Archiv


Zwischen Kriegsruinen und Luxusboutiquen

Seit einigen Jahren wird die Innenstadt von Beirut luxuriös wiederaufgebaut: Das "bedeutendste Sanierungsprojekt der Welt" lässt 600 Gebäude - mittelalterliche Gotteshäuser, ottomanische Villen, futuristische Bürogebäude - originalgetreu wiedererstehen. Edelrestaurants und Luxusboutiquen sprießen aus dem Boden. Jenseits der Innenstadt leben aber immer noch Flüchtlinge in zerschossenen Kriegsruinen.

Von Achim Nuhr |
    Genau am Sodeco-Platz verlief die Grüne Linie, die Beirut über 15 Jahre lang teilte. Die meisten Fernsehbilder entstanden hier, bis 1991 der libanesische Bürgerkrieg endete und die Milizionäre wieder zu Bürgern wurden. Auch bei den Unruhen vor wenigen Wochen zwischen Regierung und Hisbollah kam es hier zu Straßenkämpfen.

    Nun wird gerade wieder geschossen: Zwei Milchgesichter, etwa 14 Jahre alt, stehen in einer Spielhalle und ballern auf Straßenkämpfer, die über einen Riesenbildschirm huschen. Durch Häuser, Strassen, Hinterhöfe hetzen die virtuellen Akteure - die Wirklichkeit sah damals ähnlich aus. Doch in der heutigen "Sodeco Shopping Mall" mit ihren Hollywood-Kinos, Coffee- und Musikshops findet das niemand makaber. Ohnehin denken an den Bürgerkrieg vor allem die Ausländer, wenn sie Beirut besuchen, meint Bernard Khoury, der international bekannteste Architekt der Stadt.

    "Ich sehe immer, wie faszinierend die westlichen Medien den libanesischen Bürgerkrieg finden. Sie betrachten meine Projekte durch diese makabre Aura. Ich dagegen sehe sie nicht als makaber an, sondern als positiv. Die Vergangenheit ist für mich nicht mal so ein wichtiges Thema. Ich interessiere mich mehr für die Gegenwart. Ich suche höchstens Nischen, in denen ich Geschichte auf alternative Weise präsentieren kann."

    Khoury baut auch in Berlin, doch sein bekanntestes Projekt ist in Beirut zu finden: Im Norden der Stadt, wo damals eines der ersten Massaker des Bürgerkriegs verübt wurde, steht heute die von ihm gebaute Diskothek B018: Wie ein Erdbunker versenkt unter einer Stahlplatte. Drinnen suggerieren Tische in Sargform, Kerzen und dunkelrote Vorhänge ein Bestattungsinstitut. Das B018 ist Treffpunkt der Jeunesse dorée des Nahen Ostens. Khoury suchte anfangs für seinen Auftraggeber einen geeigneten Ort für das Projekt. Doch erst nach dem Kauf des Grundstücks bemerkte Khoury, dass dort ein Kriegsverbrechen begangen worden war von den Falange-Milizen. Der Verkäufer war ein Falangeführer gewesen.

    "Unser Baugrund hatte also diese makabre Geschichte. Luftbilder zeigen, dass die Umgebung sehr, sehr seltsam aussieht: Unsere Seite liegt nah am Meer, aber trotzdem ist die Baudichte gering. Die andere, vom Meer entferntere Seite ist viel dichter bebaut. Normalerweise ist es überall auf der Welt umgekehrt, weil man lieber nahe am Wasser wohnt. Diese normale Struktur wurde hier von dem Massaker ausradiert. Wir wollten diese Leere erhalten und haben deshalb die Diskothek unter der Erdoberfläche gebaut. Urbanistisch war dies für mich bereits der wichtigste Schritt. Und meine Reaktion auf die Geschichte der Stadt."

    Bis zum Bürgerkrieg galt Beirut als das "Paris des Nahen Ostens". Dann zerstörten die Kämpfer die Stadt, die bis heute viele Narben trägt: Beirut wirkt jetzt wie ein Flickenteppich aus Vierteln, Nachbarschaften und einzelnen Häusern. Ein Rundblick vom zentralen Platz der Martyrer zeigt es: Am Hafen stehen funkelnde neue Glas-Wolkenkratzer neben schimmeligen Betonhäusern, in deren Fassaden Einschusslöcher in Lastwagen-Größe klaffen. Nach Süden und Westen versperren Mietskasernen den Blick auf die Traditionsviertel Hamra und Mazraa. Vor allem im Osten stehen vereinzelt, kreuz und quer, Häuser zwischen öden Brachflächen, auf denen Gestrüpp wuchert. Bernard Khoury:

    "Beirut ist eine Stadt der Absurditäten. Alles sprengt übliche Maßstäbe. Es gibt viele Widersprüche. Die Probleme, denen man an jeder Straßenecke begegnet: Du musst nicht gehen und sie suchen. Sie kommen zu Dir und beißen Dich. Es ist eine sehr explosive Stadt. Sie drängt Dich, auf eine andere Art über Dinge nachzudenken."

    Viele Kritiker meinen, dass auch den staatlichen Planern die "üblichen Maßstäbe" verloren gegangen sind. Der Wiederaufbau der zerstörten Innenstadt gilt offiziell als größtes Stadtsanierungsprojekt der Welt: Auf einer Fläche von 720.000 Quadratmetern wird das komplette Stadtzentrum rekonstruiert. Architekten wie Bernard Khoury erhalten dabei hier und da Aufträge. Aber die große Linie wird vorgegeben von einer einzigen Aktiengesellschaft: der Solidere AG. Für die Neugestaltung der 184 Hektar großen Fläche stehen etwa 1,8 Milliarden Dollar Grundkapital zur Verfügung - Geld von der Aktienausgabe und ausländischen Investoren. Im Showroom der Solidere AG empfängt Nabil Rached vom PR-Team - vor einem riesigen Stadtmodell mit klassischen Villen, modernen Wolkenkratzern, einem Jachthafen und Stadtautobahnen.

    "Solidere ist ein Unternehmen, das von der Regierung gegründet wurde. Es gibt ein Gesetz, dass nur wir die Innenstadt wieder aufbauen dürfen. Deshalb besitzt Solidere sämtliche Innenstadt-Grundstücke. Ausländische Grundstücksbesitzer wurden enteignet und erhielten zum Ausgleich Solidere-Aktien. Investoren konnten einsteigen, indem sie Aktien kauften. Allein die Investitionen der ausländischen Partner addieren sich heute auf 1,2 Milliarden Dollar. Solidere hat, was für einen erfolgreichen Wiederaufbau benötigt wird: den Boden und das Bargeld."

    Solidere wurde 1992 unter Leitung des damaligen Ministerpräsidenten Rafic Hariri gegründet. Nachdem dies erledigt war, besorgte sich Ministerpräsident Hariri selbst die meisten Aktien der Solidere AG! Im eigenen Land galt Rafic Hariri damit noch lange nicht als korrupter Politiker, sondern eher als erfolgreicher Unternehmer. Im Februar 2005 wurde Hariri von unbekannten Tätern mit einer gigantischen Autobombe ermordet. Doch Solidere arbeitet weiterhin nach seinem Masterplan: Etwa 900 Gebäude standen vor dem Bürgerkrieg in der traditionellen Downtown von Beirut. Nun wird ein Drittel der Gebäude aufwendig und originalgetreu saniert, der Rest abgerissen und durch edle Boutiquen, teure Restaurants und Geschäftsgebäude ersetzt. Die Frage, ob die Bürger an der Planung beteiligt wurden, scheint Nabil Rached zuerst nicht zu verstehen:

    "Äh... Sie nehmen Einfluss, indem sie in die Innenstadt zurückkommen. So können sie auch zur neuen Stimmung in der Stadt beitragen. Denn es reicht ja nicht allein, wenn wir die Gebäude restaurieren. Nachdem unser Projekt zuerst heftig kritisiert wurde, wird es heute mit Enthusiasmus aufgenommen. Die Beirutis sind nun nicht nur sehr stolz, sondern erfreuen sich ihres Stadtzentrums und kommen täglich hierher."

    Im Süden trennt eine Schnellstraße auf Stelzen die Downtown von den Wohnvierteln der Normalsterblichen. Direkt auf der anderen Straßenseite zeigen die meisten Hausfassaden Löcher jedes Waffenkalibers. Die meisten Ruinen sind bewohnt, die Löcher mit Brettern vernagelt. Hier dürfte niemand Aktien von Solidere besitzen. Doch die Gesellschaft hat hier auch nichts zu suchen, erklärt Nabil Rached:

    "Die Mission der Aktiengesellschaft Solidere beschränkt sich auf das Stadtzentrum - nur dafür wurde Solidere erschaffen. Die anderen Teile von Beirut werden entweder von der Regierung oder den Hausbesitzern selbst wieder aufgebaut. Dabei hilft ihnen eine gemeinnützige Organisation namens "Helft Libanon" - zum Beispiel mit Farbkübeln für die Fassaden. Auch wir sponsern "Helft Libanon"."