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Zur Tagung des 'Nahost-Quartetts'

Liminski: Man traut es sich kaum noch zu sagen: Eine leise Hoffnung keimt auf im Nahost. Die Skepsis ist allemal berechtigt, denn immer, wenn in dieser Region das zarte Pflänzchen namens Friedenshoffnung aufkeimte, folgte ein Anschlag palästinensischer Terrorgruppen, meist mit der Vergeltung der israelischen Armee auf dem Fuß. Nun tagt in New York das so genannte Nahost-Quartett, ein kleiner Kreis bestehend aus dem amerikanischen Außenminister Powell, seinem russischen Amtskollegen Iwanow, UN-Generalsekretär Annan, und dem hohen Beauftragten der EU für Sicherheits- und Außenpolitik Solana. Hinzu kamen später noch die Außenminister von Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien. Und am Telefon begrüße ich den Nahostexperten der SPD-Fraktion, Christoph Moosbauer. Herr Moosbauer, für wie stark schätzt man in der Gemeinschaft der Nahostexperten das Quartett von New York und seine Lösungskompetenz ein?

    Moosbauer: Ich glaube, wir dürfen das nicht unterschätzen. Es gibt jetzt schon viele Leute, die sagen: Na ja, die können sich wieder nicht einigen, und da wird auch nichts vorangehen. Aber wir waren immer der Meinung, dass es sozusagen außerhalb des Nahen Ostens einer weitgehenden Übereinstimmung der internationalen Gemeinschaft bedarf, wie mit dem Nahen Osten weiter vorzugehen ist. Nur so kann man den notwendigen Druck auf beide Konfliktparteien ausüben, und deshalb ist das Quartett schon ein Weg in die richtige Richtung, vor allen Dingen dann, wenn man dieses Quartet ergänzt durch die moderaten arabischen Führer, die man zu einer Lösung auch mit einbinden soll. Deshalb würde ich das Quartett in seiner politischen Macht zunächst gar nicht unterschätzen. Die Lösungskompetenz ist natürlich ein ganz anderes Problem. Es hat sich auch bei der gestrigen Sitzung gezeigt, dass bei den vier Partnern, die am Tisch sitzen, in zentralen Punkten Meinungsunterschiede da sind, weil die Amerikaner anderer Auffassung sind als die Europäer, die UNO und Russland, zum Beispiel was die Zukunft Arafats angeht. Und wenn man sich bei solchen Punkten nicht einigen kann, dann ist natürlich die Kompetenz, was eine Lösung im Nahen Osten anbelangt, doch recht eingeschränkt, weil das auch klar sein muss: Im Quartett sitzen nicht vier gleiche Spieler an einem Tisch, sondern da dominieren schon die Amerikaner.

    Liminski: Ist das Quartett nicht sozusagen der Kern einer vorweg genommenen internationalen Konferenz?

    Moosbauer: Das wäre schön, wenn es tatsächlich so wäre, dass man das als Kern begreift, den man nach und nach erweitert, oder eben dann, wenn man sich innerhalb dieser Gruppe geeinigt hat, auch das zu einer Konferenz erweitern kann. Ich denke schon, dass man, wenn man die vier wichtigsten Partner am Tisch hat, bereits den Kern einer zukünftigen Konferenz sehen kann. Das hängt aber natürlich damit zusammen, dass es völlig klar ist, dass die Amerikaner, die Russen, die UNO, aber auch vor allen Dingen die Europäische Union in der Zukunft des Nahen Osten eine wichtige politische Rolle spielen müssen.

    Liminski: Kaum hat das Quartett seine Beratungen begonnen, da wird aus der Krisenregion ein neuer Anschlag gemeldet: Acht Tote, und heute dürfte die Vergeltung erfolgen. Welche Umstände könnten die Konfliktparteien zwingen, sich endlich an einem Tisch zu setzen? Mit Vernunft kommt man offensichtlich im Nahost nicht weiter.

    Moosbauer: Es ist ein trauriges Spiel, dass immer dann, wenn so ein Lichtlein aufkeimt, die Extremisten, vor allen Dingen auf palästinensischer Seite, hier ängstlich darum bemüht sind, diesen Friedensprozess in den Ansätzen mit einem neuen Anschlag zu stoppen. Die Schwierigkeit, die wir tatsächlich haben, ist, dass wir über diese Bedingungen, die teilweise die Amerikaner mit akzeptieren, die Bedingungen, die Israel aufstellt, nämlich dass es erst ein Ende der Terroranschläge geben muss, bevor man verhandelt, das halte ich für ein Junktim, das nicht durchzuhalten sein wird. Damit gibt man jedem Extremisten ein Vetorecht in dem politischen Prozess, und ich glaube, das ist auch der wesentliche Unterschied zwischen der Regierung Scharon und Barak, dass Barak auch bereit war, sozusagen unter Feuer zu verhandeln. Und dahin müssen wir wieder zurückkommen, dass wir sagen: Gut, bei allen Rückschlägen, die es gibt, wir müssen nach vorne schauen, wir müssen der politischen Lösung eine Priorität einräumen. Wir müssen auch verhandeln, wenn es solche Rückschläge gibt. Das halte ich auch für zentral. Aber die Frage, was noch passieren muss, bis beide Seiten zur Einsicht kommen, beantworte ich immer ungern. Ich verweise bei den Gesprächspartnern im Nahen Osten immer darauf, dass es in Europa Jahrhunderte blutiger Kriege brauchte, und vor allen Dingen dann den großen Zweiten Weltkrieg, bis man zu der Erkenntnis kam, dass man zwischenstaatliche Konflikte nicht durch Waffengewalt, sondern durch Kooperation, durch Konsultationen miteinander löst. Ich hoffe, dass im Nahen Osten diese Geschichte erspart bleibt, und dass sozusagen nicht erst dann sich die Vernunft bahnbricht, wenn man sozusagen alles andere schon versucht hat. Ich bin aber sehr optimistisch, dass man gerade im Nahen Osten aus der europäischen Erfahrung lernt.

    Liminski: Für Washington hat die Sicherheitsfrage absolute Priorität. Kommt man ohne die Amerikaner weiter? Denn hier gibt es auch einen Dissens, gerade zwischen UNO, Russland, EU und den Amerikanern. Muss man sich Washington über kurz oder lang nicht doch unterordnen?

    Moosbauer: Unterordnen wäre das falsche Wort. Natürlich kommt man ohne die Amerikaner nicht weiter. Das müssen wir wissen. Das sind die starken Partner in der Region, nicht nur von Israel, auch von den arabischen Staaten. Wir machen auch die Erfahrung, dass die Palästinenser zwar schon immer sagen, die Europäer müssten eine größere Rolle spielen, das sagen sie aber immer mit Blick auf die Amerikaner, und so laut, dass diese das auch hören, das heißt es ist immer auch ein Appell in Richtung Amerika: Bewegt euch ein bisschen, sonst holen wir die Europäer mit ins Spiel. Also beide Seiten schauen sehr stark auf die Vereinigten Staaten, was ja verständlich ist. Ich glaube, wir sind uns auch alle einig, dass, wenn es zu einer Lösung im Nahen Osten kommen soll - und da spreche ich auch zwei Punkte an, die im Quartett unstrittig sind -, dann muss das erstens mit einem Palästinenserstaat passieren, und zweitens mit einem Palästinenserstaat, der demokratisch ist und in Frieden mit Israel und seinen Nachbarn lebt. Wenn das als eine Zweistaaten-Lösung im Nahen Osten mal passiert, dann, denke ich, ist jedem klar, dass das nur passieren wird mit umfassenden Garantien im wirtschaftlichen, aber vor allen Dingen auch im sicherheitspolitischen Bereich. Diese Garantien im sicherheitspolitischen Bereich kann nur die USA übernehmen, während die Garantien im wirtschaftlichen Bereich dann wohl eher die Rolle der Europäischen Union sein werden. Und da zeigt sich, dass man hier komplementär, also einander ergänzend handeln muss, und sich nicht der Strategie eines Landes oder einer Ländergruppe unterordnen muss. Ich glaube, der richtige Weg ist, auch mit den Amerikanern und innerhalb des Quartetts so lange zu verhandeln, bis man sich über den Weg einig ist, und sich nicht unterordnet, sondern hier zu gemeinsamen Vorschlägen kommt.

    Liminski: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio