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Zwischen Bohème und Bourgeoisie

Es sind nur insgesamt 50 Werke, die man von Renoir in Basel zu sehen bekommt, dafür erzählen sie vom jungen Renoir, der im Louvre Bilder kopiert, über den Einfluss von Couberts Realismus in seiner Handschrift bis hin zu seiner beginnenden impressionistischen Malweise.

Von Christian Gampert |
    Im Sommer 1870, der deutsch-französische Krieg steht vor der Tür, malt Pierre-Auguste Renoir ein beschwingtes Bild, "der Spaziergang" heißt es: Ein Mann mit Strohhut zieht eine noch zögernde, in unschuldiges Weiß gekleidete Frau in ein flirrend grünes Gebüsch. Die Momentaufnahme beleuchtet eine ganze Subkultur junger Männer, die der Canotiers, der "Ruderer", die wochenends am Ufer der Seine auf Liebesabenteuer aus war - Renoir hat diesem Thema diverse Werke gewidmet.

    Der Maler selber war auch nicht enthaltsam - er hatte in dieser Zeit ein festes Modell, das natürlich auch seine Geliebte war: Lise Tréhot. Von ihr hängen in der Basler Ausstellung zahlreiche Porträts, mit ihr hat er all die Rollen durchprobiert, die damals in der Malerei gefragt waren: vom biederen, aber erotisch ansprechenden Landmädel bis zur bürgerlichen Dame mit Papagei, vom Fräulein auf Landpartie bis zur drallen (und natürlich nackten) Quellnymphe. "Im Sommer" heißt ein Porträt, da sitzt sie breitbeinig in einem gestreiften Kleid, guckt versonnen - und ist schwanger.

    Zwei Kinder bekam Lise Tréhot von Renoir, die dann zur Adoption freigegeben wurden und die der Maler später, als arrivierter Bourgeois, immer verschwieg. "Zwischen Bohème und Bourgeoisie" heißt die Ausstellung, sie will Renoirs Frühphase beleuchten und spart auch die eher trüben Kapitel der Bohème nicht aus - mancher Spaziergang hatte eben Folgen ... Aber man sprach nicht darüber, sagt Kuratorin Nina Zimmer.

    "Da ist ein Schleier des Schweigens drüber. Was nicht zu verstehen ist: dass sich das auch kunsthistorisch fortgesetzt hat. Man hat sich mehr mit dem späten Renoir beschäftigt. Man hat nie die Frühphase als ein eigenes Kapitel aufgewertet."

    Die Basler Ausstellung holt das jetzt nach - aber sie tut ein bisschen so, als sei nach 1880 bei dem etablierten Renoir nur noch Konfektion entstanden. Das stimmt natürlich nicht: Die Produktion nimmt in der Spätphase enorm zu, und es sind in der Tat viele Kalenderblätter dabei. Aber eben auch sehr viel Haltbares.

    In Basel hat man sich auf wenige, insgesamt 50 Werke konzentriert, die Seitenwände der Räume bleiben leer. Und trotzdem ist das eine wunderbare, sorgfältig geordnete Ausstellung: sie erzählt vom jungen Renoir, der im Louvre kopiert, der ganz konservativ bürgerliche Porträts malt, von Courbets Realismus beeinflusst ist - dafür steht, am Anfang des Parcours, die dralle Quellnymphe - und dann in die Schule von Barbizon und den beginnenden Impressionismus eintaucht, der dem Salon Paroli bietet - und bei all dem gänzlich unpolitisch bleibt, trotz Kaiserreich, Krieg, Commune und Dritter Republik.

    Die scheinbare Unschuld der ländlichen Idyllen ist ein Fluchtpunkt in politisch bewegter Zeit, und die Ausstellung zeigt sehr schön, wie sich hier ein antibürgerliches Lebensgefühl ausbildet (das später dann vom Bürgertum geschluckt wird), wie aber auch Renoirs Handschrift sich allmählich verfeinert: es gibt bei ihm, kurz vor Cézanne, schon Stillleben, die wirklich über die Dinge reflektieren; er malt die Künstlerfreunde, vor allem Claude Monet, als durchaus arbeitsame Avantgarde; er gibt den Ausflugslokalen und Theaterlogen eine neue Leichtigkeit; und vor allem: Er setzt die Natur als neuen Hauptakteur in Szene. In einem Frauenporträt von 1875 ist die Blumenwiese im Hintergrund das eigentliche Thema, ein zugewucherter Waldweg ist übersät mit zitternden Lichtflecken, in den Farbtupfern seiner Wiesen und Hänge platzt quasi der Sommer auf und die Menschen verschwinden im Gras.

    Das hat alles etwas Träumerisches und auch Erotisches: Die Impressionisten waren frühe Hippies in bürgerlicher Verkleidung. Gleichzeitig kratzt Renoir in einem Meerstück 1880 schon an der Abstraktion. Und doch: Es wartet der Gang ins Establishment. Die großformatige "Reiterin im Bois de Boulogne", die die Ausstellung beschließt, ist Renoirs vergeblicher Versuch, akademische Tradition mit dem Impressionismus zu versöhnen.