Samstag, 27. April 2024

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Zwischen Opferschutz und historischer Aufarbeitung

O-Ton Gerichtsverhandlung: "Wer waren Sie?" "Ich war die Chefsekretärin des Ministerpräsidenten und die Mitarbeiterin im Büro des Präsidiums des Ministerrats." "Haben Sie an staatspolitischen Schulungen teilgenommen?" "Ja, ich habe an staatspolitischen Schulungen ..." "Hat sich der Ministerpräsident mal mit Ihnen unterhalten?" "Nein." "Nein, überhaupt nicht?" "Ja auch, privater Natur." "Haben Sie nie an Parteisitzungen teilgenommen?" "Ja." "An Leitungssitzungen?" "Ja." "Haben Sie da geschlafen?" "Nein."

Otto Langels | 24.04.2002
    Elli Barczatis, Chefsekretärin des damaligen DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl, stand mit ihrem Freund Karl Laurenz im September 1955 vor dem obersten Strafgericht der DDR. Der Prozess fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, wurde aber auf Tonband mitgeschnitten. Ihnen wurde vorgeworfen, so genannte "Boykotthetze" gegen die DDR betrieben und unter dem Decknamen "Gänseblümchen" Informationen aus dem Regierungsapparat der DDR an den Westen geliefert zu haben. Barczatis und Laurenz wurden zum Tode verurteilt und im November 1955 hingerichtet.

    Die Akten des Falls "Gänseblümchen" sowie die sechsstündige Aufzeichnung des Geheimprozesses konnten Forscher nach der Wende im Stasi-Archiv der Gauck-Behörde einsehen bzw. anhören und zum Teil veröffentlichen. Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu den Stasi-Akten Helmut Kohls vor wenigen Wochen, am 8. März dieses Jahres, ist dies nicht mehr möglich. Die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen Marianne Birthler sah sich durch das Gerichtsurteil u.a. gezwungen, personenbezogene Informationen zu Verstorbenen ohne schriftliche Einwilligung nicht mehr herauszugeben. Ein gleichermaßen eindrucksvolles wie bedrückendes Dokument der DDR-Justiz wäre also nie bekannt geworden, wenn die Gauck-Behörde den Umgang mit Stasi-Akten bereits früher so restriktiv gehandhabt hätte, wie dies seit dem 8. März der Fall ist. Der Soziologe Manfred Wilke, Leiter des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin:

    Nach der sich langsam abzeichnenden Interpretation des Urteils des Bundesverwaltungsgerichtes hat man den Eindruck, dass Verwaltungsjuristen jetzt den Schlussstrich unter die Aufarbeitung der MfS-Tätigkeit in Ost und West gesetzt haben. Denn die Behörde hat eine solche restriktive Vorlagepraxis aus dem Gesetz abgeleitet, dass Sie im Prinzip ungeschwärzt jetzt nur noch die Strukturangaben zu sehen bekommen, die über Aufbau und Apparat des MfS Aufschluss geben. Aber welche operativen Maßnahmen das MfS getroffen hat, um in West und Ost aktiv zu sein, das wird jetzt abhängig gemacht von der Zustimmung der Betroffenen. Und wenn diese Praxis sich durchsetzt, sind die MfS-Akten für die historische Forschung auf absehbare Zeit nicht mehr verwendbar.

    Im Dunkeln bleiben jetzt auch umfangreiche Akten-Bestände über das Dritte Reich, die die Stasi gesammelt hatte, um sie z.B. gegen Westpolitiker wie Heinrich Lübke oder gegen DDR-Oppositionelle wie Robert Havemann einzusetzen. In der Gauck-Behörde liegen allein 80 Bände zu Havemanns Widerstandstätigkeit während der NS-Zeit, angelegt in der Absicht, ihn mit manipulierten Dokumenten als Verräter zu verleumden. Seit dem Urteilsspruch vom 8. März ist die Gauck-Behörde vor allem damit beschäftigt zu prüfen, welche Unterlagen weiterhin herausgegeben werden dürfen oder anonymisiert werden müssen. Bei 2.000 laufenden Anträgen von Wissenschaftlern und Journalisten müssen die Sachbearbeiter alle Stasi-Akten noch einmal auf weitere mögliche Streichungen durchsehen. Sämtliche Informationsbroschüren und Ausstellungen aus dem eigenen Haus seien aus dem Verkehr gezogen und überarbeitet worden, erklärt Hans Altendorf, Direktor der Gauck-Behörde.

    Wir haben Schwärzungen vornehmen müssen etwa im Bereich des Sports. Wir haben dargestellt die Tätigkeit des Dynamo-Sportvereins mit bekannten Namen. Aber es geht hier nicht darum, ob etwas vielen Leuten bekannt ist, sondern es geht konkret darum, ob wir mit Informationen aus den Stasi-Unterlagen nach draußen treten können. Da gelten diese Kriterien, das betrifft z.B. Verstorbene, bei denen man Einwilligungen gar nicht herbeiführen kann, die sind also jetzt richtig zu. Und die Erwartung, man könne etwa von früheren SED-Funktionären, die nicht Mitarbeiter oder Begünstigte der Stasi waren, jetzt eine Einwilligung erreichen, die halte ich für gewagt.

    Nach den ersten aufgeregten Debatten über die Folgen des Kohl-Urteils hat sich inzwischen unter den Parteien des Deutschen Bundestags die Auffassung durchgesetzt, das Stasi-Unterlagengesetz zu novellieren. Dabei geht es nicht um die Akteneinsicht der Opfer und auch nicht um die Überprüfung des öffentlichen Dienstes auf eine frühere Stasi-Tätigkeit, sondern allein um die wissenschaftliche und publizistische Nutzung der Unterlagen. Der Gesetzgeber habe nicht gewollt, dass ein Großteil der Akten auf absehbare Zeit für die historische Aufarbeitung nicht mehr zur Verfügung stehe, meint Cem Özdemir, innenpolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen.

    Wir wollen, dass noch in dieser Legislaturperiode Konsequenzen gezogen werden aus dem Urteil zum Stasi-Unterlagengesetz, weil ich glaube, es kann nicht angehen, dass die Arbeit der letzten 10, 12 Jahre einfach beendet wird, und man dieses Kapitel schließt. Das ist ein wichtiges Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte, dass die Akten offen waren, dass sie zugänglich waren, dass wissenschaftliches Forschen möglich war, dass Journalisten Einblick gewährt bekommen haben in diesen Apparat der Stasi, was die Stasi gemacht hat. Übrigens auch in das, was die Stasi im Westen gemacht hat. Das ist nicht eine Sache, die sich beschränkt auf die neuen Länder. Und ich fände es ein Armutszeugnis, wenn, nachdem das Gesetz einstimmig im Bundestag verabschiedet wurde 1990, im Jahr 2002 es im Deutschen Bundestag keine Mehrheit mehr dafür gibt, dass die Behörde ihre Arbeit fortsetzen kann.

    In einem Punkt soll das Stasi-Unterlagengesetz möglichst rasch geändert werden. Nach § 14 des Gesetzes können Betroffene und Opfer ihre Akten ab 1. Januar nächsten Jahres anonymisieren oder löschen lassen. Für die historische Forschung wäre dies ein unersetzlicher Verlust. Das Ende der Schutzfrist steht zwar schon seit langem fest, aber erst nach dem Kohl-Urteil ist die Problematik ins öffentliche Bewusstsein gerückt.

    Erst mal bin ich froh, dass bei den Kollegen von der Union, übrigens auch die Kollegen von der SPD und der FDP mittlerweile Einigkeit da ist, dass Paragraph 14 geändert wird, dass also praktisch nicht einfach anonymisiert wird, dass aber auch nicht einfach die Frist neu verlängert wird, da lügen wir uns in die Tasche, man muss das streichen, diese Anonymisierung.

    Wesentlich komplizierter gestaltet sich dagegen die Neufassung von § 32 Stasi-Unterlagengesetz, auf den sich Helmut Kohl in seiner Klage gegen die Herausgabe seiner Akten in erster Linie berufen hat. Werner Schulz, Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen, zitiert die umstrittene Passage:

    Ich will das mal ganz kurz vorlesen, damit das klar wird: Im Paragraphen 32, Absatz 1 steht: "Für die Forschung zum Zwecke der historischen Aufarbeitung des Staatssicherheitsdienstes sowie für Zwecke der politischen Bildung stellt der Bundesbeauftragte folgende Unterlagen zur Verfügung:" "3. Unterlagen mit personenbezogenen Informationen über Personen der Zeitgeschichte, Inhaber politischer Funktionen oder Amtsträger in Ausübung ihres Amtes." Und jetzt kommt die Entwertung der gesamten Aussage: "soweit sie nicht Betroffene oder Dritte sind." Das ist ein absoluter Widerspruch.

    Im Grundsatz geht es um die Frage: Wie weit reicht der Persönlichkeitsschutz nicht nur von Privatpersonen, sondern auch von Amtsträgern, Politikern und Personen der Zeitgeschichte, die von der Staatssicherheit bespitzelt wurden? Müssen sie als öffentliche Personen akzeptieren, dass Wissenschaftler und Journalisten Einblick in ihre Stasi-Akten nehmen, sofern sie nicht die Privatsphäre berühren, oder genießen sie den gleichen Schutz wie andere Opfer? Letztlich muss der Gesetzgeber abwägen zwischen dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung und der Wissenschafts- und Informationsfreiheit. Ehemalige Funktionsträger der DDR wie Richter oder Parteisekretäre können sich nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts darauf berufen, Dritte oder Betroffene zu sein, und damit ihre Akten quasi zur Verschlusssache erklären. Differenzierte Einblicke in die Macht- und Gesellschaftsstrukturen des SED-Staates wären dann kaum noch möglich, befürchtet Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.

    Nach dem Kohl-Urteil haben wir Veranlassung, darüber nachzudenken, ob wir die Stasi-Akten über Funktionsträger der DDR öffnen, oder ob wir diese Funktionsträger genauso behandeln wie andere Opfer der Stasi. Und dass Funktionsträger, also wichtigste Repräsentanten der DDR genauso behandelt werden wie jemand, der als normaler Bürger von der Stasi bespitzelt worden ist, das kann ich nicht für richtig halten, also dafür müssen wir auch eine Lösung finden.

    Im Gespräch ist, einen Passus in das Gesetz einzufügen, der weisungsbefugte SED- und Regierungsfunktionäre Stasi-Mitarbeitern gleichstellt, so dass auch ohne ihre Einwilligung eine Einsicht in die Akten möglich wäre. Diese Regelung könnte freilich einen Ost-West-Konflikt provozieren, wenn Stasi-Akten von DDR-Politikern offen wären, von West-Politikern dagegen verschlossen blieben. Die Aufarbeitung der SED-Diktatur dürfe nicht an der früheren innerdeutschen Grenze halt machen - darin sind sich Dieter Wiefelspütz und sein CDU-Kollege Hartmut Büttner einig.

    Ich bin der Ansicht, wenn jemand bespitzelt worden ist mit illegalen Methoden, dann gehört das alles in den Giftschrank, dann darf darüber nur das Opfer entscheiden, aber wenn Zeitungsausschnitte gesammelt worden sind über eine prominente Person, wenn man andere Analysen gefertigt hat bei der Stasi, warum soll das nicht öffentlich gemacht werden? Alles das, was mit dem Staatssicherheitsdienst auch an Einwirkungsmöglichkeiten auf andere Regierungen, z.B. die der Bundesrepublik Deutschland, was damit zu tun hat, muss natürlich zentral aufgearbeitet werden. Und das ist eindeutig durch das Stasi-Unterlagengesetz gedeckt.

    Das Stasi-Unterlagengesetz von 1991 sowie mehrere Novellierungen in den folgenden Jahren verabschiedete der Bundestag mit einer breiten Mehrheit von SPD, CDU/CSU, Grünen und FDP. Joachim Gauck, der erste Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, hat in dem Zusammenhang von einer "Koalition der Vernunft" gesprochen. Die PDS zeigt dagegen damals wie heute wenig Interesse, die Stasi-Vergangenheit aufzuklären. Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der PDS:

    Der Personenschutz steht ganz oben an. Von daher könnte ich mir vorstellen, dass man das auch gesetzlich festschreibt, weil das bisher sehr willkürlich gehandhabt wurde. Ich persönlich neige eher dazu, es so zu lassen, wie es ist, weil die Auslegung des Urteils jetzt eigentlich hilft, das Gesetz auch entsprechend anzuwenden.

    Mit dieser Auffassung steht die PDS im Bundestag allein. Die "Koalition der Vernunft" will möglichst rasch § 14 Stasi-Unterlagengesetz novellieren, um die Vernichtung von Opfer-Akten zu verhindern. Ob die Parteien auch eine einvernehmliche Lösung zum Umgang mit Akten von Amtsträgern, Politikern und Personen der Zeitgeschichte finden, ist hingegen fraglich. Die Regierungskoalition möchte noch in dieser Legislaturperiode das Gesetz ändern, um im Wahlkampf vor allem im Osten auf ihren Reformwillen verweisen zu können. Dazu müsste aber nach der morgigen Sachverständigen-Anhörung im Innenausschuss des Bundestags innerhalb von vierzehn Tagen ein Novellierungsentwurf vorliegen. Der CDU-Experte in dieser Frage, Hartmut Büttner, fühlt sich durch den Zeitplan unter Druck gesetzt.

    Also ich möchte gerne, dass wir uns die Zeit nehmen, in aller Ruhe auch die Risiken und Nebenwirkungen dieser Vorschläge zu prüfen. Das kann man unmöglich in den 14 Tagen, die uns maximal für die parlamentarische Beratungszeit übrig bleibt, in diesem Deutschen Bundestag leisten. Das hätte aber auch Zeit im nächsten Jahr, ohne dass unwiederbringlich Dinge verloren gehen. Wir sollten jetzt das Wichtigste regeln und für alle anderen Dinge uns ein wenig Zeit nehmen.

    Das Problem sei weniger der Zeitdruck als vielmehr der lange Schatten Helmut Kohls, meint hingegen der grüne Abgeordnete Cem Özdemir. Den Schutz, den sich der Altkanzler vor Gericht erstritten habe, wollten ihm seine Parteifreunde durch eine Gesetzesänderung nicht wieder nehmen, solange Kohl noch im Bundestag sitze.

    Bei vielen Kollegen von der Union wäre schon die Bereitschaft da, sich zu einigen. Man ist eigentlich auch relativ nah beieinander. Wenn ich an den Kollegen Büttner oder andere von der Union denke. Das Problem ist knallhart: Dr. Helmut Kohl sitzt im Deutschen Bundestag, und solange er Mitglied der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag ist, traut sich keiner aus der Union an das Gesetz ran. Ich bedauere das sehr. Wir können aber nicht von der Anwesenheit Helmut Kohls im Deutschen Bundestag die Zukunft des Stasi-Unterlagengesetzes abhängig machen.

    Die weitreichenden Folgen des Kohl-Urteils für die wissenschaftliche Aufarbeitung der SED-Diktatur erforderten eine rasche sachliche Lösung, meint der SED-Forscher Manfred Wilke. Die Materie eigne sich nicht für parteipolitischen Streit.

    Die Regelung muss schnell fallen, denn das Parlament steht kurz vor dem Ende der Legislaturperiode, und diese Frage muss jetzt noch entschieden werden, denn ansonsten stellt sich die Grundfrage: Wofür brauchen wir noch diese Behörde?

    Wie könnte nun eine Novellierung des Stasi-Unterlagengesetzes aussehen? Die konkreten Änderungen werden Juristen zwar erst nach der morgigen Anhörung der Experten im Bundestags-Innenausschuss ausarbeiten, die Richtung der Gesetzesnovelle ist aber bereits jetzt erkennbar: Im vorigen Jahr hat die Gauck-Behörde in einer Richtlinie klargestellt, unter welchen Voraussetzungen Wissenschaftler oder Journalisten Akten von Personen der Zeitgeschichte oder Politikern einsehen dürfen. Diese Richtlinie, so der Direktor der Gauck-Behörde, Hans Altendorf, könnte in das Stasi-Unterlagengesetz übertragen werden.

    Dies könnte sich etwa darauf beziehen, dass es eine Betonung der Zweckbindung der Herausgabe gibt. Wir sind dafür da als Behörde, dass die DDR-Vergangenheit mit dem Schwerpunkt Stasi-Tätigkeit aufgehellt wird. Wir sind nicht diejenigen, die Munition für aktuelle innenpolitische Streitigkeiten zu liefern haben. Das ist dezidiert nicht unsere Aufgabe. Und ein weiterer Punkt könnte sein, dass noch einmal herausgestellt wird, dass es bisher nicht und auch in Zukunft nicht sein darf, dass Informationen aus der Persönlichkeitssphäre von Betroffenen, von Amtsträgern und Personen der Zeitgeschichte herausgegeben werden, sondern dass es sich um Informationen handelt, die im Zusammenhang mit der Ausübung einer Funktion, mit der Rolle, die jemand als Person der Zeitgeschichte gehabt hat, sich handelt.

    Um einen Kompromiss zwischen den Grundrechten der Presse- und Wissenschaftsfreiheit und dem Daten- und Persönlichkeitsschutz zu finden, könne man das Recht am eigenen Bild zum Vorbild nehmen, meint der Rechtsanwalt Johannes Weberling. Er hat einen Fachkommentar zum Stasi-Unterlagengesetz geschrieben und ist morgen als Sachverständiger zur Anhörung im Innenausschuss geladen.

    Ich denke, wir haben beim Recht am eigenen Bild in der Presse eine ganz gute Erfahrung mit dem Interesse der Öffentlichkeit auf der einen Seite und auf der anderen Seite den Persönlichkeitsschutz. Die Dinge, die die Amtstätigkeit von Herrn Kohl betreffen bzw. vor allem die Behandlung dieser Informationen durch die Staatssicherheit und dann die Weiterleitung an die Parteiführung der SED, die würde selbstverständlich einsehbar sein. Das ist auch das Interessante. Man will schließlich erforschen, wie hat denn der Staatssicherheitsdienst funktioniert. Und genau dieses Wechselspiel zwischen Partei- und Staatsführung auf der einen Seite und Staatssicherheitsdienst, der die Informationen, die er sicherlich illegal zusammen getragen hat, dann verarbeitet und Empfehlungen an die Regierung und die Partei weitergegeben hat, deren Reaktion darauf, das ist ja genau das letztlich, was die Wirkungsweise der Staatssicherheit hervorragend beschreibt. Und das muss wieder möglich sein.

    Es war ein Glücksfall der Geschichte und im Vergleich zu anderen osteuropäischen Ländern ein einmaliger Vorgang, dass nach dem Untergang der DDR die Hinterlassenschaft eines Geheimdienstes aufbewahrt und bis zum März dieses Jahres in großen Teilen zugänglich gemacht wurde. Spionagegeschichten wie der eingangs erwähnte Fall "Gänseblümchen" wären sonst in ihrer Eindringlichkeit wohl kaum bekannt geworden und könnten nicht künftigen Generationen als mahnendes Anschauungsmaterial einer gnadenlosen Justiz dienen.

    O-Ton Gerichtsverhandlung: Sie haben Boykotthetze getrieben, Sie haben Mitteilungen über Vorgänge in der DDR an den Feind der DDR, an imperialistische Kriegshetzer, an die Monopolkapitalisten, selbstverständlich an die von ihnen beauftragten geleiteten Spionageorganisationen gelenkt, haben Sie weitergegeben. Aber Sie wussten, was das für Organisationen sind.

    Geheimprozesse wie der Fall Elli Barczatis und Karl Laurenz sind bisher allerdings nur an Hand der Stasi-Akten zu rekonstruieren. Denn eine Einsicht in Akten des Bundesnachrichtendienstes ist frühestens nach 60 Jahren möglich. Historiker fordern deshalb seit Jahren, die Archive westlicher Nachrichtendienste für die Forschung zu öffnen. Eine Forderung, die Wolbert Smidt unterstützt. Er ist ehemaliger leitender Beamter auf dem Gebiet der Nachrichtendienste.

    Was sinnvoll erscheint, ist die Fragestellung von Historikern, von Politologen, ob es nicht möglich ist, Akten aus den 50er, 60er Jahren vorzeitig zu öffnen, damit das Bild, das durch die Akten-Studien bezüglich der Akten des MfS entstanden ist im Rahmen der Gauck-Behörde, zwangsläufig einseitig sein musste, ergänzt werden kann durch Unterlagen des BND, wie sie in Altakten verankert sind.

    Wolbert Smidt hat mit ehemaligen Kollegen einen Arbeitskreis gegründet, der die Tätigkeit der Nachrichtendienste transparenter machen möchte. Er setzt sich dafür ein, frühere Analysen des BND vor dem Mauerbau beispielsweise oder Akten von abgeschlossenen Vorgängen wie dem Spionagefall Barczatis und Laurenz bereits jetzt zugänglich zu machen.

    Beide sind von General Gehlen, dem Gründer des BND, in seinen Memoiren besonders lobend hervorgehoben worden. Es liegt nahe, dass ein großes Interesse daran besteht, bei der Analyse dieses Falles sich nicht nur zu verlassen auf frühere Akten des MfS, wie sie bei der Gauck-Behörde verfügbar sind, sondern auch die ergänzenden Angaben herbeizuziehen, die beim BND verfügbar sind.

    Zustimmung findet Smidt bei Politikern. Allerdings müsse eine entsprechende Initiative gesondert behandelt werden, unabhängig von der Novellierung des Stasi-Unterlagengesetzes, meinen Dieter Wiefelspütz und Cem Özdemir. Denn die Stasi als Unterdrückungsinstrument in einer Diktatur und der BND als Nachrichtendienst in einem demokratischen Staat könne man nicht miteinander vergleichen.

    Wiefelspütz: Ich bin ganz generell dafür, dass wir nicht verschwiegen über unsere Nachrichtendienste im demokratischen Rechtsstaat reden sollten, also die müssen auch lernen und z.T. haben sie es ja auch schon gelernt, dass Öffentlichkeit, Diskussion, Transparenz nichts Schlimmes ist. Deswegen finde ich es durchaus erwägenswert, in welcher Weise wir auch der Wissenschaft, auch den Medien den Zugang, soweit das vertretbar ist, zu den Akten der Nachrichtendienste ermöglichen.

    Özdemir: Die Amerikaner haben auch Sperrfristen, das ist völlig normal, dass es die gibt in solchen Fällen. Das wird man sich überlegen müssen. Ich finde, es spricht einiges dafür, dass man diese Frist verkürzt. In dieser Legislaturperiode sicherlich nicht mehr. Ich bin froh, wenn wir jetzt die Stasi-Unterlagengesetz-Novelle hinbekommen, aber in der nächsten Legislaturperiode wird man sich auch noch mal überlegen müssen, ob da nicht noch weitere Reformen notwendig sind.