Köhler: Die Diskussion um die EU-Erweiterung, sie ist im Moment ein bisschen schwieriger geworden. Bulgarien hat in wichtigen Punkten die Erwartungen noch nicht erfüllt, im Bereich der Finanzströme und Kontrollen des Kampfes gegen Korruption. Rumänien ist da schon ein Schritt weiter. Einer EU-Vollmitgliedschaft der Türkei stehen viele Alteuropäer immer noch skeptisch gegenüber. Dabei ist der Prozess der Demokratisierung und insbesondere das wirtschaftliche Wachstum des Landes beachtlich. Mit Marc Landau, Geschäftsführer der Deutsch-Türkischen Handelskammer in Istanbul, möchte ich anlässlich des Deutsch-Türkischen Wirtschaftskongresses in Berlin darüber sprechen. Herr Landau, Tayyip Erdogan, der türkische Premier, regiert allein. In drei Jahren hat er viel bewegt. Kanzlerin Merkel müsste das eigentlich beim deutsch-türkischen Handelstreffen, beim Wirtschaftskongress beeindrucken. Es waren ja keine kleinen Reformschritte. Hätten Sie Erdogan auch gewählt, wenn Sie gedurft hätten?
Landau: Also die Frage, wen ich in der Türkei wähle, die habe ich mir, ehrlich gestanden, nicht gestellt. Ich müsste da also länger darüber überlegen. Ich kann nur sagen, dass die Politik, die die Equipe, die Mannschaft um Erdogan gemacht hat, wie Sie eben schon sagten, sehr positiv war, ganz besonders, was die Wirtschaft betrifft, dass also eine ganze Reihe von Reformen durchgeführt worden sind, die zum Teil zu einer nachhaltigen Veränderung und Verbesserung der Verhältnisse geführt haben. Sicher, manche Leute sagen, die Regierung Erdogan hat mehr geerntet als gesät. Es ist nicht ihr alleiniges Verdienst gewesen, was hier geschehen ist, einiges war vorher schon vorbereitet, aber die Durchführung ist doch ganz weitgehend ein Verdienst der jetzigen Regierung.
Köhler: Wie hat er das gemacht? Sie sprechen von nachhaltigen Veränderungen. Ich sage als Stichwort mal, er hat die Inflation in Bann geschlagen und die Wirtschaft angekurbelt. Wie hat er das gemacht?
Landau: Ja, also ich meine, eine ganze Reihe von Reformen, die zum Teil natürlich auch durchaus unter dem Einfluss standen der Forderungen der EU und nicht zuletzt auch des Internationalen Währungsfonds, aber darüber hinaus eben aus eigenem Antrieb kamen. Zu dem, was Sie gerade nannten, gehört unter anderem auch eine wesentliche Reform des Bankwesens. Das war ja früher relativ labil und auch politischen Einflüssen ausgesetzt. Es gehörte dazu die Schaffung einer autonomen Zentralbank, also die Abschaffung der Weisungsgebundenheit der Zentralbank. Also wie gesagt, es sind Dinge, die grundlegend verändert wurden, die eigentlich auch sicherstellen, dass der Kurs auch für die Zukunft weiter nach oben gehen wird.
Köhler: Autonome Zentralbank, Reform des Bankwesens, ein ganz wichtiger Punkt, wir haben es gerade gesehen - ich habe es erwähnt - bei Bulgarien, wo das noch nicht sicher ist, wo auch Investoren Grund zur Skepsis haben. Wie kommt es dazu in der Türkei, wo das Land ja doch auch von intra-nationalen Spannungen geprägt ist? Ich erwähne das Attentat auf einen liberalen Richter durch Islamisten, ich erwähne das Kurdenproblem, ich erwähne die Rolle der Militärs, die Rolle der Nationalisten und die Rolle der Ultrareligiösen. Konnte er sich durchsetzen oder halten die still?
Landau: Die halten nicht still, wie die Beispiele, die Sie gerade genannt haben, zeigen. Das ist richtig, dass es aus diversen Quellen weiterhin natürlich gewisse Herausforderungen für die Stabilität da sind. Die Tatsache aber, dass wir jetzt drei, vier Jahre bereits einen Zustand der Ruhe und Ausgeglichenheit, einen Zustand hatten, bei dem das Vertrauen insbesondere auch der Wirtschaft in die Stabilität, und wie sie sich wiederhergestellt hat, das war schon ganz maßgeblich. Es ist richtig, dass Ereignisse, wie Sie eben andeuteten, die jetzt geschehen sind, natürlich geeignet sind, dieses Vertrauen wieder ein bisschen zum Wanken zu bringen. Aber soweit würde ich im Moment noch nicht gehen. Also was wir beobachten können, ist gerade, dass das Interesse ausländischer, insbesondere deutscher Investoren für die Türkei, was schon immer groß war, in den letzten zwei, drei Jahren ganz sprunghaft gestiegen ist, aber weiterhin auch wächst. Ich kann das kurz an zwei, drei Zahlen erläutern: Wir hatten im Jahr 1995 500 Unternehmen mit deutscher Beteiligung, fünf Jahre später hatte sich das verdoppelt auf 1.000 und mittlerweile sind wir deutlich bei über 2.000, wobei allein in den letzten zwei Jahren 700 neue Firmen hinzugekommen sind. Die Neugründungen sind jetzt überwiegend kleinere und mittlere, überwiegend sogar kleinere Unternehmen, die mit relativ geringem Kapital- und Personaleinsatz hier anfangen, weil die Großen sind eben seit langen, langen Jahren schon hier, aber die Großen machen auch weiter, die investieren auch weiter kräftig. Also, wie gesagt, es überwiegt ganz, ganz deutlich die Zuversicht bei der Wirtschaft.
Köhler: Ich greife das gerne mal auf, was Sie da mit Neugründungen gesagt haben, dass wir vielleicht mal einen kleinen Blick auf diese Gründungen oder auf diesen Branchenmix werfen. Ich sage mal ein Beispiel: Was früher vielleicht Krefeld für die Textilindustrie Deutschlands bedeutete an Wirkung, ist heute das türkische Bursa, die alte Hauptstadt. Wenn ich ein T-Shirt, sagen wir mal, ich mache jetzt keine Schleichwerbung, aber bei H&M für wenige Euros kaufe, da steht da sehr oft oben drin "Made in Turkey". Textilfabriken mit hohem technischen Know-how, deutsch-türkischen Fachkräften, die sorgen für einen Boom gerade auch im Nordwesten. Ist das auch Ihre Beobachtung?
Landau: Das ist ganz richtig, und die Textilwirtschaft ist bisher ja auch die Hauptsäule der türkischen Exportindustrie. Und die Türkei ist wohl mittlerweile in der Tat der Lieferant Nr. 1 auf dem Textilbekleidungssektor für die Bundesrepublik Deutschland. Aber ich darf anknüpfen, weil Sie sagten gerade, die Region um Bursa, die ist mittlerweile nicht nur für den Textilbereich führend oder eine der führenden Regionen, sondern Bursa assoziiert man seit zwei, drei Jahren oder auch schon ein bisschen länger eigentlich viel mehr mit der Automobil-, der Kfz-Zulieferindustrie. Das ist eine Branche, die sich in der Türkei in den letzten paar Jahren, ja, zur echten Konkurrenz sogar für den Textilsektor entwickelt hat.
Köhler: Mit auch vielen Beschäftigten?
Landau: Mit sehr vielen Beschäftigten und mit vielen ausländischen Investitionen aber vornehmlich natürlich auch mit inländischen Investitionen.
Köhler: Lassen wir noch mal Namen fallen. Ich habe gelesen, Bosch produziert da richtig groß Dieseleinspritzanlagen, also auch ein boomender Markt?
Landau: Das ist richtig. Also Bosch hat in Bursa gerade auf dem Automotive-Bereich, aber sie sind in anderen Teilen des Landes zum Beispiel auch mit weißer Ware tätig.
Köhler: Weiße Ware ist Kühlschränke und ähnliches, nicht dass jetzt einer an Drogen denkt oder so?
Landau: Nee, nee, um Himmels willen, Elektrogeräte, Haushaltsgeräte. Ja, aber das ist ein klassisches Beispiel dafür, ich glaube, die hatten vor zehn Jahren irgendwie so ein paar Hundert Beschäftigte, mittlerweile sind es fast 5.000, expandiert dort weiter als Standort für den Weltmarkt, und es sind schon Zahlen genannt worden, dass zum Ende des Jahrzehnts 10.000 Arbeitsplätze dort sein sollen.
Köhler: Herr Landau, wenn ich jetzt die Beispiele ganz kurz Revue passieren lasse, Sie sprachen von Neugründungen. Wir haben über Textilindustrie gesprochen, wir haben über Autozulieferung gesprochen, es sind auch Autofabriken da, aber ist das nicht das, was man Weiterverarbeitung nennt und nicht, also es ist ja nicht Maschinenbau oder Anlagenbau, sondern es ist so etwas wie Endfertigung?
Landau: Nee, nee, nicht mehr. Die Türkei hat sich also gerade auf dem Automobilbereich fortentwickelt, nicht mehr dass man CKD, also Completely Knocked Down-Baukästen zusammenbastelt, nee, es ist also eine originäre türkische Kfz-Industrie entstanden. Der Hauptverband der Kfz-Zulieferer hat hier 700 produzierende Mitgliedsfirmen, von denen mehr als die Hälfte Originalteile produzieren, nicht nur für den türkischen Markt, sondern weltweit. Und man zählt heute die Türkei, glaube ich, unter den Automobilproduzenten, den originären Automobilproduzenten Europas, auf Platz 6.
Köhler: Gibt es eigentlich auch ausreichenden Binnenkonsum oder ist das ein reines Exportgeschäft?
Landau: Nee, nee, das ist gemischt. Also es gibt durchaus eine große Nachfrage auf dem lokalen Markt, wobei es gerade im Kfz-Bereich, ein klassisches Beispiel, dass beides läuft, dass manche Unternehmen, also Fiat beispielsweise oder Renault, produzieren ganze Baureihen allein in der Türkei. Also wenn Sie Ihren Renault Megane irgendwo auf der Welt kaufen, der kommt hier aus der Türkei, und bei Fiat ist es ähnlich. Andrerseits importiert die Türkei in den letzten Jahren auch im erheblichen Maße diese PKWs aus dem Rest der Welt. Es sind dann halt eben unterschiedliche Modelle.
Köhler: Ist die Ausbildungsinfrastruktur, also die Ausbildung auch der Leute, die diese Sachen bedienen, gewährleistet, also sprich Bilingualität, sprechen die Deutschen Türkisch, ist man im Ausbildungswesen, im Hochschulwesen da auch einen Schritt weiter, weil das muss ja parallel passieren?
Landau: Ja, das ist eigentlich, also das relativ große Reservoir an gut ausgebildeten, gut motivierten Mitarbeitern praktisch aller Stufen, das ist eins der Hauptargumente, das ausländische Unternehmen immer für ihr Engagement in der Türkei vorbringen. Viele Unternehmen tun natürlich auch ihrerseits einiges an der Qualifikation der Arbeitnehmer, also dass sie eine werkseigene Ausbildung haben oder wie hier bei manchen deutschen Unternehmen, dass sie irgendwie ganz entsprechend dem dualen Ausbildungssystem in Deutschland junge Leute hier ausbilden. Aber, wie gesagt, davon mal abgesehen, die Beschaffung qualifizierter Arbeitskräfte für ausländische Firmen ist in der Regel kein Problem.
Köhler: Herr Landau, die große Koalition hat sich kleine Reformschritte vorgenommen. Die kleine Koalition in der Türkei macht gerade große Reformschritte, wie Sie uns erklärt haben. Denken Sie, das wird irgendwie Einfluss auf den Deutsch-Türkischen Wirtschaftsgipfel in Berlin nehmen, wenn Kanzlerin Merkel auf den türkischen Premier trifft, dass sie sagt: Hui, da kann man die Skepsis doch langsam fahren lassen, was die EU-Vollmitgliedschaft angeht?
Landau: Das wäre schön. Abgesehen davon, glaube ich auch, die Kanzlerin hat sich auch bereits in ihrer Zeit als Oppositionsführerin intensiv mit der Türkei beschäftigt. Sie war also auch zuletzt, glaube ich, vor anderthalb Jahren, zwei Jahren hier, und verfügt durchaus über einen Einblick. Soweit ich orientiert bin, wird sie auch in der zweiten Jahreshälfte noch mal zum persönlichen Besuch nach Ankara und Istanbul kommen. So gehe ich davon aus, dass sie durchaus die ausreichenden Einblicke für vernünftige Entscheidungen, was die Türkei betrifft, hat.
Köhler: Und Sie meinen, dass dieser dauerhafte wirtschaftliche Erfolg auch seine Auswirkung auf eine demokratische Stabilisierung hat?
Landau: Das hat mit Sicherheit Rückwirkungen, dieser ganze Reformprozess. Wir gehen auch davon aus, dass es sich um einen Prozess handelt, der sich noch eine ganze Weile hinziehen wird. Er war bisher bereits einer der Motoren für eine grundlegende Weiterentwicklung und positive Veränderung der Türkei, und wenn er nicht irgendwie zerschlagen wird, wird er es auch in Zukunft sein.
Köhler: Abschließend vielleicht, immer wieder gibt es kleine kulturelle Irritationen. Ich erinnere an den Versuch, den bekannten Schriftsteller Orhan Pamuk vor Gericht zu ziehen, was dann durch Beobachtung internationaler Gemeinschaft verhindert wurde, es kam dazu nicht. Wird auch das dauerhaft eine kulturelle Veränderung bringen?
Landau: Also, ich sagte es bereits, der Reformprozess auch in diesen Gebieten ist noch nicht abgeschlossen, aber ich gehe davon aus, dass, wenn er nicht torpediert wird, dass er weitergehen wird auf dem vom Westen gewünschten Niveau.
Köhler: Vielen Dank für das Gespräch!
Landau: Also die Frage, wen ich in der Türkei wähle, die habe ich mir, ehrlich gestanden, nicht gestellt. Ich müsste da also länger darüber überlegen. Ich kann nur sagen, dass die Politik, die die Equipe, die Mannschaft um Erdogan gemacht hat, wie Sie eben schon sagten, sehr positiv war, ganz besonders, was die Wirtschaft betrifft, dass also eine ganze Reihe von Reformen durchgeführt worden sind, die zum Teil zu einer nachhaltigen Veränderung und Verbesserung der Verhältnisse geführt haben. Sicher, manche Leute sagen, die Regierung Erdogan hat mehr geerntet als gesät. Es ist nicht ihr alleiniges Verdienst gewesen, was hier geschehen ist, einiges war vorher schon vorbereitet, aber die Durchführung ist doch ganz weitgehend ein Verdienst der jetzigen Regierung.
Köhler: Wie hat er das gemacht? Sie sprechen von nachhaltigen Veränderungen. Ich sage als Stichwort mal, er hat die Inflation in Bann geschlagen und die Wirtschaft angekurbelt. Wie hat er das gemacht?
Landau: Ja, also ich meine, eine ganze Reihe von Reformen, die zum Teil natürlich auch durchaus unter dem Einfluss standen der Forderungen der EU und nicht zuletzt auch des Internationalen Währungsfonds, aber darüber hinaus eben aus eigenem Antrieb kamen. Zu dem, was Sie gerade nannten, gehört unter anderem auch eine wesentliche Reform des Bankwesens. Das war ja früher relativ labil und auch politischen Einflüssen ausgesetzt. Es gehörte dazu die Schaffung einer autonomen Zentralbank, also die Abschaffung der Weisungsgebundenheit der Zentralbank. Also wie gesagt, es sind Dinge, die grundlegend verändert wurden, die eigentlich auch sicherstellen, dass der Kurs auch für die Zukunft weiter nach oben gehen wird.
Köhler: Autonome Zentralbank, Reform des Bankwesens, ein ganz wichtiger Punkt, wir haben es gerade gesehen - ich habe es erwähnt - bei Bulgarien, wo das noch nicht sicher ist, wo auch Investoren Grund zur Skepsis haben. Wie kommt es dazu in der Türkei, wo das Land ja doch auch von intra-nationalen Spannungen geprägt ist? Ich erwähne das Attentat auf einen liberalen Richter durch Islamisten, ich erwähne das Kurdenproblem, ich erwähne die Rolle der Militärs, die Rolle der Nationalisten und die Rolle der Ultrareligiösen. Konnte er sich durchsetzen oder halten die still?
Landau: Die halten nicht still, wie die Beispiele, die Sie gerade genannt haben, zeigen. Das ist richtig, dass es aus diversen Quellen weiterhin natürlich gewisse Herausforderungen für die Stabilität da sind. Die Tatsache aber, dass wir jetzt drei, vier Jahre bereits einen Zustand der Ruhe und Ausgeglichenheit, einen Zustand hatten, bei dem das Vertrauen insbesondere auch der Wirtschaft in die Stabilität, und wie sie sich wiederhergestellt hat, das war schon ganz maßgeblich. Es ist richtig, dass Ereignisse, wie Sie eben andeuteten, die jetzt geschehen sind, natürlich geeignet sind, dieses Vertrauen wieder ein bisschen zum Wanken zu bringen. Aber soweit würde ich im Moment noch nicht gehen. Also was wir beobachten können, ist gerade, dass das Interesse ausländischer, insbesondere deutscher Investoren für die Türkei, was schon immer groß war, in den letzten zwei, drei Jahren ganz sprunghaft gestiegen ist, aber weiterhin auch wächst. Ich kann das kurz an zwei, drei Zahlen erläutern: Wir hatten im Jahr 1995 500 Unternehmen mit deutscher Beteiligung, fünf Jahre später hatte sich das verdoppelt auf 1.000 und mittlerweile sind wir deutlich bei über 2.000, wobei allein in den letzten zwei Jahren 700 neue Firmen hinzugekommen sind. Die Neugründungen sind jetzt überwiegend kleinere und mittlere, überwiegend sogar kleinere Unternehmen, die mit relativ geringem Kapital- und Personaleinsatz hier anfangen, weil die Großen sind eben seit langen, langen Jahren schon hier, aber die Großen machen auch weiter, die investieren auch weiter kräftig. Also, wie gesagt, es überwiegt ganz, ganz deutlich die Zuversicht bei der Wirtschaft.
Köhler: Ich greife das gerne mal auf, was Sie da mit Neugründungen gesagt haben, dass wir vielleicht mal einen kleinen Blick auf diese Gründungen oder auf diesen Branchenmix werfen. Ich sage mal ein Beispiel: Was früher vielleicht Krefeld für die Textilindustrie Deutschlands bedeutete an Wirkung, ist heute das türkische Bursa, die alte Hauptstadt. Wenn ich ein T-Shirt, sagen wir mal, ich mache jetzt keine Schleichwerbung, aber bei H&M für wenige Euros kaufe, da steht da sehr oft oben drin "Made in Turkey". Textilfabriken mit hohem technischen Know-how, deutsch-türkischen Fachkräften, die sorgen für einen Boom gerade auch im Nordwesten. Ist das auch Ihre Beobachtung?
Landau: Das ist ganz richtig, und die Textilwirtschaft ist bisher ja auch die Hauptsäule der türkischen Exportindustrie. Und die Türkei ist wohl mittlerweile in der Tat der Lieferant Nr. 1 auf dem Textilbekleidungssektor für die Bundesrepublik Deutschland. Aber ich darf anknüpfen, weil Sie sagten gerade, die Region um Bursa, die ist mittlerweile nicht nur für den Textilbereich führend oder eine der führenden Regionen, sondern Bursa assoziiert man seit zwei, drei Jahren oder auch schon ein bisschen länger eigentlich viel mehr mit der Automobil-, der Kfz-Zulieferindustrie. Das ist eine Branche, die sich in der Türkei in den letzten paar Jahren, ja, zur echten Konkurrenz sogar für den Textilsektor entwickelt hat.
Köhler: Mit auch vielen Beschäftigten?
Landau: Mit sehr vielen Beschäftigten und mit vielen ausländischen Investitionen aber vornehmlich natürlich auch mit inländischen Investitionen.
Köhler: Lassen wir noch mal Namen fallen. Ich habe gelesen, Bosch produziert da richtig groß Dieseleinspritzanlagen, also auch ein boomender Markt?
Landau: Das ist richtig. Also Bosch hat in Bursa gerade auf dem Automotive-Bereich, aber sie sind in anderen Teilen des Landes zum Beispiel auch mit weißer Ware tätig.
Köhler: Weiße Ware ist Kühlschränke und ähnliches, nicht dass jetzt einer an Drogen denkt oder so?
Landau: Nee, nee, um Himmels willen, Elektrogeräte, Haushaltsgeräte. Ja, aber das ist ein klassisches Beispiel dafür, ich glaube, die hatten vor zehn Jahren irgendwie so ein paar Hundert Beschäftigte, mittlerweile sind es fast 5.000, expandiert dort weiter als Standort für den Weltmarkt, und es sind schon Zahlen genannt worden, dass zum Ende des Jahrzehnts 10.000 Arbeitsplätze dort sein sollen.
Köhler: Herr Landau, wenn ich jetzt die Beispiele ganz kurz Revue passieren lasse, Sie sprachen von Neugründungen. Wir haben über Textilindustrie gesprochen, wir haben über Autozulieferung gesprochen, es sind auch Autofabriken da, aber ist das nicht das, was man Weiterverarbeitung nennt und nicht, also es ist ja nicht Maschinenbau oder Anlagenbau, sondern es ist so etwas wie Endfertigung?
Landau: Nee, nee, nicht mehr. Die Türkei hat sich also gerade auf dem Automobilbereich fortentwickelt, nicht mehr dass man CKD, also Completely Knocked Down-Baukästen zusammenbastelt, nee, es ist also eine originäre türkische Kfz-Industrie entstanden. Der Hauptverband der Kfz-Zulieferer hat hier 700 produzierende Mitgliedsfirmen, von denen mehr als die Hälfte Originalteile produzieren, nicht nur für den türkischen Markt, sondern weltweit. Und man zählt heute die Türkei, glaube ich, unter den Automobilproduzenten, den originären Automobilproduzenten Europas, auf Platz 6.
Köhler: Gibt es eigentlich auch ausreichenden Binnenkonsum oder ist das ein reines Exportgeschäft?
Landau: Nee, nee, das ist gemischt. Also es gibt durchaus eine große Nachfrage auf dem lokalen Markt, wobei es gerade im Kfz-Bereich, ein klassisches Beispiel, dass beides läuft, dass manche Unternehmen, also Fiat beispielsweise oder Renault, produzieren ganze Baureihen allein in der Türkei. Also wenn Sie Ihren Renault Megane irgendwo auf der Welt kaufen, der kommt hier aus der Türkei, und bei Fiat ist es ähnlich. Andrerseits importiert die Türkei in den letzten Jahren auch im erheblichen Maße diese PKWs aus dem Rest der Welt. Es sind dann halt eben unterschiedliche Modelle.
Köhler: Ist die Ausbildungsinfrastruktur, also die Ausbildung auch der Leute, die diese Sachen bedienen, gewährleistet, also sprich Bilingualität, sprechen die Deutschen Türkisch, ist man im Ausbildungswesen, im Hochschulwesen da auch einen Schritt weiter, weil das muss ja parallel passieren?
Landau: Ja, das ist eigentlich, also das relativ große Reservoir an gut ausgebildeten, gut motivierten Mitarbeitern praktisch aller Stufen, das ist eins der Hauptargumente, das ausländische Unternehmen immer für ihr Engagement in der Türkei vorbringen. Viele Unternehmen tun natürlich auch ihrerseits einiges an der Qualifikation der Arbeitnehmer, also dass sie eine werkseigene Ausbildung haben oder wie hier bei manchen deutschen Unternehmen, dass sie irgendwie ganz entsprechend dem dualen Ausbildungssystem in Deutschland junge Leute hier ausbilden. Aber, wie gesagt, davon mal abgesehen, die Beschaffung qualifizierter Arbeitskräfte für ausländische Firmen ist in der Regel kein Problem.
Köhler: Herr Landau, die große Koalition hat sich kleine Reformschritte vorgenommen. Die kleine Koalition in der Türkei macht gerade große Reformschritte, wie Sie uns erklärt haben. Denken Sie, das wird irgendwie Einfluss auf den Deutsch-Türkischen Wirtschaftsgipfel in Berlin nehmen, wenn Kanzlerin Merkel auf den türkischen Premier trifft, dass sie sagt: Hui, da kann man die Skepsis doch langsam fahren lassen, was die EU-Vollmitgliedschaft angeht?
Landau: Das wäre schön. Abgesehen davon, glaube ich auch, die Kanzlerin hat sich auch bereits in ihrer Zeit als Oppositionsführerin intensiv mit der Türkei beschäftigt. Sie war also auch zuletzt, glaube ich, vor anderthalb Jahren, zwei Jahren hier, und verfügt durchaus über einen Einblick. Soweit ich orientiert bin, wird sie auch in der zweiten Jahreshälfte noch mal zum persönlichen Besuch nach Ankara und Istanbul kommen. So gehe ich davon aus, dass sie durchaus die ausreichenden Einblicke für vernünftige Entscheidungen, was die Türkei betrifft, hat.
Köhler: Und Sie meinen, dass dieser dauerhafte wirtschaftliche Erfolg auch seine Auswirkung auf eine demokratische Stabilisierung hat?
Landau: Das hat mit Sicherheit Rückwirkungen, dieser ganze Reformprozess. Wir gehen auch davon aus, dass es sich um einen Prozess handelt, der sich noch eine ganze Weile hinziehen wird. Er war bisher bereits einer der Motoren für eine grundlegende Weiterentwicklung und positive Veränderung der Türkei, und wenn er nicht irgendwie zerschlagen wird, wird er es auch in Zukunft sein.
Köhler: Abschließend vielleicht, immer wieder gibt es kleine kulturelle Irritationen. Ich erinnere an den Versuch, den bekannten Schriftsteller Orhan Pamuk vor Gericht zu ziehen, was dann durch Beobachtung internationaler Gemeinschaft verhindert wurde, es kam dazu nicht. Wird auch das dauerhaft eine kulturelle Veränderung bringen?
Landau: Also, ich sagte es bereits, der Reformprozess auch in diesen Gebieten ist noch nicht abgeschlossen, aber ich gehe davon aus, dass, wenn er nicht torpediert wird, dass er weitergehen wird auf dem vom Westen gewünschten Niveau.
Köhler: Vielen Dank für das Gespräch!