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Zur Schengen-Tagung auf dem Petersberg

Koczian: Auf dem Petersberg im Siebengebirge tagt der Exekutivausschuß der Schengen-Staaten. Eingeladen hatte dazu Bundesinnenminister Manfred Kanther. Ihn kann ich nun am Telefon auf dem Petersberg begrüßen. Guten Morgen!

    Kanther: Guten Morgen Herr Koczian!

    Koczian: Es geht bei der Sitzung wohl um eine Zwischenbilanz. Ist sie aus Ihrer Sicht positiv?

    Kanther: Es geht bei der Sitzung um mehreres. Es geht darum, viele technische Fragen unseres Außengrenzsicherungssystems mit den Partnern zu besprechen. Es geht darum, die Schengen-Union zu ergänzen um die Staaten, die der Europäischen Union nicht angehören, beispielsweise Norwegen, und Kooperationsmöglichkeiten mit der Schweiz zu finden, weil alle westeuropäischen, nord- und südeuropäischen Staaten die gleichen Kriminalitäts- und Zuzugsprobleme haben. Es geht darum, die mittel/osteuropäischen Staaten von Polen bis Rumänien und Bulgarien in den Prozeß der europäischen Sicherheit schrittweise einzubeziehen und insbesondere den Aspekt ihrer späteren EU-Angehörigkeit im Auge zu haben und dies alles nun langsam von dem besonderen Schengen-System, das ja nur einen Teil dieser Staaten umfaßt, in die Europäische Union zu überführen, die binnen kurzem dafür zentral zuständig sein wird, und das alles unter unserem Präsidium im Laufe eines Jahres.

    Koczian: Wo liegen denn die wichtigsten Defizite? Was könnte besser gemacht werden?

    Kanther: Das eine ist, daß wir in der Praxis gleiche Standards der Grenzsicherung benötigen. Daran müssen alle Länder arbeiten. Das kann ständig besser werden. Dafür kommen mehr Daten in den zentralen Datenbestand, das sogenannte "Schengener Informationssystem". Dafür arbeiten wir an einheitlichen Dokumenten, dafür müssen wir Kontrollen dort verstärken, wo sie noch nicht stark genug sind, zum Beispiel an den Fähren in Südeuropa, mit denen viele illegale insbesondere auch aus der Türkei kommen. Wir sprechen über die Entsendung von Verbindungsbeamten. Wir sprechen aber auch über ein gesamtes Schengener Sicherheitswerk, das die Basis sein muß für die weitere Arbeit in der Europäischen Union. Wir wollen gerne, daß sich die neuen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, also insbesondere die osteuropäischen Staaten ich nenne Polen, Tschechien, Ungarn und andere , frühzeitig, so schnell wie möglich an die westlichen Sicherheitsstandards anpassen: zum Beispiel an unsere gut gesicherte Landgrenze gegenüber Polen und Tschechien, an Oder-Neiße und im bayerischen Wald. Diese Standards müssen wir ja jetzt erarbeiten. Die kann man nicht schlagartig einführen. Das braucht sehr lange Zeit, das kostet viel Geld. Im früheren Ostblock gab es eine völlig anders organisierte, im wesentlichen von der damaligen Sowjetunion getragene Grenzsicherung, und dieses System ist heute nicht mehr tauglich. Da brauchen wir ein neues!

    Koczian: Nun sind ja am 01. April die Grenzkontrollen auch zu Österreich und Italien aufgehoben worden, also Länder mit Grenzen zum Balkan. Viele hatten deswegen Sorgen. Ist der Schritt zufriedenstellend bewältigt worden?

    Kanther: Ja, das ist er. Insbesondere Österreich, mit dem wir ja eine lange Landgrenze haben, hat erhebliche Anstrengungen gemacht in den letzten Jahren, seine grenzpolitischen Situationen zu verbessern. Das zeigt einen Teil des Problems. Bleiben wir bei Ungarn. Wenn dieses Land in einer überschaubaren Zeit zur Europäischen Union kommen wird, dann wird es die Erwartung geben, damit auch Freizügigkeit und Grenzöffnung zu verbinden. Das ist aber natürlich nur möglich, wenn dieses Land seinerseits Richtung Osten und Süden die Standards herstellt, die wir in Österreich und in Deutschland heute erarbeitet haben, denn eine Öffnung an innereuropäischen Grenzen Richtung Westen kann es immer nur dann geben, wenn damit kein Sicherheits-, Kriminalitäts- oder Zuzugsrisiko für die heutigen Staaten der Europäischen Union verbunden sein wird.

    Koczian: Dänemark, Finnland und Schweden zögern offensichtlich, ihre Schengen-Mitgliedschaft, die sie ja hätten, wahrzunehmen. Woran liegt es?

    Kanther: Nein, das glaube ich nicht. Es gibt ja eine besondere Situation im Norden durch die dortige TAS-Union. Es gibt eine besondere Situation dadurch, daß Norwegen die Mitgliedschaft in der Europäischen Union abgelehnt hat, daß wir aber vernünftigerweise ja nicht daran denken können, nun zwischen Schweden und Norwegen etwa eine Schengen-Außengrenze zu Lande zu schaffen und zu sichern, sondern daß natürlich der ganze nordische Raum an den Seegrenzen gesichert werden muß oder an der finnisch-russischen Grenze. Deshalb brauchen wir jetzt einen besonderen Status für Island und Norwegen. Diese Staaten nehmen auch an der heutigen Konferenz teil. Das ist wieder ein Sonderproblem der Grenzsicherung zur See eben, und Sie können daraus erkennen, wie vielfältig die Probleme der europäischen Grenzsicherung der Zukunft sein werden.

    Koczian: Zu den Problemen gehört ja sicher auch, daß die Kriminellen zunehmend grenzübergreifend arbeiten, die Notwendigkeit einer europäischen Polizei also erkannt wurde. Wie effizient ist dieses Schengen-Informationssystem und die Dienststelle, die ja ursprünglich in Den Haag beheimatet war?

    Kanther: Das sind zwei verschiedene Dinge. Das eine ist das Grenzsicherungssystem, das Daten aufnimmt: Fahndungsdaten einmal, aber eben auch Informationsaustausch zu illegaler Einwanderung liefert, das also die Grenzpolizeien miteinander verzahnt, auch innerstaatliche Ausländerbehörden. Das andere, Europol in Den Haag, ist eine kriminalpolizeiliche Behörde gegen das organisierte Verbrechen im Rauschgift-, im Waffenhandel, im Terrorismus, im organisierten Kraftfahrzeugdiebstahl und vielem anderen mehr und eine sehr große Datenzentrale werden wird, wofür wir die Gesetzgebung jetzt durch die beteiligten Parlamente gebracht haben. Deshalb denke ich, daß Europol bereits Ende dieses Jahres auch seine personenbezogene Fahndungsarbeit aufnehmen kann und damit eine enorme Unterstützung der westeuropäischen Polizeien sein wird.

    Koczian: Ist denn die Fixierung auf die Fahndung nach Personen noch zeitgemäß, wenn die kriminellen Aktionen drahtlos und über Internet zu bewerkstelligen sind, oder verkürzt ausgedrückt der Einbruch beispielsweise elektronisch verübt wird durch Datenklau und Eingriff in die Steuerung?

    Kanther: Sie haben schon Recht. Das ist eine spezielle Form von Kriminalität, die diese Informationstechnologie bewältigen kann, und deshalb gehören darauf besondere Antworten: europäisches, weltweites Zusammenspiel. Letzte Fahndungserfolge beweisen das auch. Aber unsere technischen Möglichkeiten müssen in dem Bereich noch besser werden, und daran arbeiten wir auch. Nur das ist ein Teil, ein schmaler Teil aus dem ganzen Bereich der Kriminalitätsbekämpfung. Deshalb bleibt es ja trotzdem dabei, daß Drogenhändler ihre Ware durch die Welt schicken, daß Waffenhändler ihre Transporte haben, daß Kraftfahrzeuge in Deutschland gestohlen und vor allem über die östlichen Landesgrenzen verbracht werden. Dies alles findet ja tatsächlich technisch auf Rädern oder Beinen statt, und deshalb nutzt es nichts, Fahndungsmaßnahmen allein etwa auf Internet oder elektronische Datenübermittlung zu konzentrieren. Da muß die Polizei richtig in klassischer Form Täter jagen.

    Koczian: Sie sind Dienstherr des Bundesgrenzschutzes, also der Polizei des Bundes. In der deutschen Teilung hatte der BGS ja eine andere Funktion, hatte Kompatandenstatus. Das verbindet ihn mit der französischen Gendarmerie und den italienischen Karabinieri. Sehen Sie manchmal mit Neid auf die Polizeiorganisationen dieser Länder?

    Kanther: Nein. Der Bundesgrenzschutz geht durch eine große Phase der Veränderung im Augenblick. Er bewältigt sie glänzend. Vor fünf Jahren hatten wir 2 000 Beamte an der deutschen Ostgrenze stehen zur Grenzsicherung, heute sind es 7 000. Wir haben den Bundesgrenzschutz völlig neuorganisiert. Er gibt die meisten seiner bisherigen Stützpunkte an der vormaligen Zonengrenze auf. Er wird zur einzeldienstlichen Polizei. Er ist zuständig für die Bahnlinien, die Züge und die Bahnhöfe. Wir haben gerade das Gesetz dahingehend geändert, daß der Bundesgrenzschutz dort auch verdachtsunabhängige Zugriffsmöglichkeiten hat, um eben auch das Hinterland zu sehen und nicht etwa nur eine Grenzbalkenideologie zu haben. Der Bundesgrenzschutz ist und wird also noch weiter eine modernst ausgerüstete Grenzpolizei, die allen Anforderungen genügt.

    Koczian: Kommen wir zum Thema Nacheile. Die Grenzen dürfen beim Fahndungserfolg nicht hinderlich sein. Andererseits müssen ja nicht unbedingt deutsche Uniformen auftauchen, um einen Eierdieb zu verhaften. Gibt es noch Regelungsbedarf bei diesem Thema?

    Kanther: Ja, hier sind auch Souveränitätsfragen der Staaten angesprochen, die das unterschiedlich sehen. Mir ist auf der Brücke zwischen Strasburg und Kehl ziemlich egal, wer einen verfolgten Schwerkriminellen festnimmt, die französische oder die deutsche Polizei. Mich interessiert nur, daß er festgenommen wird. Andere Staaten haben dort noch etwas engere Auslegungen. In der Praxis ergeben sich keine sehr großen Probleme aus unterschiedlichen Regelungen der Nacheile, also der Frage, ob etwa die französische Polizei im deutschen Grenzbereich tätig werden darf und umgekehrt. Das müssen wir sicher noch vereinfachen. Wir müssen auch Auslieferungs- und Rechtshilfeverfahren noch vereinfachen, aber das ist kein zentrales Problem der Grenzsicherung.

    Koczian: Psychologisch ist es in Deutschland ja immer noch so: Wenn Kinder Räuber und Gendarm spielen, wollen alle Räuber sein. In den USA wiederum ist der Cop dagegen die Heldengestalt. Sind Sie mit dem Image der Polizei zufrieden?

    Kanther: Es hat Jahre gegeben, in denen vor allem linke Politik die Polizei niedergemacht hat. Diese Zeit ist vorbei. Die Polizei erfreut sich einer außerordentlichen Wertschätzung in der Bevölkerung, und dies hat sich nun wohl auch auf alle politischen Kräfte übertragen. Aus meiner Sicht ist zu sagen, daß die Polizei für mich immer ein unentbehrlicher und hoch achtbarer und geschätzter Faktor der Sicherheitsgarantie des Staates an seine Bürger gewesen ist. Ich habe insofern also nichts zu berichtigen, sondern festzustellen, daß eigentlich der normale Zustand in unserem Land nun wieder eingekehrt ist.

    Koczian: Die Rolle der Polizistinnen, die es ja so lange nun auch nicht gibt, hat das Klima aber offensichtlich wesentlich verbessert, zumindest gegenüber den männlichen Bürgern?

    Kanther: Die Mitwirkung von Frauen in der Polizei ist von ganz entscheidender Bedeutung. Das gilt nicht nur für das Innenklima, wobei ich das bestätigen kann, was Sie sagen, auch für den Bundesgrenzschutz, bei dem dieses Phänomen noch etwas neuer ist, sondern es gilt auch für ganz spezielle Fragen der Arbeit. Wenn Sie etwa an die Grenzpolizei denken, dann ist es fast unentbehrlich, wenn wir es häufig mit ins Land geschleppten Familien mit Frauen und Kindern zu tun haben, daß Frauen zu manchen Aspekten der Arbeit einen einfacheren Zugang haben, und ohne Frauen ginge das überhaupt nicht.

    Koczian: Bundesinnenminister Manfred Kanther in den Informationen am Morgen im Deutschlandfunk. Vielen Dank auf den Petersberg!