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Zwarte Pieten
Rassismus oder Tradition in den Niederlanden?

Immer wenn es auf das Nikolausfest zugeht, wird in den Niederlanden die Debatte um die Zwarte Pieten neu entfacht, die dunkelhäutigen Begleiter vom Nikolaus. Tradition oder Rassismus? 86 Prozent aller Niederländer finden, das habe nichts mit Rassismus zu tun - aber das Bollwerk der Nikolaustraditionalisten hat Risse bekommen.

Von Kerstin Schweighöfer | 11.11.2016
    Eine Frau in Groningen verkleidet als Zwarte Piet.
    Eine Frau in Groningen verkleidet als Zwarte Piet. (AFP / ANP / Remko de Waal )
    Am Samstag ist es wieder soweit: Der Nikolaus trifft in den Niederlanden ein, und zwar, wie es sich für eine alte Seefahrernation gehört, per Dampfschiff rheinabwärts aus dem fernen Spanien. Das Nikolausfest ist den Niederländern wichtiger als der Heilige Abend. Deshalb hat Sinterklaas, wie er hier heißt, soviel zu tun, dass er Wochen vor seinem Geburtstag anrücken muss. Dieses Jahr legt er mit seinem Schiff in Maassluis an, rund 15 Kilometer westlich von Rotterdam. Die Ankunft ist ein nationales Happening und wird live im Fernsehen übertragen.
    Nicht nur Millionen Kinder sitzen gebannt vor den Bildschirmen. In den vergangenen Jahren auch unzählige Erwachsene. Sie sind vor allem an einem interessiert: Wie sehen die so genannten Zwarte Pieten aus, die Begleiter von Sinterklaas?
    Rassistische Überbleibsel aus der Kolonialzeit?
    Denn diese Zwarte Pieten sind als rassistisches Überbleibsel aus der Sklavenzeit in Verruf geraten: Traditionell tragen sie bunte Pluderhosen und goldene Ohrringe, haben einen schwarzen Krauskopf und dicken Lippen. Ungefähr so wie in Deutschland der Sarotti-Mohr.
    Dennoch wollen die meisten Niederländer weder an dieser Tradition rütteln, noch an ihrem Selbstbild einer toleranten Nation, der jeglicher Rassismus fremd ist. Deshalb verläuft die Debatte auch so außergewöhnlich heftig und aggressiv, sagt die Amsterdamer Anthropologie-Professorin Gloria Wekker:
    "Unser Selbstbild steht auf dem Spiel. Ganz, ganz tief drinnen wissen die Menschen, dass da etwas nicht stimmt. Wir sind nicht die weiße Unschuld. Aber wenn wir das zugeben, sind wir schuldig. Und das wollen wir nicht sein."
    "Ich habe diesen rassistischen Schlamm so satt"
    Bestes Beispiel: der shitstorm, dem Sylvana Simons ausgesetzt war, eine beliebte TV-Moderatorin, in Surinam geboren und in den Niederlanden aufgewachsen. Der Zwarte Piet, so hatte sie gefordert, müsse abgeschafft werden. Worauf ihre Gegner drohten, sie mit dem Bananenboot nach Surinam zurückzuschicken - vor allem weiße Männer, Wähler von Geert Wilders.
    Simons hat sich daraufhin der umstrittenen neuen Migrantenpartei DENK angeschlossen. DENK will Rassismus bekämpfen und sieht sich als Gegenbewegung zu den Rechtspopulisten.
    Es sei Zeit, die Debatte über Rassismus endlich auch in der Politik zu führen und das Problem zu erkennen, so Simons: "Ich habe ihn so satt, diesen rassistischen Schlamm, der täglich über mir ausgekippt wird. Und viele andere mit mir."
    Inzwischen hat das Bollwerk der Nikolaustraditionalisten Risse bekommen. Immer häufiger tauchen bunte Pieten im Straßenbild auf. Oder so genannte Russ-Pieten, die durch den Schornstein gerutscht sind.
    Demonstrationen geplant
    Noch nicht Stellung bezogen hat das Sinterklaasjournaal, die Nikolaus-Tagesschau im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, höchste Instanz in Sachen Nikolausfest. Dafür aber, zu großen Überraschung aller, ein kommerzieller Sender: Anfang November machte RTL bekannt, ab sofort keine schwarzen Pieten mehr zu zeigen. Prompt konterte das Massenblatt Telegraaf in großen schwarzen Lettern: "Wir glauben an den Zwarte Piet!" Der Fraktionsvorsitzende Halbe Zijlstra von der rechtsliberalen Regierungspartei von Premier Rutte klagte gar, nun werde das Nikolausfest, so wörtlich, "ermordet". Dadurch aber ist er selbst ins Kreuzfeuer der Kritik geraten: Es sei Zeit für Veränderungen, rügte der sozialdemokratische Arbeitsminister Lodewijk Asscher und lobte den Entschluss von RTL:
    "Ich gehörte früher auch jener Mehrheit an, die diese Diskussion als lächerlich betrachtet. Aber dann begann ich umzudenken. In einer Demokratie geht es immer auch darum, als Mehrheit auf eine Minderheit Rücksicht zu nehmen."
    Gelöst ist der Fall damit noch nicht, im Gegenteil: Beim Eintreffen des Nikolausschiffes am Samstag werden extra Polizisten im Einsatz sein. Gegner und Befürworter vom Zwarte Piet wollen demonstrieren, darunter auch niederländische Rechtsextremisten.