer größer wird, gewissermaßen als Gutmenschen auftreten zu lassen, nur um des positiven Ansehens willen, und sie nicht genügend schützen zu lassen?
Nachtwei: Nun, wer sich das Lager "Warehouse" des deutschen Kontingents angesehen hat, wer sich angesehen hat, wie die deutschen und die ISAF-Patrouillen sich durch Kabul bewegen, kann in keiner Weise davon reden, dass dort naive, ungeschützte Gutmenschen durch die Gegend fahren würden. Hier wird schon erheblich und sehr sorgfältig auf den Eigenschutz geachtet. Allerdings muss man auch sagen, dass gegenüber Selbstmordattentätern ein absoluter Schutz wahrscheinlich nicht möglich ist. Ich will damit nicht in Abrede stellen, dass da nicht wohl doch noch etwas verbessert werden kann und muss.
Wiese: Der Bundeswehreinsatz in Afghanistan soll ja nun sogar noch ausgeweitet werden. Nur zwei Tage vor dem Anschlag stellte der Bundestag dafür die Weichen. Danach sollen demnächst deutsche Soldaten im Raum Herat im Westen des Landes Dienst tun. Gerade von dort wird aber gemeldet, dass die Sicherheitslage wegen der sich gegenseitig bekämpfenden sogenannten warlords besonders brisant sei. Ist es nicht verantwortungslos, die Soldaten gerade dorthin zu schicken?
Nachtwei: Als Bundestag hatten wir damit übrigens noch nichts zu tun. Hier ist zunächst einmal ein Beschluss der Bundesregierung gefasst worden. Wir stellen allerdings in den letzten Monaten in den Provinzen außerhalb von Kabul eine sich verschlechternde Sicherheitslage fest. Das hat auch damit zu tun, dass die internationale Gemeinschaft ihre Stabilisierungsaufgabe in der Vergangenheit im Wesentlichen auf Kabul beschränkt hat, dass Demobilierungs- und Entwaffnungsaktionen auf dem Land deutlich vernachlässigt wurden. Es ist eine amerikanische Idee, jetzt auch in afghanischen Provinzstädten so eine Art Stabilisierungskerne von Wiederaufbauteams einzurichten, gemischt aus Zivilexperten und geschützten Soldaten, um auch in den Provinzen Stabilität zu fördern. Wenn ein solches deutsches Wiederaufbauteam aufgestellt würde, so wäre das wahrscheinlich in Herat, wo die Situation noch als gemäßigter gilt, wo also auch die lokalen Regionalherrscher zur Kooperation bereit sind. Also auch insgesamt der Versuch, die relative Stabilität von Kabul endlich auch aufs Land hinaus zu tragen.
Wiese: Wenn ich Sie recht verstanden habe, befürworten Sie das?
Nachtwei: Ich befürworte das grundsätzlich. Der Teufel ist allerdings bekanntlich immer wieder im Detail. Man wird also noch sehen müssen, welche vernünftige Art der Zusammenarbeit zwischen zivilen und militärischen Kräften möglich ist. In dieser Intensität hatten wir das bisher noch nicht - und ob die Sicherheitslage in einer entsprechenden Stadt, einer entsprechenden Provinz dieses auch tatsächlich verantworten lässt.
Wiese: Dann müssten die deutschen Soldaten dort sicherlich auch besser gerüstet, besser ausgerüstet sein?
Nachtwei: Das ist richtig, aber Sie sagten ja vorher selbst, um welche Größenordnung von Soldaten es geht: eine Größenordnung von 50, 60, 70 ungefähr. Auch diese wären dann - das muss man realistischerweise sagen - nicht schwer bewaffnet. Dafür braucht man ganz andere Kontingente. Man kann aber Zivilexperten, die in der Stadt arbeiten, auch selbstverständlich nicht mit Panzern schützen.
Wiese: Afghanistan, Herr Nachtwei, ist ja nur ein Auslandseinsatzort der Bundeswehr unter vielen. Nun wird sogar darüber nachgedacht, sich an der EU-Einsatztruppe für den Kongo militärisch zu beteiligen. Darüber wird heute sicherlich auch beim deutsch-französischen Gipfel in Berlin gesprochen werden. Wie stehen Sie zu dieser Frage?
Nachtwei: Die Staatengemeinschaft, die Vereinten Nationen und die Europäische Union haben 1994 in Ruanda kläglich versagt. Es gab Vorwarnungen hinsichtlich eines drohenden Völkermordes. Man hat sich zurückgezogen, und dann geschah dieser Völkermord, dem ungefähr eine Million Menschen innerhalb von zehn Wochen zum Opfer fielen. Gegenüber dem fürchterlichen Kongokrieg verhielt sich die Staatengemeinschaft auch überwiegend ruhig. Sie unternahm nur einige politische Initiativen. Wenn jetzt vor allem die Europäische Union versucht, etwas Verantwortung zu übernehmen gegenüber einer neuen völkermörderischen Eskalation, so ist das grundsätzlich völlig richtig. Es ist dann eine Konsequenz aus einer ganz, ganz schlimmen Vergangenheit. Man sollte sich allerdings fragen: Was kann wer beitragen? Die Franzosen haben hierbei die Führungsfunktion übernommen. Die Bundeswehr kann wegen ihrer begrenzten Fähigkeiten zur Zeit dieses nur im Unterstützungsbereich mittragen.
Wiese: Wäre es nicht grundsätzlich sinnvoller, die immer häufigeren Einsätze der Bundeswehr im Ausland von Berufssoldaten machen zu lassen, die Wehrpflichtarmee langfristig also ganz abzuschaffen?
Nachtwei: Dies geschieht ja sowieso schon, dass an diesen Auslandseinsätzen nur Zeit- und Berufssoldaten und längerdienende Wehrpflichtige beteiligt sind. Freiwilligkeit ist da die Voraussetzung beim Soldatenstatus. Aber Sie haben völlig Recht: Dieser Auftragswandel der Bundeswehr - weg von der Landesverteidigung hin zur Krisenbewältigung im Rahmen des Systems der Vereinten Nationen - macht im Grunde die Umstellung der Bundeswehr von der Wehrpflicht in Richtung einer Vollprofessionalisierung unbedingt notwendig.
Wiese: Vielen Dank. Das war in den Informationen am Morgen im Deutschlandfunk der sicherheitspolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Winfried Nachtwei. Auf Wiederhören, Herr Nachtwei.
Nachtwei: Auf Wiederhören.
Link: Interview als RealAudio
Wiese: War es angesichts der sich verschlechterten Sicherheitslage in Afghanistan nicht doch fahrlässig, die Soldaten in einem ungepanzerten Bus fahren zu lassen?
Nachtwei: Das werden wir heute bei einem Gespräch im Verteidigungsministerium genauer zu diskutieren haben. Allerdings war es in den letzten Monaten schon so, dass auf die verschärfte Sicherheitslage und die vermehrten Warnungen vor Anschlägen hin auch die Selbstschutzvorkehrungen verstärkt wurden.
Wiese: Nun werden ja schon erste Forderungen laut, den Bundeswehreinsatz in Afghanistan abzubrechen oder doch zumindest die Einsatzregeln zu ändern, das heißt, von der bisher relativ leichten Bewaffnung abzugehen und die Kontakte mit der Bevölkerung auf ein Minimum zu beschränken. Was halten Sie davon?
Nachtwei: Jetzt über einen möglichen Abbruch dieser Mission zu sprechen, ist völlig abwegig und kommt im Grunde der Intention dieser Attentäter genau entgegen, die nämlich diese internationale Schutztruppe aus dem Land treiben wollen, um damit das Land wieder in das alte Kriegschaos zurückzustürzen. Was die stärkere Bewaffnung und den stärkeren Schutz angeht, so muss man sehen, dass die ISAF-Schutztruppe und das Bundeswehrkontingent da drin eine spezielle Sicherheitsphilosophie vertreten. Sie sind ja dort eine Stabilisierungstruppe, eine Friedenstruppe und ausdrücklich keine Besatzungstruppe. Als Friedenstruppe kommt es darauf an, der Bevölkerung so offen wie es geht gegenüberzutreten und dadurch Vertrauen zu schaffen. Deshalb ist auch diese ISAF-Truppe relativ leicht bewaffnet und nur verhältnismäßig ausgestattet. Sie agiert dort eben nicht mit Panzern.
Wiese: Herr Nachtwei, ist es nicht naiv, die Soldaten in einem Land, in dem das Chaos immer größer wird, gewissermaßen als Gutmenschen auftreten zu lassen, nur um des positiven Ansehens willen, und sie nicht genügend schützen zu lassen?
Nachtwei: Nun, wer sich das Lager "Warehouse" des deutschen Kontingents angesehen hat, wer sich angesehen hat, wie die deutschen und die ISAF-Patrouillen sich durch Kabul bewegen, kann in keiner Weise davon reden, dass dort naive, ungeschützte Gutmenschen durch die Gegend fahren würden. Hier wird schon erheblich und sehr sorgfältig auf den Eigenschutz geachtet. Allerdings muss man auch sagen, dass gegenüber Selbstmordattentätern ein absoluter Schutz wahrscheinlich nicht möglich ist. Ich will damit nicht in Abrede stellen, dass da nicht wohl doch noch etwas verbessert werden kann und muss.
Wiese: Der Bundeswehreinsatz in Afghanistan soll ja nun sogar noch ausgeweitet werden. Nur zwei Tage vor dem Anschlag stellte der Bundestag dafür die Weichen. Danach sollen demnächst deutsche Soldaten im Raum Herat im Westen des Landes Dienst tun. Gerade von dort wird aber gemeldet, dass die Sicherheitslage wegen der sich gegenseitig bekämpfenden sogenannten warlords besonders brisant sei. Ist es nicht verantwortungslos, die Soldaten gerade dorthin zu schicken?
Nachtwei: Als Bundestag hatten wir damit übrigens noch nichts zu tun. Hier ist zunächst einmal ein Beschluss der Bundesregierung gefasst worden. Wir stellen allerdings in den letzten Monaten in den Provinzen außerhalb von Kabul eine sich verschlechternde Sicherheitslage fest. Das hat auch damit zu tun, dass die internationale Gemeinschaft ihre Stabilisierungsaufgabe in der Vergangenheit im Wesentlichen auf Kabul beschränkt hat, dass Demobilierungs- und Entwaffnungsaktionen auf dem Land deutlich vernachlässigt wurden. Es ist eine amerikanische Idee, jetzt auch in afghanischen Provinzstädten so eine Art Stabilisierungskerne von Wiederaufbauteams einzurichten, gemischt aus Zivilexperten und geschützten Soldaten, um auch in den Provinzen Stabilität zu fördern. Wenn ein solches deutsches Wiederaufbauteam aufgestellt würde, so wäre das wahrscheinlich in Herat, wo die Situation noch als gemäßigter gilt, wo also auch die lokalen Regionalherrscher zur Kooperation bereit sind. Also auch insgesamt der Versuch, die relative Stabilität von Kabul endlich auch aufs Land hinaus zu tragen.
Wiese: Wenn ich Sie recht verstanden habe, befürworten Sie das?
Nachtwei: Ich befürworte das grundsätzlich. Der Teufel ist allerdings bekanntlich immer wieder im Detail. Man wird also noch sehen müssen, welche vernünftige Art der Zusammenarbeit zwischen zivilen und militärischen Kräften möglich ist. In dieser Intensität hatten wir das bisher noch nicht - und ob die Sicherheitslage in einer entsprechenden Stadt, einer entsprechenden Provinz dieses auch tatsächlich verantworten lässt.
Wiese: Dann müssten die deutschen Soldaten dort sicherlich auch besser gerüstet, besser ausgerüstet sein?
Nachtwei: Das ist richtig, aber Sie sagten ja vorher selbst, um welche Größenordnung von Soldaten es geht: eine Größenordnung von 50, 60, 70 ungefähr. Auch diese wären dann - das muss man realistischerweise sagen - nicht schwer bewaffnet. Dafür braucht man ganz andere Kontingente. Man kann aber Zivilexperten, die in der Stadt arbeiten, auch selbstverständlich nicht mit Panzern schützen.
Wiese: Afghanistan, Herr Nachtwei, ist ja nur ein Auslandseinsatzort der Bundeswehr unter vielen. Nun wird sogar darüber nachgedacht, sich an der EU-Einsatztruppe für den Kongo militärisch zu beteiligen. Darüber wird heute sicherlich auch beim deutsch-französischen Gipfel in Berlin gesprochen werden. Wie stehen Sie zu dieser Frage?
Nachtwei: Die Staatengemeinschaft, die Vereinten Nationen und die Europäische Union haben 1994 in Ruanda kläglich versagt. Es gab Vorwarnungen hinsichtlich eines drohenden Völkermordes. Man hat sich zurückgezogen, und dann geschah dieser Völkermord, dem ungefähr eine Million Menschen innerhalb von zehn Wochen zum Opfer fielen. Gegenüber dem fürchterlichen Kongokrieg verhielt sich die Staatengemeinschaft auch überwiegend ruhig. Sie unternahm nur einige politische Initiativen. Wenn jetzt vor allem die Europäische Union versucht, etwas Verantwortung zu übernehmen gegenüber einer neuen völkermörderischen Eskalation, so ist das grundsätzlich völlig richtig. Es ist dann eine Konsequenz aus einer ganz, ganz schlimmen Vergangenheit. Man sollte sich allerdings fragen: Was kann wer beitragen? Die Franzosen haben hierbei die Führungsfunktion übernommen. Die Bundeswehr kann wegen ihrer begrenzten Fähigkeiten zur Zeit dieses nur im Unterstützungsbereich mittragen.
Wiese: Wäre es nicht grundsätzlich sinnvoller, die immer häufigeren Einsätze der Bundeswehr im Ausland von Berufssoldaten machen zu lassen, die Wehrpflichtarmee langfristig also ganz abzuschaffen?
Nachtwei: Dies geschieht ja sowieso schon, dass an diesen Auslandseinsätzen nur Zeit- und Berufssoldaten und längerdienende Wehrpflichtige beteiligt sind. Freiwilligkeit ist da die Voraussetzung beim Soldatenstatus. Aber Sie haben völlig Recht: Dieser Auftragswandel der Bundeswehr - weg von der Landesverteidigung hin zur Krisenbewältigung im Rahmen des Systems der Vereinten Nationen - macht im Grunde die Umstellung der Bundeswehr von der Wehrpflicht in Richtung einer Vollprofessionalisierung unbedingt notwendig.
Wiese: Vielen Dank. Das war in den Informationen am Morgen im Deutschlandfunk der sicherheitspolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Winfried Nachtwei. Auf Wiederhören, Herr Nachtwei.
Nachtwei: Auf Wiederhören.
Link: Interview als RealAudio