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Zurück zum herkömmlichen Unterricht

Jahrgangsübergreifendes Lernen, kurz JÜL, ist in Berlin schon lange ein umstrittenes Thema. Für die Schulanfänger gilt die Regel, dass Erst- und Zweitklässler gemeinsam unterrichtet werden. Doch der Ansatz, ältere Kinder bringen jüngeren etwas bei, funktioniert nicht an jeder Schule.

Von Claudia van Laak |
    Mark Rackless hat zwei schulpflichtige Kinder. Er weiß also, wovon er redet, wenn es um das jahrgangsübergreifende Lernen geht. Das ist die richtige Form, mit der Schule zu starten, sagt Berlins SPD-Bildungsstaatsekretär.

    "Sie haben die Möglichkeit, deutlich entspannter und letztlich kindgerechter auf die Situation in den Klassen einzugehen. Die jungen Kinder profitieren von den älteren, die älteren von einer fast erzieherischen Rolle gegenüber den Kleinen, es werden Patenschaften übernommen. In der Breite wirkt das gerade in heterogenen Gruppen, der Bevölkerungsstruktur, wie wir sie in Berlin haben, sehr positiv."

    Bildungsstaatssekretär Rackless weiß, dass das jahrgangsübergreifende Lernen nur unter bestimmten Bedingungen funktioniert. Zusätzliches Personal in der Klasse, um kleine Lerngruppen bilden zu können, genug Räume, damit sich die Lerngruppen nicht untereinander stören und vor allem: motivierte Lehrerinnen, die wissen, wie man eine Klasse von Fünf- bis Achtjährigen gut unterrichtet.

    "Ich kann mir vorstellen, dass jemand, der seit 30, 40 Jahren seinen Stiefel durchzieht, zu Recht sagt: Ich hab' das solange gemacht, das hat funktioniert, warum diese Umstellung? Kostet mit Sicherheit auch mehr Kraft."

    Die Kritik am jahrgangsübergreifenden Lernen - kurz JÜL - kommt in erster Linie von älteren Lehrkräften und aus politisch konservativen Kreisen. Den letzten Wahlkampf bestritt die CDU mit der Forderung: Weg mit JÜL. In den Koalitionsverhandlungen setzten die Christdemokraten durch, dass Grundschulen künftig selber entscheiden können, welches Modell sie für die Erstklässler wählen.

    So wird die Sonnengrundschule in Berlin-Neukölln Erst- und Zweitklässler wieder getrennt unterrichten. Schulleiterin Renate Lauzemis nennt den wichtigsten Grund: Unsere Kinder brauchen eine verlässliche Lerngruppe und eine Lehrerin, die mindestens drei Jahre lang die Klasse begleitet, sagt sie.

    "Wir sind eben der Ansicht, dass es ganz, ganz wichtig ist, dass die Kontinuität da ist, die Verlässlichkeit in den Beziehungen da ist. Und dieser Spagat, wenn der noch größer wird, dann können wir das nicht mehr leisten. "

    Die Sonnengrundschule befindet sich in einem sozialen Brennpunkt Neuköllns. Acht von zehn Kindern sprechen eine andere Muttersprache als Deutsch, die meisten stammen aus bildungsfernen und sozial schwachen Elternhäusern. Viele Kinder beherrschen vor der Einschulung weder ihre Muttersprache noch Deutsch, können weder mit Besteck noch mit Schere und Klebstoff umgehen, berichtet Schulleiterin Lauzemis. Der Ansatz - Zweitklässler bringen Erstklässlern etwas bei, funktioniere an ihrer Schule nicht.

    "Und das kriegt man nicht hin in einem Jahr zu sagen, die sind jetzt so gut vorbereitet, dass die das den Erstklässlern erläutern, erklären können."

    "Beim jahrgangsübergreifenden Lernen haben wir uns in den letzten Jahren durchgemogelt", gibt Schulleiterin Lauzemis zu. JÜL von oben zu verordnen - wie unter Rot-Rot geschehen - findet sie grundsätzlich falsch.

    "Also ich denke, alles was von oben nach unten organisiert und eingetrichtert wird, ist immer problematisch. "

    300 Berliner Grundschulen praktizieren derzeit das jahrgangsübergreifende Lernen, 75 unterrichten Erst- und Zweitklässler getrennt. Da die Schulen künftig selber entscheiden können, wie sie die Anfangsphase gestalten, werden vermutlich noch mehr Schulen zum alten Modell zurückkehren - in vielen Berliner Schulen rumort es.

    So hat sich die Papageno-Grundschule mit einem offenen Brief an den Schulsenat gewandt: Sie fordert eine bessere Personalausstattung, eine Rückkehr zur Einschulung mit sechs Jahren - in Berlin werden bereits fünfeinhalbjährige eingeschult - und eine gezielte Weiterbildung des Personals. "Wir Lehrer fühlen uns von der Senatsschulverwaltung alleine gelassen und nicht ernst genommen" - so heißt es in dem als Brandbrief titulierten Schreiben.