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Zwei-plus-Vier-Gespräche
Glücksfall der Geschichte

Ein Tisch eigens gefertigt für die Zwei-plus-Vier-Treffen – dort begannen am 14. März 1990 die Verhandlungen zwischen den beiden deutschen Staaten und den vier Siegermächten. Sie mündeten – überraschend für alle - in den Vertrag, der den Weg für die Wiedervereinigung frei machte.

Von Vivien Leue | 14.03.2020
Zwei-plus-vier-Gespräche (L-R) Außenminister James Baker (USA), Außenminister Eduard Schewardnadse (UdSSR), Außenminister Hans-Dietrich Genscher (Deutschland/FDP), Roland Dumas (Frankreich), Außenminister Markus Meckel (DDR) und Außenminister Douglas Hurt (Großbritannien)
Zwei-plus-vier-Gespräche der Außenminister James Baker (USA), Eduard Schewardnadse (UdSSR), Hans-Dietrich Genscher (Deutschland/FDP), Roland Dumas (Frankreich), Markus Meckel (DDR) und Douglas Hurt (Großbritannien) (imago / Sepp Spiegl)
"Hallo… lassen Sie uns nach oben gehen." Dieter Kastrup wohnt nur etwa eine Viertelstunde vom Bonner Regierungsviertel entfernt. Noch heute fährt der 83-Jährige häufig dort vorbei.
"Ja, es war also eine einmalige Zeit, ein Glücksfall in der Geschichte. Eine Entwicklung, die niemand hatte kommen sehen."
Kastrup, Jurist und Diplomat, war zu Wendezeiten Politischer Direktor im Auswärtigen Amt und befasste sich jahrelang mit "der deutschen Frage", wie eine mögliche Wiedervereinigung damals genannt wurde.
"Am 30. September 1989 stand ich neben Hans Dietrich Genscher auf dem Balkon unserer Botschaft in Prag, als dieser den dort Zuflucht Suchenden mehreren tausend DDR Bürgern verkünden konnte, dass heute ihre Ausreise möglich sei. Nur man muss ehrlich sein, keinem der damals unmittelbar Beteiligten wäre in den Sinn gekommen, dass wir fast auf den Tag genau am 3. Oktober 1990 die Vereinigung unseres Landes hätten feiern können."
Wiedervereinigungsprozess mit fünf bis zehn Jahren veranschlagt
Noch im Herbst 1989 ging die bundesdeutsche Regierung unter Helmut Kohl davon aus, dass ein Wiedervereinigungsprozess fünf bis zehn Jahre dauern könnte. Doch spätestens zum Jahreswechsel war klar: Es muss schneller gehen.
"Der Druck ging von der Straße, ging von den Menschen aus. Der Wunsch der Menschen nach Demokratie und Freiheit und nach Einheit war nicht mehr zu kanalisieren."
Hunderte DDR-Bürger verließen damals pro Tag ihr Land, Zehntausende gingen auf die Straße und forderten Reformen. Auch der frühere Kanzlerberater Horst Teltschik erinnert sich noch sehr lebendig an die damalige Zeit:
"Das lag in der Luft, dass da fundamentale Entwicklungen im Gang waren, Veränderungen im Gang waren."
Frankreich und Großbritannien skeptisch gegenüber Helmut Kohl
Helmut Kohl habe das schnell verstanden und Gespräche mit den alliierten Siegermächten gesucht. Diese Treffen seien allerdings nicht immer einfach gewesen, sagt der heute 79-jährige Teltschik. Großbritannien stand der Idee eines wiedervereinigten Deutschlands anfänglich sehr skeptisch gegenüber, auch Frankreich hatte Bedenken. Die Sowjetunion war ohnehin unter starkem, innenpolitischem Druck.
"Die amerikanische Administration hat eine maßgebliche Rolle gespielt, weil sie von Anfang an Helmut Kohl zu hundert Prozent unterstützt haben und vor allem die Sowjetunion trotz der Schwäche dieses Landes damals immer auf gleicher Augenhöhe behandelt haben."
So gelang es, im Februar 1990 am Rande eines KSZE-Treffens im kanadischen Ottawa, die Zwei-plus-Vier-Gespräche zu vereinbaren.
Einigung innerhalb von nur sechs Monaten
"Wir haben uns dann am 14. März hier in Bonn zum ersten Beamtentreffen getroffen. Und das war denn der Beginn des Verhandlungsprozesses", sagt Dieter Kastrup, der die Verhandlungen damals führte. Der runde, oder eher ovale Tisch, an dem dieses erste Zwei-plus-Vier-Treffen stattfand, war eigens für die Gespräche gefertigt worden, heißt es. So gab es keine Rangordnung der Sitze, kein vorne oder hinten. Gespräche auf Augenhöhe.
Ob dieses Detail auch dazu beigetragen hat, dass sich die sechs Staaten letztlich innerhalb von nur sechs Monaten auf einen abschließenden Vertrag einigten, der dann den Weg frei machte für die Wiedervereinigung – man weiß es nicht.
Persönlicher Draht der handelnden Akteure
Letztlich war es aber wohl auch dieses Momentum, ein Glücksfall der Geschichte. Kastrup: "Es gehört auch dazu, dass die handelnden Akteure sich persönlich gut verstehen. Also man sollte in der internationalen Politik das persönliche Verhältnis nicht gering schätzen."
Teltschik: "Gorbatschow hat mir mal später gesagt, wenn er das Vertrauen in Helmut Kohl und Bush nicht gehabt hätte, wäre vieles anders verlaufen."