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Zuwanderung aus Südosteuropa
"Die berühmte soziale Hängematte ist nicht nachweisbar"

"Wir leben zum beachtlichen Teil von den Leuten, die vom Balkan zu uns gekommen sind", meint der ehemalige EU-Südosteuropabeauftragte Erhard Busek. Im DLF plädierte er für eine geregelte Öffnung der westeuropäischen Arbeitsmärkte. Der angebliche Zuzug in die Sozialsysteme werde von bestimmten Gruppen hochgepuscht.

Erhard Busek im Gespräch mit Friedbert Meurer | 16.09.2014
    Am Busbahnhof der bulgarischen Hauptstadt Sofia besteigen am 1. Januar 2014 Leute einen Bus nach London über Deutschland und Frankreich.
    Serbien steht in Deutschland auf Platz zwei der Flüchtlingsliste. (AFP PHOTO / NIKOLAY DOYCHINOV)
    Friedbert Meurer: Anfang der 90er-Jahre beantragten Hunderttausende jährlich in Deutschland Asyl. Das Grundgesetz wurde danach geändert. Die Zahlen der Asylbewerber sind nach dieser Grundgesetzänderung ziemlich drastisch nach unten gegangen, um seit einigen Jahren jetzt doch wieder anzusteigen. Überall stehen die Kommunen jetzt vor dem Problem, Unterkünfte bereitzustellen. Sofort bildet sich oft eine Bürgerinitiative vor Ort, um genau das zu verhindern. In München gibt es heute in der Staatskanzlei einen sogenannten Flüchtlingsgipfel mit den Kirchen, Wohlfahrtsverbänden, mit den Kommunen und dem gesamten bayerischen Kabinett.
    Nicht jeder kann in Deutschland mehr politisches Asyl beantragen, seitdem das Grundgesetz geändert worden ist. Wenn er aus einem, als sicher geltenden Herkunftsland kommt, kann er zwar noch einen Antrag stellen, aber der wird nur noch mit Hochgeschwindigkeit bearbeitet. Nicht zu diesen sicheren Ländern zählen noch Serbien, Bosnien und Mazedonien. Das soll sich diese Woche ändern durch eine Entscheidung des Bundesrates. – Erhard Busek war EU-Koordinator für Südosteuropa, wir kennen ihn auch noch als Vizekanzler von der ÖVP in Österreich, er leitet jetzt das Institut für den Donauraum und Mitteleuropa, im Moment ist er in Belgrad. Guten Tag, Herr Busek!
    Erhard Busek: Guten Tag, Herr Meurer.
    Meurer: Da Sie gerade auch in Serbien sind – Serbien steht in Deutschland auf Platz zwei der Flüchtlingsliste, hinter Syrien. Ist Serbien ein Land, das sicher ist, in dem niemand politisch verfolgt wird?
    Busek: Bislang nicht und ich hoffe, dass es so bleibt, wenngleich sich die Demokratiesituation nicht unbedingt gebessert hat. Aber Kategorien der fehlenden Sicherheit im Vergleich etwa zum Nahen Osten, da kann ich sagen, ist Serbien sehr sicher.
    Meurer: Mazedonien und Bosnien-Herzegowina, sind das sichere Herkunftsstaaten?
    Busek: Genauso! – Genauso! – Es sind Staaten, die intern vielleicht in ihrer Organisation nicht so richtig funktionieren, aber zum Flüchtlingsbegriff und zur Asylfrage sind das nicht Länder, wo man sagen muss, dass solche Gesichtspunkte notwendig sind, ihnen quasi die Sicherheit abzusprechen. Wir versuchen, irgendeine Bestimmung immer zu finden, die uns an sich die Verpflichtung, einem Menschenrecht nachzukommen, erspart.
    Meurer: Bei den Serben, die nach Deutschland kommen, reden wir da in der Hauptsache über Roma und Sinti?
    Busek: Nein! Ich sage Ihnen dramatisch: Wien ist inzwischen die zweitgrößte serbische Stadt, weil wir hier einen sehr starken Zuzug haben. Bitte nicht Roma. Roma und Sinti ist, wenn sie kommen, stärker aus Rumänien und Moldawien, möglicherweise noch weiter östlich.
    Meurer: Menschenrechtsorganisationen und die Grünen sagen, Sinti und Roma werden diskriminiert, beispielsweise doch in Serbien und Bosnien-Herzegowina.
    Busek: Natürlich ist dies eine Frage der Akzeptanz. Das ist außer Frage. Aber das ist an sich nichts Neues und hat mit der Flüchtlingsproblematik nichts zu tun, sondern überhaupt mit der Akzeptanz dieser Bevölkerungsgruppen.
    "Wir leben zum beachtlichen Teil von den Leuten, die vom Balkan zu uns gekommen sind"
    Meurer: Ist Diskriminierung kein Grund, um Asyl zu beantragen?
    Busek: Da müssten Sie quasi Maßzahlen für Diskriminierung erwähnen oder Gesichtspunkte. Das kann ein subjektives Gefühl sein, dass man sich diskriminiert fühlt, das muss aber deswegen noch lange nicht wahr sein. Und umgekehrt ist natürlich auch eine gewisse soziale Situation eine Diskriminierung, der man zu entkommen versucht. Das ist eine sehr weite Auffassung, die sich juristisch präzise gar nicht erfassen lässt.
    Meurer: Würden Sie sagen, vom Balkan muss heute überhaupt niemand mehr aus politischen Gründen nach Westeuropa fliehen?
    Busek: Aus meiner Sicht ja. Genauso ist es. Wir haben eine Stabilisierung im Balkan selber erreicht. Wir wollen uns einfach die Belastung ersparen, weil wir natürlich dringlichere Probleme – ich sage Ihnen das Stichwort Lampedusa und Ähnliches – sehen, die aus anderen Gebieten kommen. Jetzt versucht man, das entsprechend abzuschirmen. Aber man muss ja auch deutlich ins eigene Kontor sagen, wir leben ja auch zu einem beachtlichen Teil von den Leuten, die vom Balkan zu uns gekommen sind, und das sind de facto wichtige Arbeitskräfte für die verschiedensten Bereiche.
    Meurer: Inwiefern leben wir von diesen Leuten?
    Busek: Na ja. Wenn Sie in die Baubranche gehen, wenn Sie in den Tourismus gehen und so weiter, sind das wesentliche Beschäftigte, vom sozialen Bereich gar nicht zu reden, Altenfürsorge und dergleichen. Also bitte sehr! Wenn wir die nicht mehr wollen, wird es mit der Versorgung unserer älteren Mitbürger schwierig aussehen.
    Meurer: Sollten wir dann eher darüber reden, wie wir es Arbeitskräften, Menschen von Balkan-Staaten wie Serbien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und anderen ermöglichen können, dass sie in Westeuropa, in Deutschland oder auch in Österreich arbeiten können?
    Busek: Da haben Sie völlig Recht. Ich glaube, dass hier die Europäische Union in Diskussion mit den Mitgliedsstaaten eine große Aufgabe hätte, das zu ermöglichen, und da kann meines Erachtens auch die zivile Gesellschaft einiges dazu leisten, indem sie in der Öffentlichkeit darauf aufmerksam macht und Beiträge dazu leistet.
    Erhard Busek, Sonderkoordinator für den Balkan-Stabilitätspakt
    Erhard Busek, Sonderkoordinator für den Balkan-Stabilitätspakt (AP)
    Meurer: Wie könnte denn so ein Modell aussehen, dass mehr Arbeitskräfte vom Balkan kommen dürfen?
    Busek: Ich glaube, das festzustellen ist, wo Arbeitskräfte auch mangeln. Da gibt es ja durchaus Bereiche, wo Mangel ist, und das könnte man quasi ausschreiben und sagen, hier akzeptieren wir auf jeden Fall, vielleicht auch mit einem vereinfachten Verfahren.
    Meurer: Es gibt ja auch in Österreich ähnliche Diskussionen wie hier in Deutschland darüber, dass Menschen vom Balkan kommen, um hier Sozialhilfe zu beantragen. Was sind da Ihre Erfahrungen?
    Busek: Na ja, das wird mehr von Medien und bestimmten politischen Gruppen hochgepuscht. Es wurde das in Österreich genauer untersucht und die berühmte soziale Hängematte, die die angeblich benutzen, ist in dem Ausmaß überhaupt gar nicht nachweisbar. Selbstverständlich gibt es ein Problem, zum Beispiel in Richtung auch auf türkische Familien, wer da nachkommt, aber entweder akzeptiert man die Familie, dann muss man auch akzeptieren, dass Familienangehörige zu ihren Familienmitgliedern nachkommen.
    "Wr können nicht zwei Kategorien von Menschen schaffen"
    Meurer: Diejenigen, die Zuwanderung kritisch sehen, was sagen Sie dazu, wenn jemand beispielsweise drei Monate hier in der Landwirtschaft arbeitet, oder in Hotels und Gaststätten, dass er anschließend dann Sozialleistungen beantragen und bekommen kann?
    Busek: Eigentlich was quasi für Österreich oder Deutsche gilt, müsste für andere auch gelten. Wir können nicht zwei Kategorien von Menschen schaffen.
    Meurer: Also auch die hätten einen Anspruch darauf, auf Arbeitslosenhilfe oder ähnliche Leistungen?
    Busek: Wenn es unsere Gesetze sind und sie danach Anspruch haben, dann bin ich der Meinung, ja!
    Meurer: Aber Sie sagen, Sie sehen da keine Magnetwirkungen, dass die Leute wegen der Sozialleistungen kommen, sondern die wollen einfach arbeiten und einen Job hier haben?
    Busek:Ich glaube, das primäre Interesse der Menschen ist nicht, in einer Hängematte zu sein, sondern etwas zu tun. Quasi nichts zu tun, ist ja auch eine sehr unangenehme Situation, und ich glaube, das muss man nur in der Öffentlichkeit entsprechend darstellen und jene kritisieren, die versuchen, daraus primitives politisches Kapital zu schlagen.
    Meurer: Erhard Busek leitet das Institut für den Donauraum und Mitteleuropa. Er war EU-Koordinator für Südosteuropa und er plädiert dafür, dass der westeuropäische Arbeitsmarkt sich für Balkan-Arbeitnehmer weiter öffnen soll. Herr Busek, danke schön nach Belgrad und auf Wiederhören.
    Busek: Herzlichen Dank Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.