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Zwischen Abenteuerlust und terroristischer Familientradition

Die Rolle der Frauen in extremistischen Gruppierungen skizziert die Journalistin Marianne Quoirin in ihrem Buch "Töchter des Terrors". Sie zeigt, dass auch die Frauen der IRA, deren Splittergruppen bis heute aktiv sind, weitaus mehr als schmückendes Beiwerk waren und bis heute zu ihren Taten stehen.

Von Brigitte Baetz | 02.01.2012
    Marian Price ist 15 Jahre alt und Schülerin der St. Dominic´s Grammar School für Mädchen in der Falls Road, als ihre Welt explodiert: Straßenschlachten, nächtliche Schießereien, Bombendrohungen, Überfälle und ein allgegenwärtiges Militär prägen den Alltag. Der protestantische Mob brennt in West-Belfast ganze Straßenzüge nieder, die britische Armee, im August 1969 von der Regierung in London zur Unterstützung der Polizei nach Belfast und Derry geschickt, ist längst zwischen die Fronten der verfeindeten Kommunen geraten. Rückt eine Armeepatrouille an, schlagen die Frauen mit den Deckeln ihrer Mülltonnen auf den Beton, damit alle im Viertel in Alarmbereitschaft sind.


    Marian Price ist eine von sieben Frauen, die Marianne Quoirin in ihrem Buch porträtiert und deren Leben sie mit einer allgemeinen Analyse der Rolle der Frauen in der IRA verknüpft. Mit 16 wird diese Marian Price Mitglied der IRA, nach Schule und Mittagessen wechselt sie die Kleidung, um in einem Hinterzimmer in West-Belfast das Terrorhandwerk zu lernen. An Wochenenden und in den Ferien besucht sie die geheimen Ausbildungslager - und wird zur "Berühmtheit" als sie gemeinsam mit ihrer Schwester 1973, da ist sie 19 Jahre alt, vier Autobomben im Zentrum Londons platziert. 180 Menschen werden verletzt, ein Mann stirbt an Herzversagen. Und auch nach ihrer Verhaftung stehen die sogenannten Price-Schwestern ihren männlichen Kameraden in Nichts nach: Mit einem Hungerstreik versuchen sie ihre Verlegung in ein nordirisches Gefängnis zu erzwingen - und fordern damit die Tortur der Zwangsernährung heraus. Dass die Frauen der IRA teilweise fanatischer waren als die Männer, erklärt Marianne Quoirin damit, dass allein der Schritt, sich der IRA anzuschließen, reiflicher von ihnen überlegt wurde:

    "Für die Männer war es irgendwie so: Da geh ich rein, da ist mein Freund drin. Die Mädchen bewundern mich. Es ist doch schön, mit der Knarre durch die Gegend zu laufen. Es gab diese ganze Groupie-Bewegung für die Männer. Und bei den Frauen gab es das nicht. Und wenn die sich das überlegt haben, es waren ja auch Mütter dabei, die Kinder hatten, ist das ein solcher Schritt. Dazu braucht man eine Verbissenheit ohnegleichen."

    Die Gründe der von ihr beschriebenen Frauen, sich der Terrororganisation anzuschließen, waren so vielfältig wie ihre Lebenswege: Fanatismus, Abenteuerlust, das Gefühl, gegen Unrecht ankämpfen zu müssen oder eine Art terroristischer Familientradition. Von der englischen Philosophie-Dozentin aus reichem Hause Rose Dugdale bis zur irischen Hausfrau Meire Drumm, die als Vizepräsidentin der IRA-nahen Partei Sinn Fein ermordet wurde, reicht die Spannbreite der Biografien, die sich lesen lassen als Puzzleteile in einem großen Stück, das von Gewalt und Gegengewalt handelt.

    Zu dem Zeitpunkt, da Marian und Dolours Price sich der IRA anschließen, ist ihr Vater auf der Flucht vor der Polizei und der Armee. Mehr als 20 Mal haben britische Soldaten das Haus der Familie in Andersonstown durchsucht. "Sie haben gesagt, dass sie immer wieder kommen werden, bis sie meinen Vater gefunden haben", wird Marian Price später vor Gericht im englischen Winchester aussagen.

    Überforderte britische Soldaten, die vorbeugend Verdächtige ohne Anklage verhaften dürfen, hungerstreikende IRA-Häftlinge, extremistische Morde von Protestanten und Katholiken- die jahrzehntelange Gewalt, die in Nordirland herrschte, lässt sich aus fast jeder Zeile des Buches von Marianne Quoirin herauslesen. Sie fand ihren Höhepunkt in zwanzig Bombenexplosionen in Belfast, am 21. Juli 1972, dem so genannten "Blutfreitag".

    Die Lebensgeschichten, die Marianne Quoirin detailreich zu erzählen weiß, sind die Geschichten von Frauen, die relativ unerschüttert bis heute zu ihren Taten stehen. Die Journalistin beschreibt sie mit Empathie, aber sie glorifiziert sie nicht.

    "Bei Zweien habe ich den Fanatismus eher zufällig erlebt. Eine, als sie festgenommen wurde, wie sie dann mit der Polizei umgegangen ist und im anderen Fall mit Meire Drumm, die sich zweimal so in Rage geredet hat, dass sie dafür jeweils einige Monate im Gefängnis saß. Aber wenn man bei Meire Drumm zu Hause war: Hausfrau, Mutter, mit den deutschen Nippes-Figuren in den Schränken und erzählt, was sie alles am liebsten sein würde: Hausfrau, Mutter, aber die Briten lassen mich ja nicht, weil ihr Mann interniert war. Eine ganz andere Person."

    Auch wenn die von Marianne Quoirin beschriebenen Frauen nicht grundsätzlich unsympathisch wirken, so fühlt der Leser doch eher mit den Opfern. So zum Beispiel mit dem deutschen Honorarkonsul Thomas Niedermayer, dem Manager des Grundig-Werkes in Belfast. Er wurde 1973 von der IRA verschleppt. Sechseinhalb Jahre lang erfuhr seine Familie nicht, was mit ihm passiert war - bis seine Leiche auf einer Mülldeponie gefunden wurde. Die Familie zerbrach. In den folgenden Jahren begingen sowohl die Ehefrau als auch die Töchter Selbstmord. Ein Schicksal, das im krassen Gegensatz steht zum Empfinden der Täter.

    "Die Frauen sehen sich selbst in einer Opferrolle, weil sie das andere gar nicht sehen wollen. Ich habe es ein einziges Mal erlebt, das war ein Mann gewesen, aber ein hochrangiger IRA-Führer, bei dem war ich zu Hause, wollte ein Interview machen, dann kam die Nachricht, dass sein Hund überfahren worden ist. Das war eine ganz schlimme Nachricht. Ich wollte ihn fragen, es ging um einen Bombenanschlag, bei dem elf Zivilisten getötet worden waren. Das war gar nichts, ja? Das sind die Umstände, die der Krieg so mit sich bringt, dass da auch mal Zivilisten ums Leben kommen."

    Zurück bleiben traumatisierte Menschen. In der nordirischen Bevölkerung wirkt, nach all den Jahren des Friedensprozesses, die Gewalt noch heute nach. Marianne Quoirin arbeitet mit diesem kenntnisreichen Buch, das zudem spannend geschrieben ist, einen Teil der Geschichte der IRA auf. Warum Menschen so weit gehen wie die von ihr beschriebenen Frauen, kann aber auch sie nicht abschließend erklären. Aber das kann vermutlich niemand.

    Marianne Quoirin:
    Töchter des Terrors. Die Frauen der IRA. Rotbuch Verlag, 256 Seiten, 19,95 Euro
    ISBN: 978-3-867-89141-7