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"Zwei Prozent Wachstum nötig für Trendwende am Arbeitsmarkt"

Spengler: 4,3 Millionen Menschen also ohne Arbeit im letzten Dezember, das ist die zweithöchste Zahl seit 1997 in einem Dezember, damals gab es 4,5 Millionen Arbeitslose. Nun hat der Chef der Bundesagentur, Florian Gerster, wie wir gerade gehört haben, gesagt, dass die Reformen am Arbeitsmarkt und auch bei der Bundesagentur erste positive Auswirkungen auf die Arbeitslosigkeit gehabt hätten. Wir sind telefonisch verbunden mit Victor Steiner, Arbeitsmarktexperte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, DIW, in Berlin. Guten Tag, Herr Steiner.

    Steiner: Guten Tag.

    Spengler: Sehen Sie das auch so? Kann man bei 4,3 Millionen Arbeitslosen wirklich von ersten positiven Auswirkungen der Reformen sprechen?

    Steiner: Das sehe ich ganz und gar nicht so, ich sehe das eher sehr skeptisch. Es ist sicherlich auch nicht zu erwarten gewesen, dass die Hartz-Gesetze ganz kurzfristig großartige Effekte zeitigen. Ursprünglich hatte man ja mit zwei Millionen weniger Arbeitslosen gerechnet, aber das eine Stabilisierung auf einem äußerst hohen Niveau als Erfolg zu verkaufen ist, das scheint mir doch eher etwas sonderbar.

    Spengler: Herr Steiner, darf ich kurz unterbrechen. Wir hatten einen Bundeswirtschaftsminister, wir haben ihn immer noch, Wolfgang Clement heißt der, und der hat im Sommer gesagt, fünf Millionen Arbeitslose befürchte er im Winter. Daran gemessen ist es dann doch ein Erfolg, oder?

    Steiner: Man kann dazu zwei Sachen sagen. Zum Einen hätte es eintreten können, hätte die Konjunktur sich weiter verschlechtert, zum Anderen muss ich allerdings sagen, es kann ja nicht Ziel der Politik sein, Horrorszenarien an die Wand zu malen und dann, wenn diese nicht eintreten, die sehr kritische Situation am Arbeitsmarkt mit über vier Millionen als Erfolg zu verkaufen. Das ist natürlich eine Politik, die uns nicht weiterbringt.

    Spengler: Das DIW, also ihr Institut hat vorgestern gemeldet, dass mit einer echten Trendwende am Arbeitsmarkt frühestens im Sommer gerechnet werden kann. Entscheidend sei dabei das Wachstum, 1,4 Prozent Wachstum könnten es dieses Jahr werden und dieses Wachstum würde dann rund 150.000 Arbeitsplätze schaffen. Aber 150.000 das wird ja hinten und vorne nicht reichen, um die hohe Arbeitslosigkeit runter zu führen?

    Steiner: Bei 1,4 Prozent Wachstum kann man die Beschäftigung nicht stabilisieren, da wird wahrscheinlich nach wie vor Beschäftigung abgebaut werden. Man muss ja auch noch eines bemerken hinsichtlich dieser Arbeitsmarktzahlen, die sich nur auf die Arbeitslosigkeit beziehen, wenn man berücksichtigt, dass vergangenes Jahr die Beschäftigung um 300.000 gesunken ist zirka, dann sieht man ja, dass eine Trendwende am Arbeitsmarkt ganz weit weg ist.

    Spengler: Wie viel Wachstum braucht man denn, um wirklich eine Trendwende zu erreichen?

    Steiner: Eine Faustformel besagt halt, dass man, um Beschäftigung aufzubauen mindestens zwei Prozent Wachstum benötigt.

    Spengler: Aber, um mal runterzukommen von 4,3 Millionen auf, sagen wir mal, zwei Millionen, da bedarf es doch weit mehr als zwei Prozent Wachstums?

    Steiner: Mit volkswirtschaftlichem Wachstum wird man die Arbeitslosigkeit auch nicht auf zwei Millionen reduzieren können. Wir gehen davon aus, dass die konjunkturelle Komponente der Arbeitslosigkeit zirka 500 bis 800.000 Personen betrifft. Das heißt wenn man normales Wachstum hätte über mehrere Jahre, dann würde die Arbeitslosigkeit nicht halbiert werden können, sondern sie würde vielleicht auf sieben Prozent sinken.
    Spengler: Dann hätten wir also immer noch drei Millionen Arbeitslose und wie bekommen wir die weg?

    Steiner: ... mehr

    Spengler: Mindestens und wie bekommen wir die weg?

    Steiner: Die bekommt man nur mit ganz einschneidenden Strukturreformen am Arbeitsmarkt und in den sozialen Sicherungssystemen weg.

    Spengler: Die haben wir doch, die Reformen.

    Steiner: Die sind keineswegs dazu geeignet die Arbeitslosenquote auf sechs Prozent zu reduzieren. Die Maßnahmen, die hier vorgesehen sind speziell unter Hartz IV werden hier keinen so gravierenden Beitrag leisten. Der wesentlichste Beitrag wird durch die Verkürzung der Anspruchsdauer auf Arbeitslosengeld erfolgen, das tritt aber erst 2006 in Kraft.

    Spengler: Welcher Art müssten denn die Reformen sein, um wirklich einen Beitrag leisten zu können?

    Steiner: Beispielsweise müsste diese Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe wesentlich gravierendere Einschnitte vorsehen, als das zur Zeit beschlossen wird.

    Spengler: Was meinen Sie mit Einschnitten? Finanzielle Einschnitte, oder?

    Steiner: Es ist ja so, dass bei dem Zusammenlegen sich die Situation der Sozialhilfeempfänger eher verbessert als verschlechtert, das heißt für diese Gruppe werden keine zusätzlichen Anreize zur Arbeitsaufnahme wirksam. Für die Arbeitslosenhilfeempfänger verschlechtert sich das im Durchschnitt und die werden größere Anstrengungen unternehmen, um einen Job zu finden. Aber der Durchschnittseffekt über beide Gruppen ist zur Zeit noch unklar. Ganz entscheidend wird natürlich auch sein, inwieweit die Neuorganisation der Bundesanstalt, also jetzt Bundesagentur tatsächlich dazu führt, dass die Arbeitsvermittlung, auch die Arbeitskontrolle effizienter und intensiver sein wird als in der Vergangenheit. Hier kann man nur hoffen, dass der Optimismus von Herrn Gerster sich dann auch tatsächlich in reale Politik in der Bundesagentur umschlägt und hier dann Effekte eintreten, weil, wenn das nicht erfolgen sollte, dann werden wir nach wie vor die Probleme haben, die wir auch in der Vergangenheit hatten.

    Spengler: Ich danke Ihnen für das Gespräch. Das war Victor Steiner, Arbeitsmarktexperte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, DIW, in Berlin.