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Zwangssystem mit einer zweiten Realität

Die Medienmaschinerie kennt keine Pause. Ohne Unterlass wird berichtet von der Welt. Immerzu erzeugen die Massenmedien ein Bild der Realität und wandeln diese durch deren Abbildung in eine mediale Realität um. Und der Mediennutzer muss das schlucken ohne eine Chance, aus diesem Medien-Gefängnis zu entfliehen. Der Medienwissenschaftler Matthias Eckoldt hat sich die Macht der Massenmedien angeschaut.

Von Thomas Kleinspehn | 02.04.2008
    "Es gibt die schöne Formulierung, dass wir wenig erfahren, das aber rund um die Uhr. Man sieht es ja auch, es wird nie so sein, dass Jan Hofer seine Blätter bei der Tagesschau zusammenrafft und schon 20.10 Uhr sagt, heute ist nichts weiter passiert."

    Mit diesem schlagenden Beispiel macht der Kommunikationswissenschaftler Matthias Eckoldt die Zwänge der Medien deutlich, immer zu senden, egal was in der Realität passiert. Wie Medien ihre eigene Wirklichkeit produzieren, sich verselbständigen und damit Zuhörer, Zuschauer und Leser in ein System einbinden, aus dem sie sich kaum lösen können: darum geht es in Eckoldt neuem Buch "Medien der Macht - Macht der Medien". Medien wird zwar implizit misstraut. Stets ist ein Verdacht von Manipulation im Raum. Aber selbst Menschen, die stolz darauf sind, ihren Fernseher abgeschafft zu haben, werden dennoch von Medieninformationen eingeholt.

    "Unsere Tage, die Tagesrhythmen werden maßgeblich bestimmt und rhythmisiert, so dass man da schon sehen kann wie das System der Massenmedien quasi diese ursprünglich angeschaute Realität, die wir ja vor Augen haben, unsere sinnlich wahrnehmbare Realität zerstückelt, zerklüftet und neu organisiert."

    Um die Macht der Medien zu beschreiben, braucht Eckoldt zwei Theorieansätze: Niklas Luhmanns Systemtheorie und die Machttheorie von Michel Foucault. Sie stehen im Mittelpunkt des Buches. So muss man sich als Leser zunächst durch einen langen theoretischen Teil hindurchkämpfen, den man als Umweg ansehen kann oder auch als exzellente Einführung in Luhmanns Medientheorie. Dem Medienwissenschaftler Eckoldt öffnet sie den Blick für die Strukturen der Massenmedien.

    "Die Systemtheorie ist eine Beobachtertheorie und sie liefert einem zugleich auch eine zentrale Differenz, mit der Systeme arbeiten und getreu einer schönen Formulierung eines Theoretikers namens Spencer Brown, der sagte, "mach eine Unterscheidung und eine Welt entsteht", kann man durch die Systemtheorie beobachten, wie die zentrale Unterscheidung, die die Massenmedien machen, nämlich aktuell, nicht aktuell, eine ganze Welt entsteht, die im Endeffekt nur wenig mit unserer unmittelbar angeschauten Realität zu tun hat."

    Diese Strukturen begreifbar zu machen, kann die Systemtheorie Luhmanns dienen, obwohl Eckoldt selbst sie in einem ganz entscheidenden Punkt kritisiert. Denn pointiert benennt er Luhmanns Schwäche. Der Bielefelder Soziologe hat zwar einen scharfen Blick für Systeme gehabt, was diese letztlich aber mit Menschen machen, das hat ihn nur wenig beschäftigt. Eine umfassende Medientheorie, wie sie der Berliner Medientheoretiker anstrebt, müsste sich aber auch fragen, wie Menschen Medien wahrnehmen. Hier greift Eckoldt sehr erfolgreich auf seinen zweiten Theoriebaustein zurück: Michel Foucaults Analyse der Machtstrukturen. In dieser Theorie wird "Macht" nicht mehr nur als direkte Abhängigkeit von Herrscher und Beherrschtem betrachtet, sondern als Struktur. Das ist mit Luhmanns Systembegriff insofern kompatibel, als Foucault Machtstrukturen allumfassend versteht. So hat der französische Theoretiker beispielsweise den Wandel des Gefängnisses beschrieben. Es löst das System direkter Strafe ab und ersetzt es durch umfassende Kontrolle der Gefangenen in Gefängnissen, die seit dem 17. Jahrhundert von einem Mittelpunkt jeweils einsehbar sind. Analog zum Panoptikum im Gefängnis begreift Eckoldt auch die Medien als geschlossenes System mit ganz eigenen Bezügen.

    "Das ist sozusagen unser Problem als Mediennutzer. Unser Gefängnis besteht darin, dass die Massenmedien eine zweite mediale Realität darstellen und wir aus dieser Realität nicht mehr entkommen. Wir müssen in Kommunikation immer darauf Bezug nehmen, so dass das Perfide bei der Sache ist, dass während zu Zeiten des einfachen Gefängnisses man gewissermaßen da noch rein oder raus kommen konnte, wir nun aber im Zeitalter des Systems der Massenmedien, da eigentlich keine Chance mehr haben, hinter diese Welt der Massenmedien zurück oder vor die Welt der Massenmedien zu kommen. Und diese Welt der Massenmedien ist aber keine - das wäre eine der Grundthesen meines Buches - friedliche Informationsanstalt, sondern diese Welt der Massenmedien ist eine die den einzelnen individualisiert, die ihn zwangs-individualisiert, die ihn mit Orientierungserwartungen umgibt, die sozusagen sagt, was aktuell ist, was nicht aktuell ist, woran man sich in Kommunikation und im Verhalten zu orientieren hat."

    In dieser Perspektive besteht die Macht der Massenmedien nicht in unmittelbarer Unterdrückung, sondern in der Errichtung eines Zwangssystems mit einer zweiten Realität, aus der wir nicht herauskommen. Dieses System, das Eckoldt "postpanoptisches Dispositiv" nennt, erscheint total. Gibt es in den Gefängnissen, die Foucault untersucht hat, immerhin noch die Chance, dass die Gefangenen gelegentlich auch nicht beobachtet werden, so verlagert sich das in einer von Massenmedien geprägten Gesellschaft auf die Ebene der Selbstbeobachtung und Selbstkontrolle. Eine Tendenz, die sich in den letzten 150 Jahren noch zugespitzt hat, aber zu Gutenbergs Zeiten durchaus schon erkennbar war.

    " Dieser Prozess war immer schon da, der hat natürlich mit den Mitteln der modernen Medien rasant zugenommen. Es ist in jedem Fall eine Verschärfung, die wir beobachten können, in den medialen Zusammenhängen, in den Schließungen der massenmedialen Zusammenhänge. Allerdings geht damit jetzt auch der Abbau der hierarchischen Strukturen in den Regierungsformen Hand in Hand. Es gibt ja jetzt auch, wie es noch zu den Zeiten des Kalten Krieges und der Blöcke gab, zunehmend weniger nicht hierarchische Gesellschaften und diese nicht-hierarchischen Gesellschaften werden maßgeblich durch die Massenmedien konditioniert, verwaltet und maßgeblich die Massenmedien üben in diesen Gesellschaften Macht aus."

    Man mag daran zweifeln, ob eine solche Totalität geschlossener Systeme nicht ein zu düsteres Bild darstellt. Und sich fragen, ob es nicht durchaus auch Nischen im Internet oder in alternativen Medien gibt, in denen Menschen aus dem Gesamtzusammenhang teilweise entfliehen können. Als theoretische Beschreibung einer Entwicklungstendenz ist jedoch zumindest der zweite Teil von Eckoldts Buch sehr aufschlussreich, geht er doch weit über eine mechanistische Manipulationstheorie hinaus. Nach diesem theoretischen Entwurf und besonders der Synthese von Luhmanns Medientheorie und der Machttheorie von Foucault wünscht man sich allerdings dringend eine ähnlich differenzierte konkrete Analyse real existierender Medienmacht. Beides zusammen könnte dann der dahindümpelnden Medienwissenschaft wieder etwas auf die Beine helfen.

    Matthias Eckoldt: Medien der Macht - Macht der Medien, Kadmos Verlag, Berlin 2007
    Preis: Euro 19,90