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Zwischen Müll und Camorra

In den Medien ist Neapel zumeist wegen Müll und Mafia in den Schlagzeilen. Doch auch das seit 2008 stattfindende, internationale Theaterfestival findet hier statt. In einigen Stücken des diesjährigen Napoli Teatro Festival Italia finden sich die Problemthemen der Süditaliener wieder.

Von Henning Klüver | 04.07.2011
    Proben zu einer neapolitanischen Dreigroschenoper mit Massimo Ranieri und Lina Sastri.

    Die Brecht-Oper wird im Rahmen des vierten Napoli Teatro Festival Italia aufgeführt. Regie führt Luca De Fusco, der in diesem Jahr auch die Leitung dieses größten und wichtigsten italienischen Theaterfestivals übernommen hat. Es zeigt bis Mitte Juli 23 internationale, nationale, vorwiegend aber lokale Produktionen. Für Luca De Fusco ist es gleichsam natürlich, Brecht nach Neapel zu bringen

    "Das ist eine Aufführung, die davon ausgeht, dass neapolitanische Schauspieler mehr als andere in der Lage sind, auf der Bühne gleichzeitig zu rezitieren und zu singen. Das hängt mit der Schulung durch lokale Autoren wie zum Beispiel Viviani zusammen, die immer Stücke mit Musik geschrieben haben, und so die Trennung zwischen Gesang und Spiel verwischten."

    Aber nicht nur die Bühnenwirklichkeit Neapels, sondern auch die sozialen Realitäten einer Stadt, die von Armut und Verbrechen gezeichnet sind, bilden eine durchaus glaubwürdige Folie für das Thema der Dreigroschenoper. Gerade wurde der Chef der Kriminalpolizei strafversetzt, weil er Informationen über Ermittlungen an die Unterwelt weiter gegeben hatte. Umgekehrt weiß das demokratische Neapel mit musikalisch-theatralischen Mitteln, etwa die Rückgewinnung von Legalität gegen den Einfluss der Camorra, der lokalen Mafia zu feiern.

    Mit einer Tarantella wurde in der vergangenen Woche auf der Piazzetta Pietrasanta die Camorra symbolisch aus der Stadt vertrieben. Der deutsche Generalkonsul Christian Much war auch dabei.

    "Zunächst einmal wird hier gefeiert, dass ein wunderschöner Platz hier im Zentrum zur schutzgeldfreien Zone erklärt wird. Das ist möglich geworden durch die Initiative von Unternehmern in Neapel, um gemeinsam zu sagen, wir zahlen kein Schutzgeld an die Mafia."

    Und das Generalkonsulat konnte mit einer eigenen Initiative wesentlich zum Fest beigetragen.

    "Zweitens wird hier auch gefeiert , dass wir einen Stadtplan vorstellen in Deutsch und Italienisch, der dem Touristen zeigen soll, wo er einkaufen kann in der Gewissheit, dass das Geschäft, in dem er kauft, kein Schutzgeld zahlt an die Mafia und das Geld, dass der Tourist ausgibt, nicht in den Taschen der Mafia landet."

    Der Stadtplan appelliert an den kritischen Konsumenten. Der darf sich dann auch auf der Bühne wiederfinden. Denn wie in einem Ping-Pong zwischen Realität und Theater springen die Themen wieder zurück zum Festival, wo etwa die junge Theatermacherin Sara Sole Notarbartolo Konsumdruck und prekäre Arbeitsverhältnisse am Faust-Thema abhandelt. Wobei es bei diesem schrillen neapolitanischen Faust zwischen Kommerzradios und Porno-Diensten nicht mehr um Wissen und ewige Jugend geht, sondern um Unterentwicklung, Anpassung und die Jagd nach Erfolg.

    Natürlich spielen auf dem Festival auch internationale Produktionen eine Rolle. Zum Auftakt konnte man etwa "Le dragon bleu", eine neue Produktion von Robert Lepage sehen, der sein Stück wie ein Film inszenierte. Declan Donnellan brachte eine überzeugende Aufführung von Shakespeares "Sturm" in russischer Sprache nach Neapel. Und die vietnamesische Choreografin Ea Sola zeigte etwa eine neue Version ihres Balletts "Trockenheit und Regen". Festivalleiter Luca De Fusco, der erst in diesem März berufen wurde, will diese Internationalität nicht missen. Aber er hat sich ein paar Änderungen vorgenommen.

    "Ich will versuchen, mehr lokale Produktionen ans Festival zu binden. Nicht wegen eines kulturellen Autarkiedenkens, sondern ich möchte ausländische Regisseure mit neapolitanischen Schauspielern zusammen bringen, und neapolitanische Regisseure mit ausländischen Schauspielern. Ich möchte die Traditionen mischen und deshalb mehr Produktionen von hier zeigen."

    Neapel ist von den Zeiten der Commedia dell'Arte über die Tradition eines Eduardo De Filippo bis heute eine theaterverliebte Stadt. Doch genügt nicht alles, was lokal ist, zwangsläufig den Ansprüchen eines Festivals, das in den Vorjahren durchaus internationale Bedeutung erlangen konnte.