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Zusammenarbeit von Nato und Russland

Heinlein: Am Telefon begrüße ich jetzt Margarita Mathiopoulos. Sie ist die Leiterin des Deutsch-Amerikanischen Potsdam Center for Transatlantic and Military Affairs, eines im März neu gegründeten sicherheitspolitischen Forschungsinstituts. Frau Mathiopoulos, die Unterschriften heute in Rom, markieren sie tatsächlich den Beginn einer neuen Ära?

    Mathiopoulos: Ja, ganz sicherlich, denn natürlich bedeutet es das wirkliche Ende des Kalten Krieges, das Ende der Rivalität zwischen Russland und den USA. Es ist natürlich auch die Belohnung Putins dafür, dass er eine wirklich großhaltige Haltung nach dem 11. September eingehalten hat. Er hat sofort zusammen mit den Europäern den Amerikanern im Kampf gegen den Terrorismus den Rücken gestärkt. Und er hat amerikanische Soldaten sozusagen in seinen Hinterhof hereingelassen und damit den Amerikanern signalisiert, dass er ein Partner für die Zukunft ist. Das ist sicherlich auf der einen Seite ein Gipfel von historischer Bedeutung in Rom. Aber auf der anderen Seite, wenn man das Ganze böse auslegen möchte, könnte man auch sagen: Das ist schön und gut, wenn die Russen diese neue Bedeutung bekommen, und das ist auch richtig und wichtig, aber man muss eben auch sehen, ob das irgendwo auch das Ende der NATO einläutet, der NATO, die bis dato das militärische Bündnis gewesen ist, das Krisen gemeistert hat. Nach dem 11. September und nach dem Ausrufen des Artikels 5 ist nicht so ganz sicher, ob die NATO in Zukunft auch von den Amerikanern als das Bündnis weiterhin gesehen, das mit den NATO-Partnern gemeinsam weltweit Krisen bewältigen wird. Also es gibt natürlich schon die Gefahr einer möglicherweise zweiten Super-OSZE, das ist also die Gefahr, die ich sozusagen auf dem Weg von Rom nach Prag sehe.

    Heinlein: Das ist in der Tat die Frage. Russland nun nicht mehr am Katzentisch der NATO und die Veränderung der Aufgaben innerhalb des Bündnisses nach dem 11. September. Wie wird sich das Bündnis in den kommenden Jahren unter diesen neuen Herausforderungen entwickeln?

    Mathiopoulos: Das ist eben, denke ich, die ganz große Frage, die man jetzt, vor Prag stellen muss, oder die Prag als der Transformationsgipfel sich auch stellen muss, denn auf der einen Seite ist eben die große neue historische Bedeutung gegeben, auf der anderen Seite ist natürlich die Erweiterung. Meines Erachtens geht es jetzt auf dem Weg nach Prag um Sein oder Nichtsein der bisher gekannten NATO, der bisher für alle auch anerkannten NATO als das Militärbündnis, und zwar das einzige Militärbündnis, das zu wirklicher Machtprojektion fähig ist. Und es ist eben nicht mehr ganz klar, ob wir von europäischer Seite die Kapazitäten haben und auch bereit sind, diese Kapazitäten mit in die NATO einzubringen. Das ist die große Frage.

    Heinlein: Welche Rolle spielt denn überhaupt noch die NATO in den außen- und sicherheitspolitischen Konzepten des Weißen Hauses? Was hat sich nach dem 11. September verändert?

    Mathiopoulos: Das wäre zum Beispiel die Frage, die von europäischer Seite gestellt wird. Von europäischer Seite muss in Prag die Frage gestellt werden: Wollen wir Europäer die NATO weiterhin als ein militärisches Bündnis behalten, das in der Lage ist, sich den neuen globalen Herausforderungen - und das ist natürlich der Terrorismus an erster Stelle, und zum Zweiten die Ausweitung von Massenvernichtungswaffen - zu stellen? Diese Frage müssen wir Europäer uns stellen: Wollen wir die NATO als das wichtige Militärbündnis erhalten, und was müssen wir dafür tun? Und dieselbe Frage müssen wir den Amerikanern stellen: Wollt ihr, dass die NATO nach wie vor das einzige wirklich relevante militärische Bündnis bleibt, das auf internationaler, globaler Ebene den neuen Risiken begegnen kann? Und diese Frage müssen wir uns gegenseitig beantworten, und wir müssen auch gegenseitig sagen, was wir voneinander erwarten, denn das ist zum Nulltarif - das gilt vor allen Dingen für die Seite der Europäer - und mit diesen Verteidigungsbudgets, die wir in Europa haben, nicht zu haben.

    Heinlein: Diese Fragen wurden, wenn auch sehr leise, während der Europareise von George Bush gestellt. Es gibt die Sorge in Europa vor amerikanischen Alleingängen und den Vorwurf der Kriegstreiberei in den USA. Auf amerikanischer Seite blickt man dagegen herab auf eine europäische Beschwichtigungspolitik insgesamt. Wie tief sind denn diese Störungen im transatlantischen Dialog?

    Mathiopoulos: Natürlich haben die Amerikaner nach dem 11. September sich gesagt: Wir müssen ganz schnell handeln. Wir befinden uns im Krieg, wir sind angegriffen worden. Und sie haben eine Politik 'NATO a la carte' betrieben. Sie haben sich eine Koalition der willing und able ausgesucht. Diejenigen, die Partner in der NATO sind, die in der Lage sind, sie zu unterstützen, haben mitgemacht, vor allen Dingen die Briten, aber auch zum Teil die Franzosen und die Deutschen. Die Frage ist, ob sich diese Politik einer 'NATO a la carte' durchsetzen wird, das ist dann das Ende der NATO. Und die Europäer müssen eben ganz genau wissen, was sie bereit sind, beizutragen, um die NATO weiterhin als das Instrument zu behalten, das in der Lage ist, Krisen wirklich zu bewältigen, und nicht so eine Haltung anzunehmen, die Amerikaner machen die wirklich wichtigen, schwerwiegenden Aufgaben, und wir Europäer machen ein bisschen Peacekeeping und ein bisschen Beitrag zur Unterstützung der amerikanischen Aufgabenteilung. Was die Kriegstreiberei anbetrifft, das ist ja selbst hier in Deutschland sozusagen ziemlich flachgefallen. Ich glaube, dass George Bush mit seiner Rede sehr viele Menschen erreicht hat, auch die vielen Kritiker. Es war eine sehr eindrucksvolle Rede, die eigentlich sehr deutlich gemacht hat, dass wir im Zeitalter des transnationalen Terrorismus alle in einem Boot sitzen, und wir müssen uns darüber im Klaren sein, wenn wir die gleichen Werte teilen, dann müssen wir auch gemeinsam vorgehen, und ich glaube, das ist sehr gut rübergekommen.

    Heinlein: Ich muss sie leider unterbrechen. Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio