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Zwischen Computerexperten und Analphabeten

Die Bundeswehr ist abgezogen aus Kundus, die Bildungsprojekte sind geblieben: Der Deutsche Volkshochschul-Verband unterstützt 20 Erwachsenen-Bildungszentren in Afghanistan. Dabei haben es die Lehrer mit unterschiedlichsten Bildungsniveaus zu tun. Ein Drittel der Schüler sind weiblich.

Von Henning Hübert | 12.11.2013
    Thermoskannen mit Kaffee, daneben liegen Kekse, Lebkuchen und Zimtsterne auf dem Besprechungstisch im Bürogebäude des Deutschen Volkshochschulverbandes. Mit am Tisch: Partner der afghanischen Erwachsenenbildungsorganisation "Afghan National Association for Adult Education", kurz ANAFAE. Der Pädagoge Shamsuddin Muhib blickt hinaus aus dem Fenster - auf eine Seitenstraße im Bonner Stadtteil Beuel.

    "Es schaut so ruhig aus. Gehst du die Straße entlang, denkst du: Hier in Bonn lebt ja keiner. Klar, in echt ist das nicht so. Natürlich sind die Leute beschäftigt, mit ihren eigenen Dingen, ihrem Job. Aber: Wenn du in Afghanistan bist, dann siehst du unendlich viele Leute auf der Straße, das ganze Jahr über. Überall."

    Gemeinsam mit dem Deutschen Volkshochschul-Verband DVV betreiben die Afghanen 20 Bildungszentren. Die Nachfrage nach den Kursen ist groß. Rund 150.000 Teilnehmer haben sie vergangenes Jahr gezählt. Ein Drittel davon waren Frauen. Ein seit Jahren konstanter Wert. Die Volkshochschulkurse in den Städten kosten Geld - zwei bis drei US-Dollar pro Monat. Zum Beispiel für Computerkurse, für Mathe oder Kalligrafie. Die zusätzlich auf den Dörfern angebotenen Alphabetisierungskurse gibt es umsonst. Der Direktor von ANAFAE, Bashir Khaliqi:

    "Wir haben fast zehn Millionen Analphabeten. Das ist eine riesige Zahl. Unter den jungen Erwachsenen, den Erwerbsfähigen, sind 68 Prozent Analphabeten. Das ist einer der Hauptpunkte, warum sich unser Land nur so langsam fortentwickelt. Glauben wir internationalen Studien, dann gibt es keine Entwicklung, bis nicht wenigstens die Hälfte der Bevölkerung lesen und schreiben kann. Da hinken wir immer noch hinterher."

    Es gibt eben viel zu wenig ausgebildete Lehrer. Gerne nehmen die afghanischen Volkshochschulen für die Kursleitung deshalb Studenten oder Schulabgänger mit guten Zeugnissen. Das Gehalt für den Leiter eines neunmonatigen Alphabetisierungskurses liegt zwischen 50 und 60 US-Dollar im Monat. Der Afghanistan-Koordinator des DVV, Wolfgang Schur, arbeitet seit mehr als zehn Jahren in Kabul. Er ist der einzige Deutsche im Koordinierungs-Büro. Sein Dienstfahrzeug ist nicht gepanzert, das Sicherheitsrisiko nimmt er in Kauf. Schur ist besorgt: Schon seit vier Jahren geht es landesweit mit der Zahl der Alphabetisierungskurse steil bergab. Weil das Geld fehlt.

    "Wir befürchten, dass da zu viel in die Sicherheitsfrage und zu wenig in die Bildungsfrage hinein investiert wird. Und das kann heißen, dass da mehr kaputt gehen kann, als das zu Zeiten der Taliban der Fall war. Wir haben ja kein flächendeckendes Bildungssystem vorher gehabt. Auch vor den Taliban nicht. 2002 hatten wir ungefähr eine Million Leute in den allgemeinbildenden Schulen. Jetzt sind es fast neun Millionen in 2013."

    Die Furcht von Wolfgang Schur: Wenn weder das nationale Budget noch die internationale Unterstützung ausreichen, dann sind einige seiner Erwachsenenbildungsprogramme schnell am Ende. Trotz der 150.000 Kursteilnehmer im Jahr. Die Islamische Republik Afghanistan hat andere Prioritäten:

    "Im Bereich der beruflichen Bildung wird wenig investiert. Hochschule hat natürlich Vorrang. Allgemeinbildung hat Vorrang. Das ist auch richtig so. Und Alphabetisierung und nonformale Bildung, das steht an letzter Stelle. Zwei Prozent des Bildungsbudgets geht in diesen Bereich - also nichts."

    Bliebe die Fortsetzung der Hilfe von außen. Zurzeit geben das Auswärtige Amt und das Bundesentwicklungsministerium jährlich etwas mehr als 1,8 Millionen Euro für die Erwachsenenbildung. Noch. Wie viel Geld der Deutsche Volkshochschul-Verband ab 2015 in die Bildungskooperation mit Afghanistan stecken kann, ist offen.