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Zwischen Enteignung der Urheber und Freiheitsrechte der Nutzer

Das Urheberrecht soll international neu gefasst werden und auch im Internet greifen. Auf europäischer Ebene wird das einheitliches Abkommen ACTA heiß diskutiert. So auch bei der deutschen Partei Die Grünen.

Von Jonas Reese | 01.03.2012
    Stimmen auf einer ACTA-Demo:
    "Und zwar beginnen wir jetzt mit unserer Kundgebung gegen ACTA."

    Berlin Alexanderplatz, ein Samstag im Februar. Mehrere Tausend überwiegend junge Leute, protestieren gegen ACTA, das geplante internationale Handelsabkommen zum Schutz von Urheberrechten im Internet. Die Demonstranten fürchten um die Freiheit im Netz, wenn dieser Handelspakt wirklich umgesetzt würde. Bis zu einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs liegt der Ratifizierungsprozess innerhalb der EU auf Eis. Die Masse setzt sich in Bewegung - darunter auch Malte Spitz. Seine Hand umfasst eine Flagge von Bündnis90/ die Grünen. Spitz ist Mitglied im Bundesvorstand der Partei und dort für Netzpolitik zuständig. Auch bei den Grünen wird eine Reform des Urheberrechts derzeit heftig diskutiert.

    "Klar ist für uns, es brauch eine Reform, weil die Situation, wie sie heutzutage ist, finden wir falsch, sie ist ungerecht. Sie benachteiligt stark die Urheber, aber sie ist auch zum Nachteil von vielen Nutzern, die unverhältnismäßig verfolgt werden."

    ACTA hat eine Diskussion auf die Straße gebracht, die zuvor fast nur in Hinterzimmern geführt wurde. Eine Diskussion, die nicht Wenige für eine der zentralen Grundsatzdebatten der Gegenwart halten: die Debatte, um die Vereinbarkeit von Eigentum und Freiheit im Internet. Es geht um die Frage, wie Urheber- und Eigentumsrechte im Netz durchgesetzt werden können - ohne die Freiheitsrechte der Nutzer einzuschränken.

    Welche Brisanz in dieser Debatte steckt, hat der Grüne Politiker Spitz am eigenen Leib erfahren. Er hatte für den vergangenen Bundesparteitag der Grünen einen Leitantrag formuliert, in dem er forderte, die Schutzfrist für geistiges Eigentum extrem zu verkürzen. Bislang ist das Werk eines Künstlers 70 Jahre über dessen Tod hinaus geschützt. Malte Spitz schlug vor, dass dieser Urheberschutz bereits fünf Jahre nach Veröffentlichung ausläuft. Im kulturpolitischen Flügel seiner Partei war das Entsetzen groß.


    "Es gibt da einfach die Angst, dass jegliche Veränderung zulasten der Urheber gehen würde. Ich kann diese Angst nicht verstehen. Natürlich ist diese Debatte eine hochemotionale "

    Malte Spitz denkt eher von der Nutzerseite her. Er will nicht, dass sich ein User strafbar macht, nur weil er einen Film, ein Lied oder ein anderes künstlerisches Werk im Internet konsumiert, vielleicht an Freunde verschickt oder selbst bearbeitet. Anwälte verschicken deshalb mittlerweile jedes Jahr rund 800.000 Abmahnungen; den Nutzern wird mit horrenden Strafzahlungen gedroht. Spitz will, dass beim Urheberrecht unterschieden wird zwischen kommerzieller und privater Nutzung.

    "Wir wollen, auch was die Frage der Nutzerorientierung angeht, verändern, weil Urheberrecht bisher den Nutzer gar nicht mitdenkt."

    Mit seinem Leitantrag allerdings machte sich Malte Spitz auf dem Kieler Bundesparteitag keine Freunde. Seine Parteikollegin Agnes Krumwiede, Bundestagsabgeordnete und studierte Konzertpianistin - entdeckte in seiner Idee geradezu kommunistische Züge:

    "Eine Schutzfristverkürzung ist immer eine Enteignung der Künstler oder ihrer Erben."

    Mittlerweile erkennt Spitz an, dass er mit der 5-Jahresforderung übers Ziel hinaus geschossen ist. Einig aber wurden sich die Grünen in Kiel dennoch nicht. Die Frage der Schutzfristen ist parteiintern noch immer nicht geklärt. Im Sommer soll neu verhandelt werden: auf der einen Seite die Künstler, das grüne Ur-Klientel. Auf der anderen Seite die noch jungen Netzpolitiker. Wertschätzung der Kunst und Einhaltung der Bürgerrechte - ein parteiinternes Ringen.

    Dazwischen steht Robert Habeck. Er ist Fraktionsvorsitzender der Grünen in Schleswig-Holstein und deren Spitzenkandidat für die Landtagswahl Anfang Mai. Vor seiner politischen Karriere war Habeck außerdem Schriftsteller und zusammen mit seiner Frau Andrea als Autorenduo recht erfolgreich.

    "Mein erster Roman ist vielleicht vor elf oder zwölf Jahren erschienen, wenn der mir jetzt nicht mehr gehört, wäre das recht merkwürdig. Es ist völlig okay, wenn er bei Amazon für einen Cent gehandelt wird oder untereinander getauscht wird. Aber es ist immer noch meins, und da hängt noch Herzblut dran. Und fünf Jahre würde ich als sehr starke Entrechtung ansehen."

    Das Schreiben hat Habeck vor einigen Jahren zugunsten der Politik aufgeben. Von seinen Büchern profitiert er finanziell noch immer ein wenig.

    "Allerdings will ich auch nicht sagen, dass es ewig meins sein muss. Es ist Quatsch zu glauben, dass die Kinder meiner Kinder durch dieses Buch noch ihre Rente davon bezahlen können müssen. Also man muss auch aufpassen, dass man da keinen falschen Mythos aufbaut."

    Ob Musiker oder Schriftsteller - Künstler sollten von ihrer Kunst leben können. Darüber ist man sich bei den Grünen einig. Nur wie? Für Robert Habeck liegt die Antwort in der Vergangenheit.

    "So ähnlich wie ein Mäzenatentum vor 150 Jahren, wo man gesagt hat, okay das ist uns was wert, aber man kann es nicht übersetzen in Arbeitsstundenlohn. Irgendjemand muss es subventionieren und dafür was geben; ohne zu wissen, was man da rausbekommt, aber nachher sind es Rilkes Sonette, die man zurückbekommt und dann sagt man, okay das hat sich gelohnt da etwas zu investieren."

    Das könnte zum Beispiel in Form einer Kultur-Flatrate geschehen. Ein Pauschalbetrag, den alle Internetnutzer zu bezahlen hätten und dann unbegrenzt Kunst konsumieren zu dürfen. Auch dieser Vorschlag wird bei den Grünen diskutiert.

    Die Kultur-Flatrate ist eine Idee, mit der sich wohl auch die meisten ACTA-Gegner anfreunden könnten. Aus der viel zitierten Netzgemeinde jedenfalls kam bislang kein anderer ernst zu nehmender Vorschlag zur Reform des Urheberrechts.

    Da sind die Grünen - trotz allem Ärger - schon etwas weiter.