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Zustand der Grünen
"Politische Gesamtlage ist größtes Problem "

Die Grünen lebten noch immer von Themen, die sie in die Politik getragen hätten, sagte der Politikwissenschaftler Hubert Kleinert (Grüne) im DLF. Darauf könne man auf Dauer nicht setzen. Zudem sei der Generationswechsel an der Parteispitze "bisher nicht so recht gelungen".

Hubert Kleinert im Gespräch mit Friedbert Meurer | 30.10.2014
    Hubert Kleinert, Grüner und Politiologe an der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung in Gießen
    Hubert Kleinert, Grüner und Politiologe an der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung in Gießen (dpa/picture alliance/Frank May)
    Das größte Problem der Partei sei die veränderten politische Gesamtlage. Viele Parteien hätten in den letzten 20 Jahren Kernthemen der Grünen zu ihren eigenen gemacht. Für die Grünen sei dies die "paradoxe Konsequenz ihres eigenen Erfolgs". Kleinert forderte daher von der Partei, neue Themen zu bearbeiten. So greife keine Partei, abseits der Piratenpartei, den Umbruch und die gesellschaftlichen Veränderungen durch technologische Entwicklungen auf.
    Im Hinblick auf den vergangenen Bundestagswahlkampf kritisierte er die Grünen für ihr Steuerkonzept. Das jetzige Konzept sei "sehr viel moderater, was Abgabenerhöhung angeht. Wenn das die Grundorientierung sein wird für die Zukunft, dann sind sie ganz gut beraten", sagte Kleinert.
    Opposition und Regierung zugleich
    Die Grünen müssten sich zudem mit einer "nicht so ganz einfachen Situation auseinandersetzen". Zum einen sei die Partei an Regierungen in einigen Ländern beteiligt und im Bund in der Opposition. Das verschiebe die Gewichte, sagte Kleinert. Hinzu käme die Regierungsschwierigkeit in der Bundespartei. "Das neue Personal an der Spitze hat Probleme, sich bemerkbar zu machen".
    Hubert Kleinert (links) mit Joschka Fischer bei einer Landesmitgliederversammlung der Grünen in Lich (Hessen) 1984
    Hubert Kleinert (links) mit Joschka Fischer bei einer Landesmitgliederversammlung der Grünen in Lich (Hessen) 1984 (dpa / picture-alliance / Karin Hill)

    Das Interview in voller Länge:
    Friedbert Meurer: 1983 zogen sie erstmals in den Bundestag ein. Die Grünen stehen für das Lebensgefühl großer Teile wohl einer ganzen Generation. Als die Grünen mit Winfried Kretschmann dann den Ministerpräsidenten ausgerechnet des konservativen Baden-Württemberg stellten, dann hieß es sogar, diese Partei kann Volkspartei werden. Von da an ist es dann aber bergab gegangen, zumindest bei Wahlen. Jürgen Trittin trat dann von der großen Bühne ab. Aber er hat zuletzt dem erfolgreichen Landesverband Baden-Württemberg ein Etikett verpasst, das Waziristan der Grünen zu sein. Jetzt ist einiges los in der Partei.
    Hubert Kleinert ist Kenner der Grünen und Politikwissenschaftler in Gießen. Guten Morgen, Herr Kleinert.
    Hubert Kleinert: Guten Morgen.
    Meurer: Liegt Waziristan zwischen Stuttgart und Tübingen und doch nicht in Pakistan?
    Kleinert: Ach, das sind solche polemischen Äußerungen, die so zugespitzt dann mal kommen. Klar gibt es da Konflikte. Das hat sicherlich auch ein bisschen was zu tun mit Machtrivalitäten. Natürlich klar: Baden-Württemberg und Trittin, das ist in der Vergangenheit immer eher nicht unbedingt ein Herz und eine Seele gewesen.
    Meurer: Sie sagen, das ist die bekannte Spottlust von Jürgen Trittin und sollte nicht für so viel Aufregung sorgen?
    Kleinert: Ja. Ich bin nicht der Auffassung, dass das jetzt nun ein Riesenproblem darstellt. Wahr ist natürlich, dass die Grünen einige Probleme haben. Der Personalwechsel, der Generationswechsel an der Spitze, der ist bislang noch nicht so recht gelungen. Das ist ja allgemein bekannt, denke ich. Und zum anderen haben die Grünen sich mit einer nicht so ganz einfachen Situation auseinanderzusetzen: Sie sind in vielen Ländern Regierungspartei, gleichzeitig Opposition im Bund. Das verschiebt natürlich die Gewichte zwischen den Ländern und der Bundespartei. Und wenn dann noch eine Bundespartei hinzukommt, deren Führung Schwierigkeiten hat, dann ist es ganz logisch, dass sich daraus die eine oder andere Auseinandersetzung ergibt.
    Etwa in der Hälfte der Bundesländer in den Regierungen vertreten
    Meurer: Wieso ist der Generationswechsel nicht gelungen?
    Kleinert: Ich sage, bislang nicht gelungen. Na ja, gut, weil, wie man so schön sagt, die Spatzen pfeifen das ja vom Dach. Die Führung tut sich bislang schwer, sowohl die Fraktionsführung, die seit der letzten Bundestagswahl amtiert, als auch die neue Parteiführung. Auf der anderen Seite haben wir starke Grüne. Sie haben Baden-Württemberg erwähnt, auch Hessen, und wenn Thüringen noch dazukommt, sind die Grünen ungefähr, wenn ich es recht sehe, in der Hälfte der Bundesländer mit Regierung. Daraus ergibt sich ein Spannungsfeld, das ist ganz klar.
    Meurer: Sie haben ja eben selbst gesagt, in den Ländern wird viel mitregiert, im Bund die Opposition. Ist der Grund dafür, dass keine herausragenden Führungsfiguren im Bund jetzt da sind, weil wichtige Vertreter aus den Ländern einfach keine Lust haben, ins Haifischbecken Berlin zu gehen?
    Kleinert: Na ja, ich sehe dahinter in der Tat noch ein etwas größeres Problem. Die Grünen sind natürlich auch mit einer veränderten politischen Gesamtlage konfrontiert, die ein Stück weit die paradoxe Konsequenz ihres eigenen Erfolgs ist. Die Grünen leben im Grunde bis heute von den Fragen, die sie, sagen wir, in den 80er-Jahren ins politische System hineingetragen haben. Das betrifft die ganzen ökologischen Fragen, natürlich allen voran die Energiepolitik, wo sie sich ja im Wesentlichen durchgesetzt haben. Das betrifft auch solche Themen wie Fundamentalliberalisierung der Gesellschaft, sprich ein anderer Umgang mit Minderheitenrechten. In all diesen Dingen sind die Grünen ja eigentlich recht erfolgreich gewesen. Davon zehren sie bis heute. Nun ist natürlich die Konsequenz des eigenen Erfolgs auch, dass man nicht mehr auf Dauer darauf setzen kann, dass man über diese Themen ausreichend Profil gewinnt, und da gibt es einen Umbruchprozess, möchte ich mal sagen. Die Grünen können nicht automatisch mehr darauf setzen, dass sie als Partei des Atomausstiegs gewählt werden, um das mal an dem Beispiel zu sagen.
    Meurer: Genau! Das hat sich ja jetzt selbst die Kanzlerin auf die Fahnen geschrieben. Hat Paul Nolte Recht, wenn er sagt, das grüne Zeitalter geht zu Ende?
    Kleinert: Ich bin ein bisschen vorsichtig mit solchen Langfristprognosen. Vor drei Jahren habe ich in Interviews die Frage gestellt bekommen, ob die Grünen die neue Volkspartei seien, und nun geht es schon ganz bergab. Ich bin da etwas vorsichtig. Ich sehe, dass die Grünen in einer komplizierter gewordenen Gesamtsituation stecken. Ich sehe, dass das Personal an der Spitze, das neue Personal an der Spitze Schwierigkeiten hat, sich bemerkbar zu machen. Ich sehe auch, dass die Grünen auf die Dauer auch andere Fragen oder neue Fragen, meine ich, aufgreifen müssen, um Profil zu zeigen.
    Grüne müssen neue Fragen bedienen
    Meurer: Welche Fragen meinen Sie da?
    Kleinert: Na ja, ich will Ihnen mal ein Beispiel nennen. Die Grünen sind von ihrem ganzen Grundansatz her nicht unbedingt die Partei, die etwa in der Frage netzaffin nun noch netzaffiner sein müssten als etwa die Piraten. Die ganze Problematik des Umbruchs der Gesellschaft, der gesellschaftlichen Veränderungen in der Folge der technologischen Entwicklung wurde eigentlich von keiner Partei so richtig artikuliert. Bislang bemühen sich alle, sozusagen den Nachweis zu erbringen, wir sind noch netzaffiner als die anderen. Die Schattenseiten, die mit dieser Entwicklung verbunden sind - ich will nur das Stichwort Big data nennen, das ist eine Veranstaltung, die bislang vor allem eine Angelegenheit der Feuilletons ist, um etwa an den verstorbenen "FAZ"-Herausgeber zu erinnern, Herrn Schirrmacher. In der Politik sehe ich überhaupt niemanden, der solche Themen richtig bearbeitet.
    Meurer: Das wäre ein Thema. Wenn man in eine andere Richtung schaut: Sollten die Grünen eine linke Steuerpolitik den Linken überlassen?
    Kleinert: Das ist jetzt wieder ein ganz anderes Thema, was Sie ansprechen: die Steuerpolitik. Was ist eine linke Steuerpolitik? Ganz sicher haben die Grünen in ihrem Bundestagswahlprogramm überreizt, das Steuerthema zu weit getrieben, zu sehr in die Richtung der Steuererhöhungspartei sich orientiert. Auf der anderen Seite gibt es ja jetzt neue Konzepte. Ich habe mir die angeschaut. Die klingen ganz vernünftig. Das ist eine ganz gemäßigte Linie, die in die Richtung Sparen, gleichzeitig in die Richtung genug Geld einnehmen, um investieren zu können durch den Staat, und sehr viel moderater, was jetzt Ausgabenerhöhung anlangt oder was Abgabenerhöhung anlangt, sich orientiert. Wenn das Grundorientierung sein wird für die Zukunft, dann wären sie mit so einem Papier, mit so einer Orientierung ganz gut beraten. Es ist ein bisschen schwierig, das so pauschal zu beantworten, was ist linke Steuerpolitik. Linke Steuerpolitik, oder ob sie links oder weniger links ist, die Frage des Spitzensteuersatzes, die Frage der Erbschaftssteuer und überhaupt die Frage, wie ist der Investitionsbedarf in den nächsten Jahrzehnten, das ist nicht unbedingt eine Frage, wo man sagen kann, links oder nicht links, sondern da gibt es einfach bestimmte Notwendigkeiten, die sich stellen.
    Meurer: Der Gießener Politikwissenschaftler Hubert Kleinert über die Situation ei den Grünen. Danke schön, auf Wiederhören!
    Kleinert: Auf Wiederhören.