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Zwei Leben des Knabe Verlags
Überleben in der Nische

Der Gebrüder Knabe Verlag war bis zu seiner Schließung 1983 einer der wenigen Privatverlage der DDR, Bücher seiner Reihe "Knabes Jugendbücherei" waren beliebte Schmöker. Vor zwölf Jahren hat Steffen Knabe, einer der Gründer-Enkel, den Neustart gewagt - bis heute ein Spagat zwischen Ostalgie und Zukunft.

Von Nils Kahlefendt | 16.02.2019
    Drei Kinderbücher aus dem Knabe Verlag
    Neues, Aktuelles und der Dauerbrenner aus dem Knabe Verlag (Knabe Verlag)
    "Also, so was hätte mein Vater nie verschenkt oder angeschafft. Deswegen hatten wir so was nicht. Wir hatten auch keine Mecki-Bücher."
    Jens Kirsten, Sohn des Schriftstellers Wulf Kirsten und seit 12 Jahren Geschäftsführer des Thüringer Literaturrats, hat in seinem Büro einen Querschnitt durch die Produktion des Weimarer Gebrüder Knabe Verlags aufgebaut. Das Papp-Bilderbuch mit farbigen Zeichnungen von Kindern und Tieren hat mehr als 70 Jahre auf dem Buckel. Wann ist es erschienen?
    "Das müsste hier irgendwo stehen... Da gab’s ja immer ne Lizenznummer… 18. 12. 45. ‚Genehmigt von der SMA’. Also, ist vielleicht erst 46 erschienen... Wenn die das genehmigt haben, am 18. 12., haben die vermutlich erst im Januar gedruckt."
    Schmöker-Ware
    Der promovierte Literaturwissenschaftler Kirsten kennt sich nicht nur mit den Volten der Verlagsgeschichte aus. Sein bescheidenes Büro befindet sich in einer nach Entwürfen von Henry van de Velde erbauten, schmutzig-gelb getünchten Villa, die 1945 Sitz der Sowjetischen Kommandantur wurde. Von 1968 bis zum Ende der DDR war hier die Kreisverwaltung der Staatssicherheit untergebracht. Mit der Geschichte des Knabe Verlags beschäftigte sich Kirsten nicht nur qua Amt, sondern aus einer Passion heraus, die uns im Osten der 60er-Jahre Geborenen eint: Die in Halbleinen gebundenen, schwarz-weiß illustrierten und weitgehend ideologiefreien Bücher aus der Reihe "Knabes Jugendbücherei" waren zu DDR-Zeiten beliebte Schmöker – und mit zwei, drei Mark obendrein günstig.
    Auch in meinem Bücherregal stand Wolfgang Helds Radfahrer-Roman "Mücke und sein großes Rennen" neben Hans-Joachim Malbergs "Rebell auf der Karlsschule" über den jungen Friedrich Schiller. Mit der Sammel-Leidenschaft der Gebrüder Kirsten allerdings konnte ich nicht mithalten; zudem hatten die beiden den unschlagbaren Vorteil, am Verlagsort Weimar zu wohnen.
    "Ich stand einmal mit ihm in dem Verlag im Lutherhof, da war ich vielleicht elf, zwölf. Es war der Wolfgang Knabe und der Cheflektor Hans Joachim Malberg, die uns da empfangen haben. Und wir hatten natürlich die Intention, noch irgend so’n Buchgeschenk zu bekommen, oder vielleicht dort eins kaufen zu können. Wir haben in unserer Kindheit 150 vielleicht von 300, die die etwa gemacht haben, zusammengetragen. Ich muss dazu sagen: Wir hatten keinen Fernseher zu Hause und haben jeden Abend gelesen. Und da ging natürlich irgendwie auch der Lesestoff ab und an zur Neige."
    Stramme Mitläufer
    Gegründet wurde der Verlag 1932 von den Brüdern Gerhard und Wolfgang Knabe. Wolfgang, der Ältere, ging als Gau-Obmann der Gruppe Buchhandel der Reichsschrifttumskammer Thüringen auf Nummer sicher, und auch sein späterer Cheflektor und Autor Hans-Joachim Malberg stand als führender Kopf des ‚Kampfbunds für deutsche Kultur’ nicht im Ruf, ein glühender Antifaschist zu sein. Was ihn, Jahrzehnte später, nicht hinderte, sich vom stellvertretenden Kulturminister der DDR für seine ‚Arbeit am Sozialismus’ auszeichnen zu lassen.
    "Stramme Mitläufer trifft das vermutlich am besten. Die waren sicher keine Chef-Ideologen. Auf der einen Seite, was das verlegerische Profil anbelangt, war ja der Verlag am Anfang aus einer Druckerei hervorgegangen. So was wie eine Akzidenzdruckerei. Druckerei und Verlagsanstalt hießen ja viele Verlage. Und die haben einfach gedruckt, was opportun war, also, was ihnen angeboten wurde, womit sie Geld verdienen konnten."
    Von der "Deutschen Jugendbücherei" zu "Knabes Jugendbücherei"
    Die Existenz funktionierender Maschinen dürfte ein Grund dafür gewesen sein, dass die Gebrüder Knabe schon bald nach Kriegsende eine Verlags-Lizenz der Sowjetischen Militäradministration erhielten. Zum anderen setzte man mit Bilderbuch-Titeln wie "Am Bach und Wiesenrand" oder "In Wald und Feld" auf unverfängliche Tier-Geschichten. 1947 wurde auf der Suche nach einem ausbaufähigen Reihenkonzept die "Deutsche Jugendbücherei" aus der Taufe gehoben; als Herausgeber verpflichtete man keinen Geringeren als Joseph Caspar Witsch, damals Chef der Thüringischen Landesstelle für Buch- und Bibliothekswesen.
    Wenig später war der Verleger in spé in den Westen getürmt und das Wort ‚Deutsch’ in der DDR zum Unwort geworden: Aus der "Deutschen Jugendbücherei", die es auf gerade einmal zehn Titel brachte, wurde ‚Knabes Jugendbücherei’. Die Fokussierung auf historische Abenteuererzählungen, biografische Romane über große Forscher und Entdecker und Abenteuerbücher, in denen Kinder die Protagonisten waren, sicherte dem Gebrüder Knabe Verlag 1953 eine Lizenz des Amts für Literatur, der späteren Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel.
    "Das war eine sehr klug gewählte Nische. Und sie haben dann versucht, innerhalb dieser Nische möglichst viele Fächer auszubauen: Also, sie haben auf populärwissenschaftliche Literatur gesetzt, weil sie nicht so viele ‚ideologische’ Bücher, sprich Bücher über das Leben der 'Jungen Pioniere' machen wollten. Und das hat die Kinder - und mich als Kind auch - begeistert. Und das war also eine Sache, wo man der Zensur letztlich auch immer sage konnte: Seht her, wir machen Bücher, die progressiv sind, wir vermitteln ein positives Weltbild, und so weiter. Und wir vermitteln Wissen an die Kinder. Offensichtlich waren die ganz geschickt mit der Auswahl ihrer Titel. Also, dass das zwischen ‚unverfänglich’ und ‚Na ja, wir lassen es so durchgehen’ funktioniert hat. Dann waren die in Weimar natürlich ein ganzes Stück ab vom Schuss - die saßen nicht in Berlin. Die saßen nicht in Leipzig. Das mag da auch eine Rolle gespielt haben."
    Besuch beim Buchminister
    In den Achtzigern galt der Knabe Verlag den offiziellen Stellen eher als bürgerliches Residuum mit langsam Staub ansetzender Produktion. Die ästhetisch anspruchsvolleren, aufregenderen Kinder- und Jugendbücher, für die die erste Riege der DDR-Autoren in die Tasten griff, erschienen anderswo. Ungewöhnlich genug, dass Knabe, trotz Schwierigkeiten bei der Papierzuteilung, als Privatverlag überleben konnte – zu einer Zeit, da etwa der Alfred Holz Verlag längst vom Ostberliner Kinderbuchverlag geschluckt, der Altberliner Verlag Lucie Groszer verstaatlicht worden war.
    Gönnte sich das selbsternannte ‚Leseland’ hier ein harmloses Aushängeschild, mit dem es Offenheit demonstrieren konnte? Mit dem Tod Wolfgang Knabes 1983 ist das vorläufige Ende des Weimarer Verlags jedoch vorgezeichnet. Der Knabe-Autor Wolfgang Held interveniert sogar bei DDR-Buchminister Höpcke, um einen neuen privaten Verleger zu finden.
    "Und Klaus Höpcke hat gesagt: Gut, wenn du einen findest, dann können wir das so machen. Beziehungsweise gab’s auch Überlegungen, den zu verstaatlichen. Aber eigentlich lag dem Wolfgang Held dran, den so in der Form zu übernehmen und weiterzuführen. Und es fand sich keiner!"
    Schließlich übernahm der Postreiter Verlag 1984 einige wenige Autoren und führte die Reihe als ‚Kleine Jugendbücherei’ in spartanischer Ausstattung weiter. Das Knabe-Verlagsarchiv wanderte in den Müllcontainer. Das allein wäre als schlimmer Verlust zu buchen. Hier aber war – aus Ignoranz oder schlichtem Desinteresse - ein Schatz verspielt worden. Denn die Aufforderung, die sich am Ende jedes Bands von ‚Knabes Jugendbücherei’ fand, haben Tausende Kinder sehr ernst genommen:
    "Lieber junger Leser! Wenn Du dieses Buch gelesen hast, so schreibe uns bitte, was Dir an ihm besonders gefallen hat. Aber auch für kritische Meinungen sind wir – Schriftsteller, Künstler und Verlag – dankbar."
    Neustart nach einem Vierteljahrhundert
    Gleich hinterm Herderbrunnen, mitten im alten Weimar also, empfängt mich auf der Schwelle eines Hauses aus dem 18. Jahrhundert Steffen Knabe.
    Steffen Knabe, ein Enkel von Gerhard Knabe, gilt als Hansdampf-in-allen-Gassen, ein Mann, der schon mal mit Hut auf dem Hoverboard durch Weimar braust. 2006 hat der studierte Medientechniker den Knabe Verlag wiedergegründet. 2015 übernahm er mit seiner Frau die Buchhandlung ‚Die Eule’, nur einen Steinwurf vom Goethe-Haus am Frauenplan entfernt. Kurz darauf wurde das Haus am Herderplatz zum Verlagsdomizil. Steffen Knabe bittet in sein Büro im Erdgeschoss. Ein Schreibtisch aus Uropas Zeiten, zum Bersten volle Bücherregale, Polstersessel zum Versinken. Jede Menge Verlags-Memorabilien. Was, bitte, hat Knabe jr. dazu gebracht, sich in die Vergangenheit zu beamen?
    "Ich kam eigentlich eher aus den neuen Medien. Und hatte ursprünglich die Idee, die ‚Knabes Jugendbücherei’ wiederzubeleben - aber als reinen Hörbuchverlag. Das war die Grundidee. Wo ich aber sehr schnell gemerkt habe: Das wird nicht funktionieren. Weil - was ich jetzt mittlerweile selber als Buchhändler, zu dem ich ja auch geworden bin, mitbekommen habe: Die Käufer sind natürlich nicht die Jugendlichen, oder die Kinder, sondern die Eltern und Großeltern. Und die Großeltern, die wollen ihren Kindern, ihrem Nachwuchs, nicht die Bücher, die sie aus ihrer Kindheit kennen, als Hörbücher schenken. Sondern die wollen das Medium benutzen, um ihre Kinder zum Lesen zu bewegen."
    Bibliophile Schätzchen
    Wenn Buch, dann richtig, dachte sich der Seiteneinsteiger Steffen Knabe, als er mit den Reprints ausgewählter Titel begann, so etwa Hans-Joachim Malbergs Nußknackermärchen ‚Knurks hat doch ein Herz’, illustriert von Hans Wiegandt - zu DDR-Zeiten eine Viertelmillion Mal verkauft. Zum gewohnten Halbleinen-Einband und dem Verzicht auf Folien-Kaschierung kam nun farbiges Vorsatzpapier und eine exzellente neue Typografie.
    "Und diese kleinen Sachen, die waren mir extrem wichtig, die wieder rauszukehren. Mir war sofort klar: Wenn ich den Verlag wieder gründe, dann werde ich kein riesengroßer Verlag, kann also nicht auf die Masse zählen. Sondern ich muss mich als Nischenverlag mit was Besonderem etablieren. Und da ist Weimar natürlich auch ein ganz guter Platz."
    In den letzten Jahren setzt Knabe bei seinen Reprints zunehmend auf günstigere Soft-Cover. Zwar werden die Bände zu Erfindern wie Carl Benz oder Ottmar Mergenthaler mit neuen Vor- oder Nachworten ausgestattet – aber ein wenig wirken sie wie Spielzeug-Dampfmaschinen aus dem Manufactum-Katalog. Ob sie jenseits nostalgisch gestimmter Eltern und Großeltern noch junge Leser erreichen, scheint doch fraglich.
    Rechtzeitig zum Bauhaus-Jubiläum ist dem Verlag mit "Das bunte Spielzeugdorf", dessen Original 1946 erschien, immerhin ein Wurf gelungen: In noch halb zerstörten Arbeitsräumen der Weimarer Hochschule für Baukunst und bildende Künste, der heutigen Bauhaus Universität, schufen Host Michel und seine Studenten farbenfrohe Figuren, die einfachen Holzspielzeugen nachempfunden sind. Fröbel, Goethe und De Stijl lassen grüßen – ein großer Spaß! Doch solche Wiederentdeckungen allein sind Steffen Knabe nicht genug:
    "Ich wollte ja aber von vornherein auch verlegerisch tätig sein. Also, ich wollte nicht einfach nur ein Reprint-Verlag sein, der einfach nur die alten Rechte verwertet und gar nicht kreativ groß tätig ist. Das war ja nie mein Ansinnen. Ich wollte schon auch als Verlag mir wieder einen Namen machen."
    Perlen und Durchschnitt
    2014 erschien mit Reinhard Griebners "Mauerspechten" die erste Neuerscheinung der ‚Jugendbücherei’ nach 30 Jahren – eine solide erzählte Geschichte um eine Schülerbande aus dem frisch wiedervereinten Berlin, der man, nicht zuletzt wegen der tollen Ausstattung des Buchs, auch zum 30. Mauerfall-Jubiläum viele Leser wünscht. In der Reihe ‚Knabes Nachwuchsautoren’ haben sich vor allem die märchenhaften Bilderbücher um das Drachenkind Emil zu Verkaufsschlagern entwickelt.
    Vielleicht ist es die Crux eines Tausendsassas wie Knabe, dass er sich für zu viele Projekte begeistert? Unterm Verlags-Signet von Hummel und Knabenkraut gibt es inzwischen – ohne Gewähr auf Vollständigkeit – auch eine Fantasy-Serie, Malbücher, Notizhefte im Retro-Look und eine rasant wachsende Jugend-Sachbuchreihe, in der ein emeritierter und zweifellos verdienter Spitzenforscher in die Geheimnisse der Bionik einweiht. Alles selbst geschrieben und gezeichnet, eben ist Band 12 fertig geworden. Und dann hat Steffen Knabe da noch etwas im Köcher. Möge ihn bitte keiner für rückwärtsgewandt halten!
    "Ich liebe aber den Gegensatz! Und deswegen werde ich dieses Jahr versuchen, viele digitale Sachen mit in unsere Bücher einzubeziehen. Also, wir werden unsere Kinderbücher beleben durch virtuelle Realität. Unser ‚Emil’ wird dieses Jahr quasi aus den Büchern über eine App zum Leben erweckt."
    Ein Drachen in 3-D und Zwergenhochzeiten im Reprint, eine irre Bauhaus-Wiederentdeckung und Bücher, die in unterschiedlichsten Facetten DDR-Alltag beschreiben. Einige Perlen und leider auch viel Durchschnitt – die Zukunft wird zeigen, wohin sich der Knabe Verlag entwickelt.
    Dass er sich überhaupt entwickeln kann, dass er wieder existiert, ist vielleicht schon die Pointe dieser Geschichte. Am Ende jedes Emil-Bands findet sich jedenfalls, inzwischen ordentlich gegendert, die bekannte Aufforderung:
    "Liebe Leserin, lieber Leser ... "
    Vielleicht bekommt der Knabe Verlag in Weimar gerade jetzt ein paar Briefe.
    Jens Kirsten: "Wurzelprinzessinnen, Detektive und eine Jugendbücherei voller Abenteuer. Die Geschichte des Gebrüder Knabe Verlages"
    168 Seiten, 20 Euro
    Hans-Joachim Malberg: "Knurks hat doch ein Herz. Ein Nussknackermärchen aus Thüringen"
    Illustriert von Hans Wiegandt
    80 Seiten, 15 Euro
    Horst Michel: "Das bunte Spielzeugdorf"
    20 Seiten, 14 Euro
    Wolfgang Held: "Mücke und sein großes Rennen"
    128 Seiten, 9 Euro
    Bodo Kühn: "... und er schaffte es doch. Eine Erzählung um Ottmar Mergenthaler"
    Illustriert von Otto Heilmann
    150 Seiten, 9 Euro
    Reinhard Griebner: "Mauerspechte"
    Illustriert von Felix Karweick
    256 Seiten, 15 Euro
    Michael Kirchschlager: "Emil aus der Drachenschlucht"
    Illustriert von Steffen Grosser
    40 Seiten, 15 Euro