Kekulé: Ich glaube, das Problem, wenn Afrika untergeht, ist überhaupt nicht zu unterschätzen. Hier gehen ja die Staaten wirklich regelmäßig unter, weil beispielsweise Polizei, Lehrer und die ganze Schicht, die einen Staat normalerweise stabilisiert, durch die AIDS-Epidemie aussterben. Man kann so ein Land dann auch nicht mehr aufbauen, weil niemand mehr da ist, mit dem man das machen könnte. Das hätte wirtschaftlich natürlich erhebliche Folgen, weil wir zum einen dann natürlich diese Länder stützen müssen, beziehungsweise diese in humanitäre Probleme geraten, zum anderen dass sie dann auch möglicherweise eine Brutstätte für Terroristen und ähnliches sind. Ich glaube, dass man hier jetzt glücklicherweise in der Situation ist, dass die USA, die ja bei der weltweiten AIDS-Bekämpfung bisher immer die Bremser waren - ich gehörte ja zu denen, die vor zwei Jahren diesen Fonds vorgeschlagen haben -, jetzt zum ersten Mal einzahlen wollen.
Köhler: Einen internationalen Hilfsfonds?
Kekulé: Einen internationalen AIDS-Hilfsfonds, der wirklich mit mehreren Milliarden Dollar pro Jahr dieses Problem konsequent angeht. Jetzt wollen die USA aus dem Grund einzahlen, dass sie erkannt haben, dass diese Schwächung verschiedener Länder durch AIDS auch ein Nährboden für den weltweiten Terrorismus ist. Sie haben sozusagen aus nationalen Interessen ihre internationale Humanität entdeckt.
Köhler: Professor Kekulé, ich möchte Sie auch als Mikrobiologen und Virologen ansprechen: Ist das eigentlich ein rein innerafrikanisches Medizinproblem? Könnte man nicht einfach ein System aufbauen, ein Pharmasytem, mit Generika, sogenannten Nachahmepräparaten, und dann wäre das Problem weg?
Kekulé: Bis vor vielen Jahren, so bis vor fünf Jahren, galt das Problem in Afrika als eigentlich unlösbar, weil man gesagt hat, dass die moderne Therapie zu teuer und zu kompliziert anzuwenden ist. Man braucht dafür High-Tech-Medizin und so weiter. Es gab diese Rechnung, wo man sagte, statt einen AIDS-Patienten zu retten, könnte man 10.000 Malaria-Patienten retten, und man sollte doch lieber das tun. Neuerdings ist es so, dass auch die großen Pharma-Firmen erheblich im Preis heruntergegangen sind und ganz nah an den Nachahmerpräparaten dran sind, weil sie Angst davor haben, dass ihnen ihre weltweiten Patente zusammenbrechen. Zweitens ist es so, dass wir neue Therapien haben wie die HART (Hochaggressive Antiretrovirale Therapie), mit denen wir in der Lage sind, auch in Afrika die Sterberate wirklich massiv zu senken. Diese Kombination ist eine hervorragende Chance, tatsächlich auch in Entwicklungsländern etwas zu tun. Es ist nur die Frage, ob man das Geld dafür aufbringt.
Köhler: Erklären Sie uns das kurz: Sie selber haben mal davon gesprochen, dass die Zeit der sogenannten "Holzhammer-Präparate" vorbei sei. Sie haben gerade erwähnt, es ist nicht mehr so teuer wie noch vor Jahren, nicht mehr 10.000 Dollar, sondern vielleicht noch 400 bis 500 Dollar pro Jahr und Patient müssen aufgewandt werden, ungefähr noch einmal das gleiche für die medizinische Bereitstellung. Was ist an HART besser als an früheren Präparaten?
Kekulé: Das Entscheidende ist, dass man eine Kombination hat, meistens vier oder sogar fünf Medikamente, und dass die Arbeitsfähigkeit der Menschen wieder voll hergestellt wird. Die Überlebenswahrscheinlichkeit ist dann auch in Afrika mindestens fünf bis zehn Jahre. Das klingt natürlich pessimistisch, wenn man den einzelnen Menschen ansieht. Wenn Sie aber überlegen, dass Sie damit den Zusammenbruch ganzer Staaten verhindern können, weil dann natürlich neue Generationen nachwachsen, dann ist das der entscheidende Moment. Dass wir jetzt mit dieser neuen Kombinations-Therapie die Leute weiter arbeiten lassen können, dass sie ganz normal integriert sind, und dass sie, während sie in der Therapie sind, kaum noch ansteckend sind.
Köhler: Herr Kekulé, Sie haben vom amerikanischen Widerstand gesprochen, der gebrochen ist. Das war ein politisches Motiv. Es gibt aber auch ein innerafrikanisches. Die haben sich auch dagegen gewehrt, sei es nun, dass sie nicht wollten, dass man das Problem im eigenen Land anerkennt, sei es aber auch, dass das eigene Medizinsystem katastrophal ist.
Kekulé: Ja, das ist speziell Südafrika, die das größte AIDS-Problem haben, wenn man es prozentual sieht. Der südafrikanische Präsident hat ja die internationale Gemeinschaft als "geistige Terroristen" bezeichnet, die letztlich Afrika mit der AIDS-Lüge nur unterwerfen wollten. Leider ist das immer noch nicht ganz vom Tisch. Da spielt sicherlich auch noch eine Rolle, dass man in Afrika noch viel an traditionelle Medizin glaubt und der modernen Medizin nicht traut. Zum anderen ist es so, dass das Gesundheitssystem dort nur ein Posten von vielen ist und sehr hohe Entwicklungshilfen, die ins Land fließen, zweckgebunden sind an die Gesundheit. Das ist natürlich für viele Regierungen dort eigentlich schmerzlich, weil sie andere Probleme haben, die sie auch gerne mit Auslandsmitteln finanzieren würden.
Köhler: Eine gewisse kulturell bedingte Wissenschaftsfeindlichkeit können wir also einerseits konstatieren. Was halten Sie andererseits von jüngsten Meldungen, die diesen Sommer aufgetreten sind, wonach die "Safer Sex"-Kampagnen, die Aufklärungskampagnen, das kostenlose Verteilen von Kondomen, nicht so sehr zu Erfolg geführt hat bei der Minimierung der Ansteckungsrate? Man hat gesagt, es gibt die Vermutung, dass es an der Verunreinigung von Spritzen, Kannülen, Venenkatheter liege, dass die Menschen in Afrika Hepathitis bekommen.
Kekulé: In Afrika ist das Hauptproblem das kulturelle. Es ist wahnsinnig schwer, die männliche Bevölkerung in bestimmten Staaten zumindest dazu zu bringen, Kondome zu verwenden. Die Krankheit breitet sich trotz aller Kampagnen grassierend aus. Die einzige Konsequenz, die man meiner Meinung nach ziehen kann, ist die, dass man Anti-AIDS-Mittel entwirft, die von den Frauen angewendet werden können, sogenannte Mikrobizide. Das sind Mittel, die von den Frauen angewendet werden und die Übertragung verhindern. Ich glaube, in den männlichen afrikanischen Gesellschaften ist es kaum möglich, die Kondome wirklich zu propagieren. Das andere ist natürlich, dass die Übertragung von Hepathitis und auch AIDS durch Spritzen und ähnliches im Krankenhaus immer noch ein Riesenthema ist. Gerade das würde man durch diesen Fonds mit verhindern, da etwa die Hälfte des Geldes in den Aufbau der medizinischen Infrastruktur fließen würde. Das kommt auch anderen Krankheiten wie Malaria und Tuberkulose zugute.
Köhler: Ein letztes: Verstehe ich Sie richtig, dass man über die rein mikrobiologische, virologische Forschung hinaus auch etwas tun muss, um Wissenschaftsakzeptanz möglich zu machen? Die empirischen Forschungen, Feldforschungen zeigen ja, dass das Problem vielschichtiger ist.
Kekulé: Ich glaube, was wir an diesem Beispiel lernen - es gibt natürlich andere wie die SARS-Epidemie, die etwas ähnliches war -, ist, dass Infektionskrankheiten nie losgelöst sind von sozialen Faktoren. Es sterben immer die Armen, und es sterben immer die, die wenig aufgeklärt und vielleicht wenig einsichtig sind. Wir müssen sicherlich Instrumente finden, um noch besser wissenschaftliche Erkenntnisse umzusetzen und dafür zu sorgen, dass sie wirklich auch politisch zu relativ weitreichenden Konsequenzen führen. In Afrika ist sicher das Problem das größte auf der ganzen Welt.
Link: Interview als RealAudio
Köhler: Einen internationalen Hilfsfonds?
Kekulé: Einen internationalen AIDS-Hilfsfonds, der wirklich mit mehreren Milliarden Dollar pro Jahr dieses Problem konsequent angeht. Jetzt wollen die USA aus dem Grund einzahlen, dass sie erkannt haben, dass diese Schwächung verschiedener Länder durch AIDS auch ein Nährboden für den weltweiten Terrorismus ist. Sie haben sozusagen aus nationalen Interessen ihre internationale Humanität entdeckt.
Köhler: Professor Kekulé, ich möchte Sie auch als Mikrobiologen und Virologen ansprechen: Ist das eigentlich ein rein innerafrikanisches Medizinproblem? Könnte man nicht einfach ein System aufbauen, ein Pharmasytem, mit Generika, sogenannten Nachahmepräparaten, und dann wäre das Problem weg?
Kekulé: Bis vor vielen Jahren, so bis vor fünf Jahren, galt das Problem in Afrika als eigentlich unlösbar, weil man gesagt hat, dass die moderne Therapie zu teuer und zu kompliziert anzuwenden ist. Man braucht dafür High-Tech-Medizin und so weiter. Es gab diese Rechnung, wo man sagte, statt einen AIDS-Patienten zu retten, könnte man 10.000 Malaria-Patienten retten, und man sollte doch lieber das tun. Neuerdings ist es so, dass auch die großen Pharma-Firmen erheblich im Preis heruntergegangen sind und ganz nah an den Nachahmerpräparaten dran sind, weil sie Angst davor haben, dass ihnen ihre weltweiten Patente zusammenbrechen. Zweitens ist es so, dass wir neue Therapien haben wie die HART (Hochaggressive Antiretrovirale Therapie), mit denen wir in der Lage sind, auch in Afrika die Sterberate wirklich massiv zu senken. Diese Kombination ist eine hervorragende Chance, tatsächlich auch in Entwicklungsländern etwas zu tun. Es ist nur die Frage, ob man das Geld dafür aufbringt.
Köhler: Erklären Sie uns das kurz: Sie selber haben mal davon gesprochen, dass die Zeit der sogenannten "Holzhammer-Präparate" vorbei sei. Sie haben gerade erwähnt, es ist nicht mehr so teuer wie noch vor Jahren, nicht mehr 10.000 Dollar, sondern vielleicht noch 400 bis 500 Dollar pro Jahr und Patient müssen aufgewandt werden, ungefähr noch einmal das gleiche für die medizinische Bereitstellung. Was ist an HART besser als an früheren Präparaten?
Kekulé: Das Entscheidende ist, dass man eine Kombination hat, meistens vier oder sogar fünf Medikamente, und dass die Arbeitsfähigkeit der Menschen wieder voll hergestellt wird. Die Überlebenswahrscheinlichkeit ist dann auch in Afrika mindestens fünf bis zehn Jahre. Das klingt natürlich pessimistisch, wenn man den einzelnen Menschen ansieht. Wenn Sie aber überlegen, dass Sie damit den Zusammenbruch ganzer Staaten verhindern können, weil dann natürlich neue Generationen nachwachsen, dann ist das der entscheidende Moment. Dass wir jetzt mit dieser neuen Kombinations-Therapie die Leute weiter arbeiten lassen können, dass sie ganz normal integriert sind, und dass sie, während sie in der Therapie sind, kaum noch ansteckend sind.
Köhler: Herr Kekulé, Sie haben vom amerikanischen Widerstand gesprochen, der gebrochen ist. Das war ein politisches Motiv. Es gibt aber auch ein innerafrikanisches. Die haben sich auch dagegen gewehrt, sei es nun, dass sie nicht wollten, dass man das Problem im eigenen Land anerkennt, sei es aber auch, dass das eigene Medizinsystem katastrophal ist.
Kekulé: Ja, das ist speziell Südafrika, die das größte AIDS-Problem haben, wenn man es prozentual sieht. Der südafrikanische Präsident hat ja die internationale Gemeinschaft als "geistige Terroristen" bezeichnet, die letztlich Afrika mit der AIDS-Lüge nur unterwerfen wollten. Leider ist das immer noch nicht ganz vom Tisch. Da spielt sicherlich auch noch eine Rolle, dass man in Afrika noch viel an traditionelle Medizin glaubt und der modernen Medizin nicht traut. Zum anderen ist es so, dass das Gesundheitssystem dort nur ein Posten von vielen ist und sehr hohe Entwicklungshilfen, die ins Land fließen, zweckgebunden sind an die Gesundheit. Das ist natürlich für viele Regierungen dort eigentlich schmerzlich, weil sie andere Probleme haben, die sie auch gerne mit Auslandsmitteln finanzieren würden.
Köhler: Eine gewisse kulturell bedingte Wissenschaftsfeindlichkeit können wir also einerseits konstatieren. Was halten Sie andererseits von jüngsten Meldungen, die diesen Sommer aufgetreten sind, wonach die "Safer Sex"-Kampagnen, die Aufklärungskampagnen, das kostenlose Verteilen von Kondomen, nicht so sehr zu Erfolg geführt hat bei der Minimierung der Ansteckungsrate? Man hat gesagt, es gibt die Vermutung, dass es an der Verunreinigung von Spritzen, Kannülen, Venenkatheter liege, dass die Menschen in Afrika Hepathitis bekommen.
Kekulé: In Afrika ist das Hauptproblem das kulturelle. Es ist wahnsinnig schwer, die männliche Bevölkerung in bestimmten Staaten zumindest dazu zu bringen, Kondome zu verwenden. Die Krankheit breitet sich trotz aller Kampagnen grassierend aus. Die einzige Konsequenz, die man meiner Meinung nach ziehen kann, ist die, dass man Anti-AIDS-Mittel entwirft, die von den Frauen angewendet werden können, sogenannte Mikrobizide. Das sind Mittel, die von den Frauen angewendet werden und die Übertragung verhindern. Ich glaube, in den männlichen afrikanischen Gesellschaften ist es kaum möglich, die Kondome wirklich zu propagieren. Das andere ist natürlich, dass die Übertragung von Hepathitis und auch AIDS durch Spritzen und ähnliches im Krankenhaus immer noch ein Riesenthema ist. Gerade das würde man durch diesen Fonds mit verhindern, da etwa die Hälfte des Geldes in den Aufbau der medizinischen Infrastruktur fließen würde. Das kommt auch anderen Krankheiten wie Malaria und Tuberkulose zugute.
Köhler: Ein letztes: Verstehe ich Sie richtig, dass man über die rein mikrobiologische, virologische Forschung hinaus auch etwas tun muss, um Wissenschaftsakzeptanz möglich zu machen? Die empirischen Forschungen, Feldforschungen zeigen ja, dass das Problem vielschichtiger ist.
Kekulé: Ich glaube, was wir an diesem Beispiel lernen - es gibt natürlich andere wie die SARS-Epidemie, die etwas ähnliches war -, ist, dass Infektionskrankheiten nie losgelöst sind von sozialen Faktoren. Es sterben immer die Armen, und es sterben immer die, die wenig aufgeklärt und vielleicht wenig einsichtig sind. Wir müssen sicherlich Instrumente finden, um noch besser wissenschaftliche Erkenntnisse umzusetzen und dafür zu sorgen, dass sie wirklich auch politisch zu relativ weitreichenden Konsequenzen führen. In Afrika ist sicher das Problem das größte auf der ganzen Welt.
Link: Interview als RealAudio