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Zurück in den Kurdenkonflikt

Nicht nur der Ton zwischen Kurden und Türken wird wieder rauer - auf den Strassen von Diyarbakir und Hakkari entlädt sich die Wut der kurdischen Jugendlichen schon seit Tagen in Strassenschlachten mit der Polizei. Von einer kurdischen Intifada ist die Rede.

Von Gunnar Köhne |
    Im gesamten Südosten der Türkei hatte die Polizei im Morgengrauen des vergangenen Donnerstag 43 Bürgermeister und Funktionäre der ehemaligen Kurdenpartei DTP verhaftet – der Vorwurf: Unterstützung der terroristischen PKK.

    Nur der prominente Bürgermeister der Millionenstadt Diyarbakir, Osman Baydemir, blieb verschont. Weil er, wie er vermutet, von den Behörden als "gemäßigter" Kurde eingeschätzt werde.

    "Hören Sie auf, uns in Falken und Tauben aufzuteilen!", rief Baydemir vor dem Rathaus von Diyarbakir erregt. Und dann verfluchte er die Regierung in Ankara mit nicht ganz jugendfreien Worten – die türkischen Sender mussten einen Piepton darüberlegen.

    Nicht nur der Ton zwischen Kurden und Türken wird wieder rauer - auf den Strassen von Diyarbakir und Hakkari entlädt sich die Wut der kurdischen Jugendlichen schon seit Tagen in Straßenschlachten mit der Polizei. Von einer kurdischen Intifada ist die Rede. Angefangen hatten die Proteste nach dem Verbot der kurdennahen Partei DTP Anfang des Monats durch das Verfassungsgericht. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass sich die DTP-Funktionäre nicht von der terroristischen PKK distanziert hätten. Nicht nur die Partei wurde verboten, etliche Spitzenpolitiker der DTP erhielten ein politisches Betätigungsverbot. Dann folgten vergangene Woche die Verhaftungen der Bürgermeister – und seitdem scheint das, was die Regierung einst als "kurdische Öffnung" angekündigt hat, am Ende zu sein.

    Ministerpräsident Erdogan hatte ein Maßnahmenpaket versprochen, das den bereits seit einem Vierteljahrhundert währenden blutigen Konflikt mit über 40.000 Toten beenden sollte. Die 20 Millionen Kurden des Landes sollten mehr kulturelle Freiheiten bekommen, etwa das Recht auf muttersprachlichen Wahlunterricht in den Schulen. Auch für private Medien sollten uneingeschränkt auf Kurdisch senden können. Überdies versprach Ankara den kurdischen Bürgerkriegsflüchtlingen im Nord-Irak, eine Rückkehr in die Türkei zu ermöglichen. Doch kaum etwas davon ist bis heute in die Tat umgesetzt worden. Stattdessen scheint die Regierung wieder mehr auf das Militär zu setzen. Bei einem Besuch in Bagdad vergangene Woche hat der türkische Innenminister Atalay nach eigenen Worten mit Vertretern des Irak und der USA ein gemeinsames Vorgehen gegen die Lager der PKK im Nord-Irak vereinbart. Empört wendet sich der kurdische Verleger Ahmet Tan an die Regierung Erdogan:

    "Was wollen Sie eigentlich? Warum muss das, was sie "demokratische Öffnung" nennen, auf diese Weise enden? Warum droht das ein Fiasko zu werden? Wenn weiterhin Parteien verboten, Politiker verhaftet und außerhalb des Landes nur über Militäroperationen gesprochen wird – wo ist dann der Unterschied zur Politik vorheriger Regierungen?"

    Die Regierung verweist darauf, dass die PKK selbst die Gewalt wieder angeheizt habe. Und zwar mit der Tötung von sieben türkischen Soldaten Anfang Dezember in der Nähe der Schwarzmeerstadt Tokat. Einen Dialog mit dem inhaftierten PKK-Chef Abdullah Öcalan - wie von zahlreichen Kurdenpolitikern gefordert - schließt Ankara kategorisch aus. Weil er bei dem Dialog außen vor bleiben soll, erhöhte Öcalan zuletzt über seine Anwälte den Druck und verurteilte die Friedensinitiative der Regierung. Diese diene allein zur "Liquidierung der PKK". Wie die Hardliner auf der türkischen Seite hatte auch die PKK nach Ansicht von gemäßigten Kurden ein Interesse am Scheitern des Friedensprozesses. Und dass der Friedensprozess vorerst gescheitert ist, sagt der Kurdenpolitiker Osman Baydemir:

    "Und ich fürchte, dass auf kurdischer Seite bald niemand mehr da sein wird, der die ausgestreckte Hand einer gemäßigteren Regierung ergreifen wird."