Kielmansegg: Der Krieg wird natürlich in Teilen vom Zufall bestimmt. Moltke hat einmal gesagt, natürlich muss ein Operationsplan gemacht werden, so gut und so genau wie nur irgend möglich, aber nach dem ersten Schuss muss geführt werden, das heißt, es verändern sich die Parameter dann schlagartig. Es handeln Menschen unter den größten physischen und psychischen Anspannungen, die man sich überhaupt vorstellen kann. Jede Stunde muss die Lage neu beurteilt werden. Jeden Tag muss sozusagen der Plan geändert oder angepasst werden, und das ist das, was wir im Militärischen sehen. Das, was die Amerikaner meinen, ist, denke ich, das große strategische Ziel. Das hat sich nicht geändert. Und dem sind, wenn auch vielleicht auf Wegen, die zunächst einmal so nicht völlig geplant waren, die alliierten Truppen doch ein erhebliches Stück nähergekommen. Wir sind ja erst im sechsten Tag, am siebten Tag dieses Krieges, das heißt, es ist noch nicht so viel Zeit vergangen. Dass da Truppen bereits 90 Kilometer vor Bagdad stehen in Kriegsstärke und nicht mit einzelnen Trupps, ist ein schon erheblicher Fortschritt, und ich denke, das war auch so geplant.
Breker: Zu den ursprünglichen Planungen gehörte auch eine Nordfront. Die ist aufgrund des Neins des türkischen Parlaments bislang ausgeblieben. Welchen Einfluss hat das? Das muss ja nun erst nach und nach geschehen und kann nur ganz anders aufgebaut werden, sprich die Truppen aus dem Norden, wenn sie denn dorthin gebracht werden, werden nur leicht bewaffnet sein können.
Kielmansegg: Das ist richtig. Die Eröffnung einer nennenswerten Nordfront hätte sicherlich sehr zur Verkürzung des Krieges beigetragen und das irakische Regime in eine sehr unangenehme Zange gebracht. Das ist nun unmöglich geworden. Es gibt zwar amerikanische Truppen im nördlichen Kurdengebiet. Das sind aber, weil sie alle durch die Luft dahin gebracht werden mussten, nur wenige und leicht bewaffnete. Es wird also kein Vorstoß mit schweren mechanisierten und gepanzerten Truppen aus diesem Gebiet zumindest in der nächsten Zeit erfolgen können, sondern die Truppen dort werden sich beschränken müssen auf Hilfe für die Kurden, deren eigene Krieger, die Peschmerga, ja dort die Städte Kirkuk und Mosul angreifen und das Ganze aus der Luft unterstützen. Aber es bindet immerhin auch Teile von irakischen Truppen. Es ist insofern eine Hilfe, aber keine entscheidende Schlacht mehr.
Breker: Sie haben es erwähnt, die alliierten Truppen stehen ca. 80 km vor Bagdad, sie stehen dort in Kriegsstärke, haben Sie eingeführt. Allerdings haben sie ein Problem: Der Nachschubweg ist unglaublich weit. Ist das taktisch klug?
Kielmansegg: Der Nachschubweg ist sozusagen mit Absicht weit gewählt worden, weil man in diesem Falle darauf verzichten wollte, Zwischenlager einzurichten, die Zeit kosten und auch gesichert werden müssten. Die 600 Kilometer zwischen den Hafenstädten und Bagdad ist etwas, was man prinzipiell überwinden kann. Nun ist Nachschub immer in gewisser Weise in einer Kriegssituation gefährdet, aber wir haben noch keine Anzeichen, dass er in irgendeiner Form die Gefechte negativ so beeinflusst, dass sie ihre Ziele nicht mehr erreichen können. Die Taktik der Iraker, in Stützpunkten, vor allen Dingen in bewohnten Gebieten noch durchzuhalten, wenn an ihnen bereits die alliierten Truppen vorbeigestoßen sind, kann zu einer gewissen Gefährdung des Nachschubs führen. Ich denke aber, dass gerade vor allen Dingen die Straßen im Westen des Euphrat, die weniger durch bewohnte Gebiete führen, weiterhin ausreichen werden, um den Vorstoß auf Bagdad zumindest aus dem Westen zu sichern.
Breker: Die Bevölkerung, so hat man zu Beginn gedacht, werde sich alsbald auf Seiten der US-Amerikaner schlagen. Das war eine Fehleinschätzung. Beeinflusst das militärisch, strategisch etwas?
Kielmansegg: Sicherlich. Es geht einfacher, wenn sich die Soldaten von allein ergeben. Das haben allerdings in den ersten Tagen vor allen Dingen offensichtlich doch eine verhältnismäßig große Anzahl auch getan. Wir hören von einem Aufstand in Basra. Inwieweit er wirkungsvoll ist, weiß ich nicht. Die Engländer stehen vor der Stadt, können aber natürlich, wenn sie ihre eigenen Truppen nicht über Gebühr gefährden wollen, im Moment da nicht rein, auch mit humanitären Maßnahmen nicht, weil offensichtlich dort noch eine ganze Reihe von Fedajin-Kriegern sind, die aus dem Hinterhalt kämpfen und in Zivilkleidung sehr schwer zu bekämpfen sind. Die Taktik Saddam Husseins ist ja, Zivilisten und Soldaten, zivile und militärische Einrichtungen so eng zu mischen wie irgend möglich, um seinerseits entweder die Waffenwirkung der Alliierten zu begrenzen, weil er weiß, dass sie solche Verluste vermeiden wollen, oder solche herbeizuführen und sie dann in der Öffentlichkeit sehr wirksam darzustellen. Es ist in einem solchen Kriege zwar die Absicht, die zivilen Opfer so klein wie möglich zu halten, aber das kann nie ganz gelingen, vor allem gegen einen solchen Gegner nicht. Trotzdem bleibt das Bemühen sicherlich, dieses soweit zu tun wie nur irgend möglich.
Breker: Wir haben eben aus Washington gehört, dass der US-amerikanische Verteidigungsminister äußerst gereizt reagiert, wenn er nach einem Zeitrahmen für diesen Krieg gefragt wird. Wagen Sie eine Prognose? Wochen oder Monate?
Kielmansegg: Nein, ich bin sicherlich in einer noch schwierigeren Lage als der Verteidigungsminister, weil ich weniger Informationen habe, auch wenn man versucht, hinter die Bilder zu gucken und zwischen den Zeilen zu lesen. Ich würde insgesamt angesichts des Kräfteverhältnisses immer noch eher auf Wochen als auf Monate tippen. Dass es irgendwo dann später einzelne Nester geben mag, die man ausräumen muss, mag sein, aber ich denke, dass der Zusammenbruch des Regimes eher kommen wird, und in dem Moment, wo sich wirklich die Niederlage andeutet, auch der Republikanischen Garde, wird auch die Stimmung in der Bevölkerung umschlagen, die natürlich gebrannte Kinder sind vom ersten Mal, wo sie aufgestanden sind, im Stich gelassen wurden, unglaubliche Verluste erlitten haben. Die sagen sich jetzt natürlich, jetzt wollen wir erst mal sicher sein, wie es am Ende aussieht, bevor wir selbst uns dann in das Gefecht einmischen.
Breker: Vielen Dank für das Gespräch.
Link: DeutschlandRadio-Aktuell
Breker: Zu den ursprünglichen Planungen gehörte auch eine Nordfront. Die ist aufgrund des Neins des türkischen Parlaments bislang ausgeblieben. Welchen Einfluss hat das? Das muss ja nun erst nach und nach geschehen und kann nur ganz anders aufgebaut werden, sprich die Truppen aus dem Norden, wenn sie denn dorthin gebracht werden, werden nur leicht bewaffnet sein können.
Kielmansegg: Das ist richtig. Die Eröffnung einer nennenswerten Nordfront hätte sicherlich sehr zur Verkürzung des Krieges beigetragen und das irakische Regime in eine sehr unangenehme Zange gebracht. Das ist nun unmöglich geworden. Es gibt zwar amerikanische Truppen im nördlichen Kurdengebiet. Das sind aber, weil sie alle durch die Luft dahin gebracht werden mussten, nur wenige und leicht bewaffnete. Es wird also kein Vorstoß mit schweren mechanisierten und gepanzerten Truppen aus diesem Gebiet zumindest in der nächsten Zeit erfolgen können, sondern die Truppen dort werden sich beschränken müssen auf Hilfe für die Kurden, deren eigene Krieger, die Peschmerga, ja dort die Städte Kirkuk und Mosul angreifen und das Ganze aus der Luft unterstützen. Aber es bindet immerhin auch Teile von irakischen Truppen. Es ist insofern eine Hilfe, aber keine entscheidende Schlacht mehr.
Breker: Sie haben es erwähnt, die alliierten Truppen stehen ca. 80 km vor Bagdad, sie stehen dort in Kriegsstärke, haben Sie eingeführt. Allerdings haben sie ein Problem: Der Nachschubweg ist unglaublich weit. Ist das taktisch klug?
Kielmansegg: Der Nachschubweg ist sozusagen mit Absicht weit gewählt worden, weil man in diesem Falle darauf verzichten wollte, Zwischenlager einzurichten, die Zeit kosten und auch gesichert werden müssten. Die 600 Kilometer zwischen den Hafenstädten und Bagdad ist etwas, was man prinzipiell überwinden kann. Nun ist Nachschub immer in gewisser Weise in einer Kriegssituation gefährdet, aber wir haben noch keine Anzeichen, dass er in irgendeiner Form die Gefechte negativ so beeinflusst, dass sie ihre Ziele nicht mehr erreichen können. Die Taktik der Iraker, in Stützpunkten, vor allen Dingen in bewohnten Gebieten noch durchzuhalten, wenn an ihnen bereits die alliierten Truppen vorbeigestoßen sind, kann zu einer gewissen Gefährdung des Nachschubs führen. Ich denke aber, dass gerade vor allen Dingen die Straßen im Westen des Euphrat, die weniger durch bewohnte Gebiete führen, weiterhin ausreichen werden, um den Vorstoß auf Bagdad zumindest aus dem Westen zu sichern.
Breker: Die Bevölkerung, so hat man zu Beginn gedacht, werde sich alsbald auf Seiten der US-Amerikaner schlagen. Das war eine Fehleinschätzung. Beeinflusst das militärisch, strategisch etwas?
Kielmansegg: Sicherlich. Es geht einfacher, wenn sich die Soldaten von allein ergeben. Das haben allerdings in den ersten Tagen vor allen Dingen offensichtlich doch eine verhältnismäßig große Anzahl auch getan. Wir hören von einem Aufstand in Basra. Inwieweit er wirkungsvoll ist, weiß ich nicht. Die Engländer stehen vor der Stadt, können aber natürlich, wenn sie ihre eigenen Truppen nicht über Gebühr gefährden wollen, im Moment da nicht rein, auch mit humanitären Maßnahmen nicht, weil offensichtlich dort noch eine ganze Reihe von Fedajin-Kriegern sind, die aus dem Hinterhalt kämpfen und in Zivilkleidung sehr schwer zu bekämpfen sind. Die Taktik Saddam Husseins ist ja, Zivilisten und Soldaten, zivile und militärische Einrichtungen so eng zu mischen wie irgend möglich, um seinerseits entweder die Waffenwirkung der Alliierten zu begrenzen, weil er weiß, dass sie solche Verluste vermeiden wollen, oder solche herbeizuführen und sie dann in der Öffentlichkeit sehr wirksam darzustellen. Es ist in einem solchen Kriege zwar die Absicht, die zivilen Opfer so klein wie möglich zu halten, aber das kann nie ganz gelingen, vor allem gegen einen solchen Gegner nicht. Trotzdem bleibt das Bemühen sicherlich, dieses soweit zu tun wie nur irgend möglich.
Breker: Wir haben eben aus Washington gehört, dass der US-amerikanische Verteidigungsminister äußerst gereizt reagiert, wenn er nach einem Zeitrahmen für diesen Krieg gefragt wird. Wagen Sie eine Prognose? Wochen oder Monate?
Kielmansegg: Nein, ich bin sicherlich in einer noch schwierigeren Lage als der Verteidigungsminister, weil ich weniger Informationen habe, auch wenn man versucht, hinter die Bilder zu gucken und zwischen den Zeilen zu lesen. Ich würde insgesamt angesichts des Kräfteverhältnisses immer noch eher auf Wochen als auf Monate tippen. Dass es irgendwo dann später einzelne Nester geben mag, die man ausräumen muss, mag sein, aber ich denke, dass der Zusammenbruch des Regimes eher kommen wird, und in dem Moment, wo sich wirklich die Niederlage andeutet, auch der Republikanischen Garde, wird auch die Stimmung in der Bevölkerung umschlagen, die natürlich gebrannte Kinder sind vom ersten Mal, wo sie aufgestanden sind, im Stich gelassen wurden, unglaubliche Verluste erlitten haben. Die sagen sich jetzt natürlich, jetzt wollen wir erst mal sicher sein, wie es am Ende aussieht, bevor wir selbst uns dann in das Gefecht einmischen.
Breker: Vielen Dank für das Gespräch.
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