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"Zweifelsohne haben die Katholiken ein Problem"

Ein protestantischer Pfarrer als Staatsoberhaupt und eine protestantische Pfarrerstochter als Regierungschefin, Joachim Gauck und Angela Merkel: Der Theologe Friedrich Wilhelm Graf attestiert dem katholischen Bürgertum problematische Zeiten - das Reformationsjubiläum 2017 werfe seine Schatten voraus.

Das Gespräch führte Dirk Müller | 28.02.2012
    Dirk Müller: Ein protestantischer Pfarrer als Staatsoberhaupt und eine protestantische Pfarrerstochter als Regierungschefin, Joachim Gauck und Angela Merkel demnächst als evangelisch-ostdeutsches Duo an der Spitze unseres Staates. Vielen wird das völlig gleich sein, vollkommen egal, doch nicht nur Intellektuelle und passionierte Feuilletonisten reflektieren seit Tagen in den Medien darüber, welche Folgen, welche Konsequenzen dies hat, welche Folgen für die einstige Adenauerische Republik, die trotz aller ernsthaften politischen Probleme im Zeichen einer rheinisch-katholischen Prägung stand. Ein bisschen Gemütlichkeit, alle Fünfe gerade sein lassen, gehörte in Bonn noch dazu, auch das Bier und der Wein als kreatives Lebensmittel, also ein etwas barockeres Lebens- und auch Politikgefühl. – Darüber sprechen wollen wir nun mit dem Protestanten Friedrich Wilhelm Graf, Professor für systematische Theologie und Ethik an der Universität in München. Guten Morgen!

    Friedrich Wilhelm Graf: Guten Morgen!

    Müller: Herr Graf, sind Sie froh, dass die Katholiken nichts mehr zu sagen haben?

    Graf: Nein. Natürlich haben die Katholiken im Lande sehr großen Einfluss. Aber es ist sicherlich eine interessante Entwicklung, dass mit Joachim Gauck nun ein ganz einflussreicher Repräsentant des ostdeutschen Protestantismus ins Bundespräsidentenamt gekommen ist.

    Müller: Jetzt wird alles dröger und nüchterner?

    Graf: Ach, Herr Gauck hat durchaus eine sehr barocke Lebensart und schätzt die sinnlichen Vorzüge des Lebens, da mache ich mir keine Sorge. Bei Frau Merkel ist es etwas anders, sie hat etwas sehr spartanisch protestantisch-asketisches.

    Müller: Was ist das genau?

    Graf: Na ja, der Protestantismus, der deutsche Protestantismus ist immer sehr vielspältig gewesen. Frau Merkel kommt aus der Tradition eines Linksprotestantismus, das überrascht zunächst, ihr Vater ist freiwillig in die DDR zurückgegangen, weil er im ostdeutschen Experiment irgendwie die Hoffnung auf das bessere Deutschland sah, hat sich dann im Weißenseer Arbeitskreis engagiert. Dort hat man sehr nüchtern darauf geblickt, sozusagen eine bessere Welt aufzubauen, und diese Traditionen der Nüchternheit, der Sachlichkeit, der Zurückhaltung, auch eines Mangels an Eitelkeit, prägen sie sehr deutlich.

    Müller: Und Joachim Gauck, wie Sie sagen, ist ein katholisch gefühlter Protestant?

    Graf: Na ja, das würde ich so nicht sagen. Aber er ist jemand, der sozusagen seit der Revolution 1989 die Vorzüge einer freien Gesellschaft doch sehr geschätzt hat, der das Leben liebt, der auf seine Weise mit seinem Charisma doch auch so umgegangen ist, dass er den Leuten deutlich macht, dass man das Leben genießen muss, dass man seine Freiheitschancen wahrnehmen muss. Er ist insofern ein ganz anderer Protestant als Frau Merkel.

    Müller: Also aus der katholischen Sicht, Herr Graf, ist im Grunde alles in Ordnung?

    Graf: Ach, ich würde mich anstelle der Katholiken darüber nicht aufregen. Die haben vielfältigen politischen Einfluss in Berlin und nehmen den ja auf ihre Weise ganz geschickt wahr.

    Müller: Noch mal aus katholischer Sicht gefragt: Können die Katholiken froh sein, dass es immer noch die CSU gibt?

    Graf: Na ja, die CSU ist ja auch nicht mehr so eine richtig katholische Partei. In der CSU gibt es inzwischen eine ganze Reihe von prominenten Protestanten. Herr Söder beispielsweise ist Protestant aus Nürnberg und der Katholik Guttenberg ist da nicht wirklich erfolgreich gewesen. Insofern ändern sich einfach die Konfessionsverhältnisse im Lande. Spannend ist, dass jetzt gleich so viele protestantische Kandidaten im Gespräch waren. Frau Göring-Eckardt, Andreas Voßkuhle, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, der zuerst gefragt worden ist, ist Protestant, selbst Wolfgang Huber ist im Gespräch gewesen. Insofern gibt es für das höchste Staatsamt eine protestantische Tradition, denken Sie an Heinemann, denken Sie an Rau, das ist alles nicht überraschend.

    Müller: Hört sich so an, als sei das die Reformation der Bundesrepublik.

    Graf: Nein, das ist natürlich jetzt übertrieben, was Sie sagen. Aber zweifelsohne wirft das Reformationsjubiläum 2017 seinen Schatten voraus und zweifelsohne haben die Katholiken ein Problem. Das katholische Bürgertum, die katholischen Funktionseliten im Lande, die es gibt, tun sich mit ihrer Kirche im Moment sehr, sehr schwer und viele Bischöfe tun alles daran, diesen Laienkatholizismus auch politisch zu marginalisieren.

    Müller: Wenn wir das jetzt auf die Politik und auf die politischen Entscheidungsmechanismen übertragen, Herr Graf, inwieweit wirkt sich das dann in der Parteipolitik aus?

    Graf: Es wird sicherlich so sein, dass Frau Merkel und Herr Gauck ein ganz präreflexives Einverständnis über ganz vieles entwickeln werden. Sie werden sicherlich nicht sozusagen Hand in Hand zusammenarbeiten, aber es gibt doch einen untergründigen Konsens, dass Freiheit ein wichtiges Thema ist, dass bestimmte Traditionen der DDR, des ostdeutschen Protestantismus im Lande eine Rolle spielen sollen. Das wird so kommen. Es ist ein alter Satz. Denken Sie, 1989 hat der letzte DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière gesagt, jetzt wird Deutschland wieder protestantischer werden, und nach gut 20 Jahren hat er Recht bekommen.

    Müller: Braucht die Politik und damit auch die Gesellschaft nicht auch etwas vom katholischen Karneval?

    Graf: Doch, natürlich. Den gibt es doch auch genug. Wir erleben doch permanent Karnevalsveranstaltungen. Der Katholik Rösler hat doch gerade wunderbare Karnevalsbilder in die Medien geworfen.

    Müller: Und Sie sind Protestant, das haben wir erwähnt, und Sie sind in München.

    Graf: Ja!

    Müller: In München stimmt noch die CSU- beziehungsweise Katholikenzugehörigkeit. Haben Sie da Probleme?

    Graf: Nein, überhaupt nicht. Der Münchner Oberbürgermeister, darauf lege ich großen Wert, ist ein Protestant. In der Stadt gibt es eine protestantische Elitenkultur. Die Konfessionsverhältnisse im Lande sind komplizierter geworden, sind bunter geworden, sind vielschichtiger geworden. In München leben 25 Prozent Protestanten und die Protestanten in der Stadt gehören eher zu den einflussreichen Leuten.

    Müller: Wir haben ja gestern, Herr Graf, auch in unserer Deutschlandfunk-Redaktion darüber diskutiert, ist das Thema wirklich ein Thema. Wir hatten da den Eindruck, dass es bei vielen Redakteuren vollkommen irrelevant ist, wer jetzt welcher Religion angehört. Ist das in der Politik aber relevant?

    Graf: Konfession ist in der deutschen Politik immer ein ganz wichtiger Faktor gewesen, denken Sie an die Kulturkämpfe des 19. Jahrhunderts, denken Sie daran, dass die Katholiken sich in einer eigenen Partei, der Zentrumspartei, organisiert hatten. Konfession prägt deutsche Politik subtil noch immer, und das sehen sie vor allen Dingen in allen bioethischen oder biopolitischen Streitfragen. Katholiken argumentieren in Fragen der Präimplantationsdiagnostik, Sterbebegleitung und so weiter signifikant anders als Protestanten. Das erleben sie auch in der C-Partei oder in den C-Parteien.

    Müller: Jetzt könnte man polemisch sagen, wir brauchen immer noch Aufklärung.

    Graf: Ja, natürlich braucht man Aufklärung. Aber der Protestantismus, der deutsche Protestantismus jedenfalls, ist ein sehr viel engeres Bündnis mit der Aufklärung eingegangen als der deutsche Katholizismus.

    Müller: Es gibt ja immer Wellenbewegungen in der Politik, vielleicht auch in der Religion, das wissen Sie besser als ich. Gibt es irgendwann einen Rückschlag?

    Graf: Also Zukunft von Religion ist sehr schwer zu prognostizieren. Die religiösen Verhältnisse im Lande sind diffus, der Einfluss beider großer Kirchen geht zurück. Aber es gibt so etwas wie eine bleibende Hoffnung vieler Deutschen darauf, dass im Bundespräsidialamt jemand sitzt, der – das ist ein furchtbarer Begriff – Werte repräsentiert, der so ein bisschen wie Staatsaura erzeugt, der eine Heiligkeit der Institutionen den Leuten nahebringen kann, und offenkundig ist Joachim Gauck dafür eine ideale Projektionsfläche. Es ist ja das Überraschende, dass gerade die Grünen und die SPD ihn ins Gespräch gebracht haben, denn er ist ein eher bürgerlich-konservativer Zeitgenosse.

    Müller: Der Protestant Friedrich Wilhelm Graf, Professor für systematische Theologie und Ethik an der Universität in München. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Graf: Auf Wiederhören!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.