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Zusatzkosten im Gesundheitsbereich
Lauterbach fordert mehr Beteiligung der Arbeitgeber

Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach hat vor einer finanziellen Überlastung der Bürger durch steigende Krankenkassenbeiträge gewarnt. Das Einfrieren des Arbeitgeber-Anteils sei nicht mehr gerechtfertigt, sagte er im Deutschlandfunk. Die alleinige Bezahlung der Zusatzbeiträge durch den Arbeitnehmer sei ungerecht.

Karl Lauterbach im Gespräch mit Doris Simon | 26.08.2015
    Porträt Karl Lauterbach, SPD-Gesundheitsexperte
    Karl Lauterbach, SPD-Gesundheitsexperte (picture-alliance/ dpa / Maja Hitij)
    Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach fordert, das Einfrieren des Arbeitgeber-Anteils wieder zu kippen. Bei der Bezahlung der Krankenkassenbeiträge müsse man zurück zur Parität, sagte er im DLF. "Darüber werden wir nach Sommerpause verhandeln müssen." Die Zusatzbeiträge werden nach Einschätzung von Lauterbach 2016 und 2017 deutlich steigen. Nach jetziger Lage müssten die Bürger für diese Zusatzbeiträge den Arbeitnehmer- sowie den Arbeitgeber-Anteil übernehmen. Sie müssten also doppelt zahlen.
    Zugleich erklärte Lauterbach, dass sich die Krankenkassenbeiträge aufgrund des demografischen Wandels stetig erhöhen würden. Eine Steigerung der Beiträge sei unvermeidbar.
    Der Beitragssatz zur Krankenversicherung setzt sich seit Jahresbeginn zusammen aus einem allgemeinen, festen Bestandteil von 14,6 Prozent, den Arbeitnehmer und Arbeitgeber je zur Hälfte bezahlen, sowie einem Zusatzbeitrag. Diesen müssen die Kassen je nach Finanzlage regelmäßig neu bestimmen, er wird allein von den Arbeitnehmern aufgebracht.

    Das Interview in voller Länge:
    Doris Simon: Die Gesundheitsleistungen in Deutschland sind gut im Vergleich zu vielen anderen Ländern, aber sie kosten auch und das sorgt für Defizite bei den gesetzlichen Krankenkassen. Allein fürs erste halbe Jahr 2015 beläuft sich das Defizit wohl auf eine halbe Milliarde Euro. Deshalb - keine Überraschung - steigt irgendwann in absehbarer Zeit wohl auch der Beitragssatz bei vielen gesetzlichen Krankenkassen - allerdings nur für die Arbeitnehmer, denn der Anteil der Arbeitgeber am Beitrag zur gesetzlichen Krankenkasse ist seit Jahresbeginn eingefroren. Am Telefon ist jetzt der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. Guten Morgen!
    Karl Lauterbach: Guten Morgen!
    Simon: Herr Lauterbach, wieso hat die SPD einer solchen Regelung zugestimmt, wo nur die Arbeitnehmer zahlen, wenn die Kosten steigen? Die deutschen Arbeitgeber stehen ja aktuell auch nicht schlecht da.
    Modellfiguren stehen am 26.03.2014 in Schwerin (Mecklenburg-Vorpommern) auf einer Gehaltsabrechnung mit den Angaben zu Krankenversicherungsbeiträgen.
    Die Belastung für die Arbeitnehmer darf nicht zusätzlich steigen, betonte Lauterbach (dpa / picture alliance / Jens Büttner)
    "Wir haben das sowieso nur vorübergehend akzeptiert"
    Lauterbach: Zunächst einmal muss man das korrigieren. Der Arbeitgeberbeitrag ist schon in der Regierung Schwarz-Gelb in der letzten Legislaturperiode eingefroren worden. Wir haben das nur nicht in den Koalitionsverhandlungen verändern können. Also wir haben nicht den Arbeitgeberbeitrag auf 7,3 Prozent eingefroren, wo er jetzt steht, sondern das war er bereits. Was geändert worden ist, dass der Überlauf, das was über den Beitragssatz hinausgeht, dass in Zukunft für die Versicherten auch noch eine Kopfpauschale hätte bezahlt werden müssen. Das haben wir geändert, dass es einfach Beitragssätze sind, so dass die Geringverdiener etwas weniger bezahlen müssen als die Gutverdiener. Das reicht aber nicht, weil die Kostendynamik ist jetzt so ausgeprägt, dass die alleinige Bezahlung des technischen Fortschrittes, der demographischen Veränderung durch die Arbeitnehmer, dass dies nicht durchzuhalten ist und auch ungerecht wäre. Daher rücken wir von dieser Position ab. Wir haben das sowieso nur vorübergehend akzeptiert. Wir haben nie zugestimmt, dass dies endgültig so sein soll, und die Dynamik in den Ausgaben rechtfertigt eine solche Festschreibung des Arbeitgeberbeitrags zukünftig nicht mehr.
    Simon: Und das heißt, was werden sie konkret machen?
    Lauterbach: Wir müssen in der Krankenversicherung, in der gesetzlichen Krankenversicherung zurück zur Parität. Darüber werden wir verhandeln müssen nach der Sommerpause. Gut ist die Lage im Moment dahingehend, dass die Krankenkassen noch Reserven haben. Das heißt, der Beitragssatz steigt nicht unmittelbar an. Auf der anderen Seite ist das jetzt auch eine Zeit, wo man diese Anpassung noch machen kann, denn wenn die Anpassung nicht kommt - ich rechne mit deutlich steigenden Zusatzbeiträgen in den Jahren 2016, 2017 -, dann würde das insbesondere viele Geringverdiener, aber auch Rentner überlasten, stark belasten. Das würde bedeuten, dass der Krankenkassenbeitrag für diese Menschen in Zukunft doppelt so schnell steigt, wie er früher gestiegen ist, weil die Steigerung von früher, das was der Arbeitnehmer zahlt, muss er bezahlen plus den Arbeitgeberanteil. Das würde für viele Rentner, die ohnedies eher mit sinkenden Rentenzahlungen konfrontiert sind, eine sehr starke Belastung sein.
    Simon: Herr Lauterbach, wir gehen davon aus, dass dieses Jahr möglicherweise eine halbe Milliarde Defizit entsteht bei den gesetzlichen Krankenkassen. Eine halbe Milliarde, das kostet leicht auch ein neues Medikament zum Beispiel gegen Hepatitis, das dann am Ende nur relativ wenigen hilft. Andere Interessengruppen in der Bundesrepublik sagen, der Arbeitgeberbeitrag muss eingefroren bleiben, aber wir fordern eine Diskussion darüber, welche Gesundheitsversorgung noch bezahlbar ist, zum Beispiel der Verband der Familienunternehmer. Sind Sie dafür, dass gewisse Gesundheitsleistungen künftig nicht mehr gezahlt werden von den gesetzlichen?
    Lauterbach: Nein. Das halte ich für abwegig. Das brauchen wir nicht. Wir können uns als sehr reiches Land leisten, die Menschen so zu versorgen, wie es medizinisch notwendig ist. Es ist richtig, dass wir bei den Preisen der Arzneimittel in letzter Zeit einige Exzesse beobachtet haben, und daran arbeiten wir auch. Wir müssen an dem Gesetz arbeiten, womit die Preise reguliert werden. Aber das ist erstens nicht der Hauptgrund für die Kostensteigerung und zum zweiten ist es auch nicht die Lösung für das Problem. Ich kann nicht hingehen und sagen, weil ich nicht bereit bin, die Arbeitgeber fair zu belasten, wie es eigentlich angemessen wäre, nehme ich den Arbeitnehmern auch noch einen Teil der Medikamente, die sie benötigen, weg. Das wäre nicht die richtige Reaktion. Dann würde ich aus der Ungerechtigkeit, die ich selbst mitverschulde, eine weitere Ungerechtigkeit bei der Verteilung der Medikamente machen, von der dann privat Versicherte im Übrigen nicht betroffen wären. Das kann auf keinen Fall die Position der SPD sein.
    Das Foto zeigt die Vorbereitung und Nachbehandlung des endoskopischen Eingriffs
    Die Babyboomer-Generation kommt in die Jahre - und verursacht Kosten. (picture alliance / dpa / Klaus Rose)
    "Die Tarife sind gestiegen, das ist gut so"
    Simon: Absehbar werden ja etliche Reformen der Großen Koalition Mehrkosten bedeuten: Krankenpflege, Besserversorgung der ländlichen Regionen mit Ärzten oder für Kliniken. Andere Länder in Westeuropa gehen ja einen ganz anderen Weg. Da werden zum Beispiel ab einem bestimmten Alter bestimmte Eingriffe, Operationen nicht mehr bezahlt. Ist das bei uns vorstellbar?
    Lauterbach: Das ist bei uns nicht vorstellbar. Das ist auch nicht gewünscht, das brauchen wir nicht. Die Zusatzkosten, die wir jetzt haben, das sind zum Teil Kosten, die wir gemeinsam beschlossen haben, die auch gut sind. Beispielsweise wir müssen Krankenpflegekräften pro Person höhere Löhne bezahlen. Die Tarife sind gestiegen, das ist gut so. Und wir werden mehr Krankenpflegekräfte einstellen müssen. Wir hatten eine völlige Unterfinanzierung der Hochschulambulanzen für schwere Fälle, für schwierige Fälle. Das kann den Kliniken nicht zugemutet werden, dass sie mit den schwersten Fällen systematisch Verluste machen. Darum haben wir gesagt, wir müssen mehr Geld ausgeben - auch das haben wir beschlossen - für die Weiterbildung von Hausärzten, um den Landarzt-Mangel langfristig zu bekämpfen. Das sind im Wesentlichen sinnvolle Mehrausgaben, zu denen wir als Große Koalition auch stehen müssen.
    Simon: Also auch Mehrkosten für Arbeitnehmer und, wie Sie wünschen, für Arbeitgeber. Aber auch für Arbeitnehmer dann?
    Lauterbach: Genau so ist es. Für Arbeitnehmer und für Arbeitgeber. Die Krankenkassenbeiträge werden stetig steigen. Die Bevölkerung wird älter und die Zahl der älteren Menschen steigt auch demographiebedingt, weil die Babyboomer-Generation, also die 1950 bis 1970, 1975 geborenen, kommen jetzt in die Jahre hinein, wo chronische Krankheiten nicht die Ausnahme, sondern die Regel sind.
    Simon: Das heißt, steigende Beiträge sind etwas, an das wir uns gewöhnen werden müssen Ihrer Meinung nach?
    Lauterbach: Das wird eine Zukunftsentwicklung sein, wo es nur eine einzige Richtung gibt. Es wird nicht vermeidbar sein langfristig, dass die Beitragssätze steigen. Das ist nur jetzt nicht zu sehen gewesen, weil wir weniger ältere Leute hatten, die neu dazugekommen sind, wegen der geburtenschwachen Jahrgänge um den zweiten Weltkrieg herum, und weil wir darüber hinaus auch noch ein paar Kostenkontrollgesetze gehabt haben, die dann aber auch zu einer Unterversorgung schon in einigen Gebieten geführt haben. Das sind Einmaleffekte. Langfristig kommen dauerhaft Mehrbelastungen und dafür müssen wir uns vorbereiten.
    Simon: Wir müssen leider zum Ende kommen. Ich danke Ihnen sehr. - Das war der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach zu steigenden Kosten bei den gesetzlichen Krankenkassen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.