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Zweifelhafter Fortschritt

Medizin. - Embryonale Stammzellen gelten als Hoffnungsträger in der Medizin der Zukunft, denn sie können sich noch in jede beliebige Zelle verwandeln und so krankes Gewebe reparieren. Allerdings muss man bisher Embryonen töten, um die Zellen zu gewinnen. Jetzt soll dieses ethische Problem gelöst sein. Der Wissenschaftsjournalist ordnet die Meldung im Gespräch mit Monika Seynsche ein.

11.01.2008
    Seynsche: Herr Lange, das ist ja nicht die erste Ankündigung diese Art. Welches Verfahren haben die Stammzellforscher denn jetzt verwendet?

    Lange: Und es ist auch nicht die erste von Robert Lanza von der Firma ACT, der hat sich auch zum zweiten Mal zu Wort gemeldet. Das Verfahren ist wieder das gleiche, was er vor zwei Jahren schon einmal vorgestellt hat: und zwar entnimmt er einem Embryo eine Zelle und macht aus dieser einzelnen Zelle eine Stammzellkultur, die sich immer weiter vermehrt. Das geht einfach so: künstliche Befruchtung, damit fängt es an, ein Spermium kommt in eine Eizelle. Dann beginnt der Embryo sich zu entwickeln, die Zelle teilt sich, zwei Zellen, vier Zellen, acht Zellen. Und im Acht-Zell-Stadium nimmt man eine Zelle heraus, es bleiben sieben Zellen übrig. Und die eine Zeile reicht, um eine Stammzellkultur zu entwickeln.

    Seynsche: Aber was ist denn ist der Unterschied zu dem Verfahren von vor zwei Jahren?

    Lange: Ja, er hat im Grunde genommen jetzt zeigen können, dass tatsächlich der Embryo überlebt. Damals hat er auch schon das gleiche Verfahren eingesetzt, und die Embryonen sind doch dabei ums Leben gekommen, wie sich später herausstellte, weil er sehr viele Versuche durchführen musste und nach der Zellen verschiedener Embryonen vermischt hat und die Embryonen, sozusagen die gesunden Embryonen, nicht präsentieren konnte. Das hat er jetzt geändert. Jetzt sagt er, die Embryonen haben überlebt. Wenn man genau hinschaut, 85 Prozent der bei den Versuchen eingesetzten Embryonen haben überlebt. Also auch nicht alle.

    Seynsche: Macht das denn den Embryonen wirklich nichts aus, wenn man ihnen einfach Zellen entnimmt?

    Lange: Ja, das ist eben die große Frage. Es sind tatsächlich, dass die Embryonenzellen im Acht-Zell-Stadium noch alles können: da kann noch ein ganzer Embryo draus werden, und wenn man von acht Zellen eine Zelle wegnimmt, dann ändert sich an den Embryo nichts. Also der Mensch wird nicht zum Beispiel kleiner, weil eine Zelle fehlte, oder es fehlt etwas, das ist definitiv nicht so. Dennoch ist es ein Eingriff. Da wird mit einer Pipette, mit einer feinen Spitze an einem Embryo manipuliert, und das ist immer ein Risiko. Da kann immer etwas bei passieren, also es ist auf jeden Fall ein Risiko für den Embryo, auch wenn er sich im Prinzip normal entwickeln kann.

    Seynsche: Das heißt, der perfekte Weg aus diesem ethischen Dilemma ist es noch nicht?

    Lange: Nein. Es ist auch so, dass nach dem deutschen Embryonenschutzgesetz es nicht nur so ist, dass der Embryo nicht getötet werden darf. Das ist der der schlimmste Fall sozusagen. Er darf auch nicht geschädigt werden, er darf auch nicht irgendwie manipuliert werden, sein Leben darf nicht riskiert werden. Und als vor zwei Jahren dieses Thema schon einmal aufkam, da wurde ganz klar von mehreren Juristen und auch von der Deutschen Forschungsgemeinschaft festgestellt, dieses Verfahren würde das ethische Dilemma nicht lösen. Also es wäre auch in Deutschland nach dem Embryonenschutzgesetz genauso verboten wie das Töten von Embryonen.

    Seynsche: Was sagen denn deutsche Stammzellforscher zu diesen neuen Ergebnissen?

    Lange: Ja, da geht die Linie eigentlich durch die deutsche Stammzellenforschung hindurch. Jürgen Hescheler befürwortet dieses Verfahren, er findet es sehr interessant und da soll weitergeforscht werden. Dazu muss man wissen, dass Jürgen Hescheler selbst vor zwei Jahren ein ähnliches Verfahren vorgestellt hatte. Hat aber dann in Deutschland keine Förderung dafür bekommen, eben weil zum Beispiel die Deutsche Forschungsgemeinschaft sagte, dass es eben nicht die Lösung des ethischen Dilemma ist, egal ob dieses Verfahren im Prinzip funktionieren könnte oder nicht. Es ist einfach aus deutscher Sicht nicht zukunftsträchtig. Und das sagt auch der bekannteste deutsche Stammzellforscher, Hans Schöler vom Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster. Der sagt, dieses Verfahren sieht er höchst skeptisch, es wird nie hundertprozentige Erfolge haben, und er macht sich vielmehr Hoffnungen auf ein anderes Verfahren: Vor einigen Wochen haben wir darüber berichtet, ein japanischer Wissenschaftler namens Shinya Yamanaka, dem war es gelungen, aus Hautzellen embryonale Stammzellen zu machen, mit einigen genetischen Tricks. Und dieses Verfahren wird von Hans Schöler und auch von sehr vielen anderen Forschern als viel zukunftsträchtiger gesehen. Allerdings muss man sagen, es ist auch noch sehr weit von der Anwendung weg. Also die Grundlagenforschung einfach interessanter. Und ob dieses Verfahren, das jetzt von der Firma ACT vorgestellt wird, tatsächlich in die Praxis kommen wird, da kann man sehr skeptisch sein.