Durak: Sie haben die kurzen Meldungen zu dem Kanzler-Gespräch bekommen. Sind Sie denn zufrieden mit diesem Ausgang? Man hat ja sehr viel Hoffnung in die Gespräche gesetzt.
Vogel: Zunächst einmal war es ein längst überfälliger Fortschritt, dass die Wirtschaft nunmehr den fehlenden Betrag verbindlich zugesagt hat, offenbar mit Ausfallbürgschaft der Gründungsmitglieder der entsprechenden Stiftung. Das ist ein längst notwendiger Schritt gewesen. Man muss ja wissen, die amerikanische Richterin konnte überhaupt nur so entscheiden, weil die Wirtschaft ihre Zusagen nicht erfüllt hat und weil das ein Trauerspiel war, wie sich das über Monate hingezogen hat, weil ja jeden Monat Tausende von denen, die auf ein Zeichen mitmenschlicher Solidarität warten, sterben. Jetzt bin ich auch ein bisschen enttäuscht, denn niemand hat der Wirtschaft zusagen können, dass in Amerika keine Klagen mehr erhoben werden. Es sollten die drei großen Sammelklagen gegen die Bereiche Unternehmen, Versicherungen und Banken erledigt sein. Für Unternehmen und Versicherungen ist das schon geschehen, und für Banken wird die Richtung nun, nachdem das was sie beanstandet hat und korrigiert wissen wollte korrigiert worden ist, auch die Sammelklage sehr bald abweisen. Dann muss der Bundestag seine Feststellung treffen, denn niemand hat der Wirtschaft zugesagt, dass in Amerika oder sonst auf der Welt niemand mehr klagt. Das geht ja gar nicht!
Durak: Herr Vogel, ich habe den Eindruck da dreht sich alles im Kreis, weil das hatte die Wirtschaft ja vorher immer noch gefordert. Es fehlt im Grunde von der Wirtschaft die eindeutige Zusage, sich mit diesem Zustand der Rechtssicherheit zufrieden zu geben und endlich auszuzahlen.
Vogel: Das ist mir wirklich unverständlich, denn schon als die internationale Vereinbarung zu Stande kam ist ja erläutert worden und war ja klar, dass die amerikanische Regierung nicht mehr tun kann als ein sogenanntes statement of interest abgeben, das heißt den Gerichten, bei denen eine solche Klage anhängig ist, zu schreiben, es läge im Interesse der Vereinigten Staaten, und zwar vor allem im außenpolitischen Interesse, dass die Klagen mit der Begründung abgewiesen werden, dass es ja diesen 10-Milliarden-Fonds gäbe und aus diesem Fonds Zahlungen mit Sicherheit geleistet werden. Mehr konnte doch die amerikanische Regierung gar nicht zusagen. Sie konnte doch nicht das Klagen verbieten. Insofern kann ich das alles nicht nachvollziehen. Ich muss noch einmal mit ganz großer Eindringlichkeit sagen: Sehen denn die Leute, die mit solchen Argumenten auch gegenüber dem Bundeskanzler operieren, nicht, dass Tag für Tag Menschen, und zwar in großer Zahl, sterben, die nun schon sehr alt sind und die ja keine Entschädigung zu erwarten haben, aber doch ein Zeichen, dass sie nicht vergessen sind, dass man ihnen mitmenschliche Solidarität erweist? Das bedrückt mich, dass die nicht sagen, nun ist ein Ende, nun wird endlich das Notwendige getan, und wenn wirklich noch Klagen kommen, denen werden wir schon Herr werden. Das wäre eine Haltung, die ich mir sehr wünschen würde.
Durak: Die Wirtschaft, Herr Vogel, sie erwartet Rechtsfrieden als Gegenleistung für die Zahlung. Hat sie tatsächlich einen moralischen Anspruch darauf?
Vogel: Darüber kann man sehr streiten, aber bitte: es ist nun einmal so. Ich kann ja auch verstehen, dass Unternehmen kalkulieren wollen. Ich bin insofern in einer etwas schwierigen Lage, als ich ja auch sehen muss. Die einen haben gezahlt. Die wollen jetzt wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit haben, dass sie nicht noch verklagt werden. Die anderen haben ja gar nichts gemacht. Die übergroße Mehrheit der Wirtschaft hat ja gar nichts getan. Insofern habe ich einen Teil Sympathie für die, die gezahlt haben. Ich kann aber immer wieder nur sagen: hört mit diesen Argumenten auf. Helft den Menschen. Stellt euch mal vor, unter welchen jämmerlichen Verhältnissen die zum großen Teil leben. Das sind doch nicht Leute, die in Amerika sitzen. An die 80 Prozent sind Menschen, die in Weißrussland, in der Ukraine, in Russland selber unter Lebensbedingungen existieren, die man sich vielleicht auf den Vorstandsetagen gar nicht vorstellen kann.
Durak: Und denen würden wenige hundert Mark als erstes erst einmal helfen. Ist es nicht eine Schande, dass das so lange dauert?
Vogel: Ja, Sie wählen das richtige Wort. Noch etwas ist so betrüblich. Es hat unserem Volk wohl angestanden, dass es im Bundestag eine fast einstimmige Entscheidung gab zugunsten der Regelung. Dass dann die internationale Vereinbarung zu Stande kam, dass auch entgegen mancher Befürchtungen von den sogenannten Stammtischen nicht ein Aufstand kam, das ist ja nicht so schlecht. Nun wird das alles überlagert durch dieses kleinliche Geziehe, als wenn es sich um irgendeinen beliebigen wirtschaftlichen Vorgang handeln würde, Streit zwischen zwei Unternehmen oder so etwas. Man sollte doch jetzt endlich diesen menschlichen Aspekt der Sache in den Vordergrund rücken. Es ist höchste Zeit!
Durak: Herr Vogel, Sie haben durch die Tätigkeit Ihres Vereins, aber auch durch viele andere Möglichkeiten Kontakt zu den Opfern, zu vielen Opfern und Hinterbliebenen, zu Überlebenden. Was wird Ihnen da gesagt, wenn es um das Deutschland-Bild dieser Menschen geht?
Vogel: Zunächst einmal war bei diesen Menschen wirklich Überraschung und Freude festzustellen, dass man sich an sie erinnert und dass ein Volk nun 60 Jahre später, Menschen die bei uns damals in ihrer übergroßen Zahl noch gar nicht gelebt haben, sich zu so etwas entscheidet. Das hat Freude ausgelöst und Hoffnung. Aber nun sinkt das wieder und da und dort sind die Menschen geradezu verzweifelt. Das kann doch bei uns jeder nachvollziehen, der sich auf etwas gefreut hat, sich eine Hoffnung machen konnte, und nun sieht er die Hoffnung so schwinden und durch immer neue Auseinandersetzungen immer weiter hinausgeschoben, was er schon vor der Tür zu haben glaubte. Das ist doch auch alles menschlich ein Sachverhalt, den man - ich kann es nur immer wiederholen - zur Kenntnis nehmen soll.
Durak: Wir haben diesen Stand. Es ist wie es ist in diesem Augenblick, Herr Vogel. Was sollte also die Bundesregierung noch tun, um diesen quälenden Prozess endlich zu beenden?
Vogel: Der Bundeskanzler hat sich ja sehr bemüht. Jetzt liegt die Sache beim Deutschen Bundestag. Nach dem Gesetz, das verabschiedet worden ist, trifft der Deutsche Bundestag, wenn er zu dieser Erkenntnis gekommen ist, die Feststellung, dass das mögliche Maß an Rechtssicherheit gegeben ist. Wenn nun hoffentlich sehr bald die amerikanische Richterin das abweist und das Verfahren beendet, das bei ihr gegen die Banken insgesamt anhängig ist, dann soll der Bundestag seine Feststellung so bald wie möglich treffen. Wenn die Richterin rasch entscheidet, vielleicht sogar noch vor Ostern, dann kann die erste Rate ausbezahlt werden. Der Bundestag muss also nun entscheiden!
Durak: Herzlichen Dank, Hans-Jochen Vogel, Gründungsmitglied und Ehrenvorsitzender des Vereins "Gegen Vergessen - für Demokratie".
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